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Ausgabe 67-3/1996

"Wir werden anfangen, selbst Kinderfilme zu produzieren"

Gespräch mit Gerhard Klein, Geschäftsführer von Wild Utopia

Interview

Im März haben die Wild Utopia Film- und Medienvertriebs GmbH und Atlas Film + AV gemeinsam bekannt gegeben, dass die erste Firma die zweite übernimmt. Die Zukunft von Atlas als führendem Verleiher von 16mm-Filmen sei damit gesichert, hieß es in einer Mitteilung. Atlas wertet im nicht-gewerblichen Bereich nicht nur eigene Lizenzen, sondern auch die nicht-gewerblichen Rechte zahlreicher Verleihkollegen aus. Über die angekündigten "neuen Impulse" für den nicht-gewerblichen Markt und die Verleih-Pläne von Wild Utopia sprach KJK-Mitarbeiter Reinhard Kleber mit Wild Utopia-Geschäftsführer Gerhard Klein Anfang Juli d. J. in Moers.

KJK: Wie sieht denn nun das Verhältnis von Wild Utopia zu Atlas aus?
Gerhard Klein: "Das Ganze ist juristisch ziemlich kompliziert. Die Utopia hat am Anfang die 35mm-Kinderfilme von Atlas Film + AV im Agenturverhältnis ausgewertet. Zunächst war beabsichtigt, die Filme von Atlas Film und AV zu erwerben. Das hat die Utopia dann aber nicht gemacht. Stattdessen ist die Atlas vom Geschäftsführer der Utopia erworben worden und als neue Atlas Film + AV gegründet worden. Das heißt, es gibt eine komplett neue Atlas Film + AV – mit gleichem Namen und gleichem Logo. Die Überschneidung besteht darin, dass die beiden Geschäftsführer, Wolfgang Idler und ich, gleichzeitig die Geschäftsführer der Atlas Film + AV und der Utopia sind. Es ist aber nicht mehr so, wie wir es früher angedacht haben, dass die Utopia Anteilseigner von Atlas Film + AV wird. Es gibt also zwei unterschiedliche Bereiche. Obwohl wir hier eine Bürogemeinschaft gegründet haben, soll die Trennung klar sein: Die Utopia ist ausschließlich für die Vermarktung des Films im Kino zuständig und die Atlas für den tradierten 16mm-Bereich und die nicht-gewerbliche Videoauswertung."

Wie geht es weiter?
"Im Herbst oder Anfang nächsten Jahres wird es den Zweig Produktion geben. Das heißt, wir werden anfangen, selbst Kinderfilme zu produzieren. Wir werden aber schauen, was es in den Neuen Medien gibt, auf die wir setzen, ob das nun CD-ROM oder Internet oder sonst etwas ist. Wir verfolgen dies alles sorgfältig. Da wird es natürlich wieder Verknüpfungen geben, wo Atlas und Utopia gemeinsam vorgehen. Unsere Absicht war erst einmal, die Synergie-Effekte, die sich aus dieser Konstellation ergeben, zu nutzen."

Wird Atlas denn auch weiterhin 16mm-Filme anbieten?
"Das wird auch weiter so sein. Wir werden es dort, wo es möglich ist, verstärken. Wir werden sehen, wo es neue Quellen oder Ressourcen gibt, die wir noch nicht gesehen haben. Wir prüfen auch, wo es Möglichkeiten der Kooperation gibt. Unsere Absicht bei der Utopia ist es, im Jahr zwischen zehn und fünfzehn Filme ins Kino zu bringen, sofern sie verfügbar sind. Da wir in der Regel auch die nicht-gewerblichen Rechte mit erwerben, gehen die automatisch – nicht alle, aber wo es Sinn macht – zu Atlas. Da wir ein mehr als freundschaftliches Verhältnis zu Matthias Film pflegen, werden wir auch den einen oder anderen Film Friedemann Schuchardt anbieten. Er hat ja einige Wild Utopia-Filme in seinem Vertrieb, und schon heute werten wir die neuen 16mm-Filme von Matthias über Atlas aus, und das wird auch weiter so bleiben. Aber wir werden natürlich schon sehen, wie man das geschickt aufteilt."

Wie sehen Sie denn allgemein die Zukunft des 16mm-Films?
"Was ich feststellen kann: Die Auswertzeiten werden kürzer. Wenn man früher einen Film auf 16mm ein Jahr hat auswerten können, dann reduziert sich das auf ein halbes Jahr, und es wird immer kürzer. Man muss also schon sehr viel anbieten. Man kann auch sehen, dass sich das Verhalten der Spielstellen an dem Kinoprogramm orientiert.
Ich denke, dass es diesen nicht-gewerblichen Bereich weiterhin geben wird. Vielleicht kann der 16mm-Film eine Renaissance erleben aufgrund der vielen Multiplexe, die es geben wird. Denn da wird es Landstriche ohne gewerbliches Kino geben. Im Einflussbereich von Multiplexen werden sicherlich Kinos in nicht unerheblicher Anzahl ihre Pforten schließen müssen. Wenn solche Landstriche unterversorgt sind, sehe ich wiederum eine starke Chance der nicht-gewerblichen Filmarbeit. Ob es dann Zelluloid ist oder Video oder CD, da muss man die Entwicklung abwarten, insbesondere die Projektionsleistung. Die Grenzen werden schwimmend sein, man wird den nicht-gewerblichen Bereich nicht mehr am Trägermedium festmachen können."

