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Ausgabe 87-3/2001

VERSPRECHEN – PROMISES

PROMISES

Produktion: Promises Film Company; USA / Israel 2001 – Produzenten: Justine Shapiro, B. Z. Goldberg – Regie: Justine Shapiro – Buch: Stephen Most – Kamera: Yoran Millo, Flan Buchbinder – Schnitt: Carlos Bolado – Musik: Rogelio Villanueva – Länge: 106 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Annie Roney / RoCo Films International, e-mail: annie@rasfilms.com – In Vorbereitung: eine deutsche Fernseh- und Kinofassung von 83 Min. Länge (Neuzeit-Film Frankfurt, Tel. 069-4057 8310, Frau Angie Koch: 069-4057 8311) – Altersempfehlung: ab 12 J.

Der in Rotterdam und San Francisco preisgekrönte Dokumentarfilm "Promises" wurde als wichtigste Produktion des Münchner Filmfests 2001 angesehen und von Koproduzent B. Z. Goldberg bei beiden Vorführungen begleitet. Er behandelt die Geschichte und die Auswirkungen des Nahost-Konflikts. Das geschieht vor allem durch Aussagen von sieben Heranwachsenden zwischen Kindes- und Jugendlichenalter, die in und um Jerusalem herum leben. Die Arbeit am Film erstreckte sich über vier Jahre – ein Zeitraum, der eine vertraute Atmosphäre schuf und sehr intime Milieustudien ermöglichte. Angesichts der Vielschichtigkeit der israelischen wie auch der palästinensischen Bevölkerung ist die Auswahl nicht repräsentativ.

Israel ist vertreten durch vier Jungen, von denen drei in Jerusalem leben: Shlomo, der Sohn eines amerikanischen Rabbiners, und die Zwillinge Yarko und Daniel. Moishe liefert als Kind, das hinter schützenden Gittern in der Siedlung Beit El im Palästinensergebiet lebt, "typische" Statements ab – wie man sie als deutscher Durchschnittsmensch von "verbohrten" Juden erwartet. Von den drei Palästinenserkindern leben Farad und das einzige Mädchen im Film, Sanabel, im Flüchtlingslager Deheische, der Sohn eines Kaffeehändlers, Mohammed, in Ostjerusalem. Sanabels Vater ist Journalist und sitzt ohne Gerichtsverfahren in einem israelischen Gefängnis. Den knappen Kommentar stützen Milieustudien, Luftaufnahmen, Archivbilder und klar strukturierte Übersichtskarten. Er ruft unter anderem ins Gedächtnis, dass nach dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 750.000 Palästinenser flüchteten oder vertrieben wurden und dass sich nach den Kriegen von 1967 und 1973 150.000 jüdische Siedler in den eroberten Gebieten niederließen. Allein diese beiden folgenreichen und bis heute nicht angepackten Erblasten scheinen in den Äußerungen der Kinder immer wieder durch: Das Siedlerkind fordert "unser Land" mit Hinweis auf die Bibel, das Gleiche fordern die palästinensischen Kinder mit Hinweis auf Urkunden, die Landbesitz dokumentieren. Beide Seiten haben ihre Märtyrer. Und sie haben Angst.

So sind denn auch Kontroversen um den Film zu erwarten. Ein Vorgeschmack darauf war die Ablehnung des Films durch die Eltern Shlomos, der im Film durch seine rhetorische und gedankliche Meisterschaft besticht: Juden dürften Juden nicht öffentlich tadeln. Der Film "kritisiert" aber gar nicht, er erinnert nur an die Fakten, stellt Meinungen einander gegenüber, die sich die Kinder gebildet oder die sie übernommen haben. Natürlich zeigt er viele Missstände quasi en passant. So z. B. junge israelische Soldaten ohne Arabischkenntnisse, die an "Checkpoints" Dienst tun, Palästinenser sorgfältig kontrollieren und auch zurückweisen, aber Israelis einfach durchwinken, oder die völlig überfordert vom Besucheransturm auf das Gefängnis sind.

Der Film zeigt aber auch die beiden arabischen Jungen, die sich an Goldberg schmiegen, Farad hemmungslos weinend, weil er nach dem Film nicht mehr besucht werden wird und Mohammed, der verzweifelt versucht, Goldbergs Judentum zu "relativieren". Er dokumentiert einen Besuch mit der Großmutter, die nach über 50 Jahren in die Ruinen ihres Heimatdorfes zurückkehrt und ihrem Enkel Farad in einem symbolischen Akt die Hausschlüssel überreicht. Er beobachtet Moishes Schwester, die ausführlich den Sabbat-Ablauf erläutert und dabei versucht, zwei gestapelte Stühle auseinander zu bringen. Und er lässt die Ratlosigkeit von Yarko und Daniel erkennen, die vor den Orthodoxen an der Klagemauer erschrecken, deren liberale Eltern ihnen aber auch ermöglichen, die beiden palästinensischen Kinder im Flüchtlingslager zu besuchen.

Zwei Jahre danach geben alle noch ein Statement zu den Kernfragen des Films ab: Können Kinder und Jugendliche zum Verstehen beider Seiten beitragen, macht es Sinn, dass sich Jugendliche ihres Alters treffen, können sie, die Kinder, durch Verständigung und durch Begegnungen die drohende Krise verhindern? Die Arbeit am Film wurde kurz vor der neuen Intifada beendet. Man verspürt Hoffnung. Sie ist zunichte geworden – Treffen zwischen Palästinensern und Israelis sind nicht mehr möglich. Goldberg sieht sehr schwere Zeiten kommen: "Eine Tragödie ist, wenn beide Recht haben."

Christl Grunwald-Merz

 

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