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Ausgabe 70-2/1997

DER FLUG DES ALBATROS

Produktion: Fritz Wagner Filmproduktion / Top Shelf Productions; Deutschland / Neuseeland 1995 – Regie: Werner Meyer – Buch: Riwia Brown, nach dem Roman von Deborah Savage – Kamera: Martin Gressmann – Schnitt: Mike Horton – Musik: Jan Preston – Darsteller: Julia Brendler (Sarah), Taungaroa Emile (Mako), Suzanne von Borsody (Claudia), Peter Schmode (Walter), Diana Ngaromotu-Heka (Mari), Jack Thompson (Mike) u. a. – Länge: 93 Min. – Farbe – 35mm – Weltvertrieb: Pinnacle Pictures, 105 Ladbroke Grove, London W11 1TG, Tel. 0044-171-4683443, Fax 0044-171-4683455 – Altersempfehlung: ab 12 J.

Die 16-jährige Sarah lebt in Berlin. Sie hat die Aufnahmeprüfung für die Musikhochschule nicht bestanden. Die daraus folgende Krise versucht sie zu bewältigen, indem sie zu der getrennt von der Familie lebenden Mutter nach Neuseeland fliegt. Mit dem Habitus des recht wohlhabenden mitteleuropäischen Stadtmenschen kommt sie als das personifizierte Fremde in ein kleines Fischerdorf, wo Nachfahren weißer Siedler und einst von den polynesischen Inseln kommende Maoris gemeinsam ihrem Tagwerk nachgehen. Sarah tastet sich langsam in die unbekannte Welt vor. Dabei begegnet sie dem Maori-Jungen Mako. Auch er, der gerade aus dem Gefängnis auf Bewährung entlassen wurde, ist ein Außenseiter. Beide brechen oft aus den geltenden Normen aus. Teils geschieht das aus Ungeschicklichkeit, teils aus Neugierde und zu einem gewissen Teil auch aus Protest gegen das scheinbar so harmonisch geregelte dörfliche Leben. Dabei kommt es zu Konflikten mit den Eltern oder den Nachbarn. In der Auseinandersetzung verändern sich sowohl bei Sarah als auch bei Mako Haltungen zu sich selbst und zu der sie umgebenden Welt.

Zugespitzt wird die Handlung durch die Konfrontation der beiden Fremden mit dem Glauben der Maoris an Geister, Symbole und alte Legenden. Sarah befreit einen Albatros aus einem Fischernetz. Sie pflegt den verletzten Vogel zwischen den Klippen. Was sie nicht ahnt, ist der Umstand, dass die Maoris daran glauben, dass das Auftauchen eines Albatros die Ankunft eines Menschen verkündet, der den Fluch lösen kann, der auf dem "Berg der Tränen" lastet. Dort war einst eine heilige Grabstätte, die von Goldgräbern geschändet wurde. Zur Strafe füllte sich der Berg mit Wasser und jener Fluch hält die Seelen der Toten gefangen. Sarah ist es, die den Fluch von dem Berg nimmt, den eigentlich bei Strafe des Todes niemand betreten darf, und Mako steht ihr bei.

Der Regisseur Werner Meyer, einst sehr erfolgreich mit "Die Kinder aus Nr. 67" (Co-Regie mit Usch Barthelmes-Weller), lebt seit einigen Jahren überwiegend in Neuseeland. Ihn fasziniert dort das Zusammentreffen mit einer völlig anderen Kultur. Es gibt dabei Reibungspunkte, die sehr produktiv sind. In der Auseinandersetzung mit dem Fremden wird die nationale Beschränktheit aufgehoben. Intensives Erleben zeigt ihm, dass die Gefühle und Sehnsüchte der Menschen überall ähnlich sind. Allerdings gibt es verschiedene kulturelle Wurzeln, die die Form des Ausdrucks für diese Gefühle und Sehnsüchte unterschiedlich sein lassen. Diese selbst gemachten Erfahrungen fand Meyer in einem Kinderbuch der Amerikanerin Deborah Savage wieder. Gemeinsam mit der Drehbuchautorin Riwia Brown (u. a. "Die letzte Kriegerin") entwickelte er daraus die Vorlage für seinen Film.

Überzeugend wird die interkulturelle Liebesbeziehung zwischen Sarah und Mako in das Zentrum des Geschehens gesetzt. Diese Liebesgeschichte hält die Handlung auch dann zusammen, wenn historische und mythologische Anspielungen in gar zu geballter Form Verwirrung zu stiften drohen. Die Protagonisten werden in ihrem ausdrucksstarken Spiel zu Identifikationsfiguren für die jungen Zuschauer. Nicht zuletzt war es das, was die Jury des Berliner Kinderfilmfestes zur Entscheidung kommen ließ, diesen Film beim 97er Wettbewerb auszuzeichnen.

Klaus-Dieter Felsmann

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 70-2/1997 - Kinder-Film-Kritik - Der Flug des Albatros
KJK 69-2/1997 - Interview - "Als Regisseur ist man immer ein Grenzgänger"

 

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