Haben Sie auch in den Vorjahren rund zehn Filme pro Jahr gestartet?
"Ja, das ist so eine Kontinuität. Was abnimmt, ist das sogenannte Repertoire, das wir 1994 und 1995 ausgekramt haben. In diesem Jahr reduziert sich das auf vier Titel. Was noch da liegt, sind die Kurzgeschichten von Astrid Lindgren, die wir wieder für's Kino verfügbar machen werden, aber erst im nächsten Jahr. Wir müssen also schon sehr genau sehen, was es an neuen Sachen gibt."

Stehen denn schon neue Filme fest?
"Wir werden im nächsten Jahr zwei neue Produktionen herausbringen. Eine vielleicht noch in diesem Jahr, das hängt davon ab, wie schnell der Film 'Der verzauberte Einbrecher' von Rolf Losansky fertig sein wird. Er soll Ende August abgedreht sein. Der zweite Film wird 'Dizzy, lieber Dizzy' von Steffi Kammermeier sein, der schon abgedreht, aber noch nicht fertig ist. Der Film ist auf Super-16 produziert, und es ist ein Drama, den wieder auf 35mm aufzublasen."

Wie schätzen Sie die derzeitige Kinderfilmproduktion im Hinblick auf die Kinoauswertung ein?
"Schwierig, schwierig, schwierig. Man hat es ja gerade wieder gesehen beim Film "Die Spur der roten Fässer", was ja nun kein so grandioser Kinoerfolg war trotz des gigantischen Aufwands. Wenn es keine klassischen Stoffe sind, ist es ohnehin schwierig. Wenn es ein Film für die Altersgruppe ab zehn ist, ist das nur mit äußerster Vorsicht fürs Verleihgeschäft dienlich. Das ist so eine Zielgruppe, die sich eindeutig am amerikanischen Kino orientiert, das, was im Kino unter dem Stichwort 'Family Entertainment' läuft. Also wir schauen schon, dass unsere Filme eine Zielgruppe ab fünf, sechs ansprechen. Alles andere ist mit so vielen Risiken behaftet. Wir haben das ja im letzten Sommer mit 'Cooler Sommer' versucht, der sehr schön ist, aber trotzdem ein Desaster war. Wir haben uns schon eindeutig die Nische des Nachmittagskinos ausgeguckt."

Mit wie vielen Kopien starten Sie einen Film gewöhnlich?
"Zwischen zehn und sechzig. Je nachdem, wie wir den Film einschätzen von der Zielgruppe her und den Reaktionen der Kinos."

Wo wollen Sie die geplante Koproduktion ansiedeln?
"Dafür wird eine neue eigenständige Firma gegründet, die an die beiden Firmen angebunden sein wird. Schwerpunktmäßig wird sie sich um den Kinderfilm kümmern. Im Übrigen bemühen wir uns immer um kleine Einheiten."

Denken Sie da auch an internationale Koproduktionen?
"Ja, mit osteuropäischen Partnern sicherlich. Die haben ja das Know How, auf das wir zurückgreifen können. Sie haben das Kinderfilm-Machen nicht verlernt. Und unter dem Kostenaspekt sowieso. Es bestehen auch schon Kontakte."

Stichwort Verleihförderung – wo sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten?
"Das Problem bei der Verleihförderung ist, dass die Verleiher der kleinen Kinderfilme immer im Nachteil sind im Vergleich zu den anderen. Bei allen Förderungen liegt der Eigenanteil zwischen 30 und 50 Prozent. Wenn der dann eingespielt ist, muss man brav zurückführen. Für uns ist das aber sehr schwierig, weil die Eintrittspreise der Nachmittagsvorstellungen bei vier, fünf, maximal sechs Mark liegen. Für die Verleiher von Erwachsenenfilmen ist die Rückführung bei zwölf Mark Eintritt viel leichter. Das heißt, wir müssen grundsätzlich immer die doppelte Zahl an Besuchern machen. Wenn wir einen Film mit 100.000 Besuchern haben, reichen dem Erwachsenenfilm 50.000. Das ist die entscheidende Ungerechtigkeit. Außerdem muss man bedenken, dass der Eintritt in den neuen Ländern teilweise bei zwei oder drei Mark liegt. Und da können wir nicht sagen, die beliefern wir nicht."

Was müsste man ändern?
"Die FFA sagt zum Beispiel, beim Kinderfilm beträgt der Eigenanteil 30 Prozent, das ist eine Größenordnung, mit der man leben kann. Damit man die gleichen Startvoraussetzungen hat, sollte der Anteil zwischen zwanzig und dreißig Prozent liegen, je nach Bundesland."

Wie sehen Sie allgemein die Perspektiven des Kinderkinos?
"Die Anzahl der Kinos, die Kinderfilme spielen, wird wachsen. Die Multiplexe machen das marketingmäßig sehr schlau. Für die ist das ein Serviceangebot. Viele andere Kinos haben das über die Jahre hin schlicht und einfach verschlafen. Bei zehn Sälen wird es immer die Nachmittagsschiene geben, auf der man nicht immer Erwachsenenfilme zeigen kann. Da braucht man Filme, die diese Uhrzeit ausfüllen. Wenn man das ordentlich macht, wird das auch so funktionieren. Alle Multiplexe in Deutschland haben ein festes, kontinuierliches Kinderprogramm. Da laufen drei, vier Kinderfilme täglich. Und der Satz 'Die Kinder sind das Publikum von morgen' ist für die kein Lippenbekenntnis in Sonntagsreden, die meinen das wirklich ernst. Viele Einzelkinos und kleinere Center nehmen den Satz einfach nicht ernst."

Interview: Reinhard Kleber

 

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