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Ausgabe 58-2/1994

KALLE UND DIE ENGEL

KALLE OG ENGLENE

Produktion: Kjeruben-Film / Oslo Film / Mekano Pictures AB, Norwegen / Schweden 1993 – Regie: Ole Björn Salvesen – Buch: Ole Björn Salvesen, Knell Sundstedt – Kamera: Erling Thurmann-Andersen – Schnitt: Susann Linnman – Musik: Gunnar Edander – Darsteller: Tom Beck Letessiér (Kalle), Karl Sundby (Mikael), Unni Kristin Skagestad (Mutter), Helge Jordal (Vater) u.a. – Länge: 85 Min. – Farbe – Weltvertrieb: J & M Entertainment, 2 Dorset Square, London NW1 6PU, Großbritannien, Tel. (071) 7246544, Fax (071) 7247541 – Altersempfehlung: ab 8 J.

"Kalle und die Engel" von Ole Björn Salvesen war der Eröffnungsfilm des diesjährigen Kinderfilmfestes im Rahmen der 44. Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Ein Festival – ein fröhliches und ausgelassenes Ereignis – mit dem Tod des über alles geliebten Vater und besten Freundes an den Anfang zu stellen, ist das nicht sehr gewagt? Mitnichten, wenn es sich um einen solch eindrucksvollen Film wie "Kalle und die Engel" handelt. Die Skandinavier, diesmal diese norwegisch/schwedische Koproduktion, haben es mal wieder bewiesen, dass die Inszenierung von Vergänglichkeit nicht nur abgrundtief schwermütig umgesetzt werden muss, sondern bei allem Ernst und aller Tragik eines derartigen Ereignisses ein leichter, ruhiger und auch heiterer Film angemessen sein kann und trotzdem der Verlust des nahe stehenden Vaters und die notwendige Trauer(arbeit) entsprechend sensibel und behutsam filmisch ausgelotet werden kann. Der Tod und die unbeschwerte Kindheit sind zwei Aspekte unseres Lebens, die nicht so gerne – zumindest von uns Erwachsenen – in Verbindung gebracht werden. Dabei gehört auch der Tod und der damit verbundene Abschied von einem Menschen oder einem Tier durchaus zur Lebenswirklichkeit von Kindern, und sie haben oft eine ganz eigenwillige Art, sich damit auseinander zu setzen, verdrängen vielleicht viel weniger als wir Erwachsenen es tun und suchen nach ihnen angemessenen Verarbeitungsmöglichkeiten eines solchen Schicksalsschlages.

So auch der achtjährige Kalle: Sein Vater bedeutet ihm alles, er ist Identifikationsfigur und großer Freund zugleich, immer zu Späßen aufgelegt, und sie haben noch so viele Pläne: Der Kampf zur Rettung der Umwelt und die Familienferien bei den Großeltern auf dem Land, wo sie zusammen einen Segelgleiter bauen wollen, mit dem der Vater Flugblätter für ihre Aktion "Saubere Luft für alle" abwerfen will. Und dabei passiert es: Beim ersten Start stürzt der Vater ab. Salvesen zeigt diese Szene nur in Andeutungen, er hat mehr das entsetzte und zugleich ungläubige Gesicht Kalles im Bild – sehr viel eindrucksvoller als eine spektakuläre Absturzsequenz. Hat Kalle den Vater beim Start noch gefragt, wie hoch er zu fliegen gedenke und als Antwort "Vielleicht bis zu den Engeln!" erhalten, so nimmt er diese letzten Worte des Vaters sehr ernst: Er wird bei den Engeln sein, war doch bei der Beerdigung tatsächlich draußen vor der Kirche eine engelsgleiche Gestalt vorbeigehuscht. Kalle ist sich ganz sicher, dass der Vater auf einer Wolke schwebt und nur warten muss, bis es gewittert. Dann kommt der Vater zurück auf die Erde. Da ist er sich mit seiner Freundin Maria einig. Und tatsächlich, eines Morgens hängt ein Engel im Obstbaum des großelterlichen Gartens, nur ist es nicht sein Vater ...

Der Film endet mit einem "Fast alles ist möglich!" – und diesen Optimismus strahlt jede Szene von "Kalle und die Engel" aus, mag der Anlass auch oft noch so traurig sein. Salvesen findet dafür poetische Bilder in langen, nachdenklichen und ruhigen Einstellungen, etwa wenn er Kalle nach dem Absturz des Vaters auf dem Bett liegend von oben aufnimmt, wie er trauernd und sinnierend vor sich hin starrt. Überhaupt fängt der Film sehr eindrucksvoll Stimmungen und Lebensgefühle ein, z. B. wenn es um die ersten pubertären Regungen von Kalles älterem Bruder geht oder die Atmosphäre der Sechziger Jahre, in denen der Film spielt. Ole Björn Salvesen erhielt für dieses Spielfilmdebüt den zum ersten Mal vergebenen Kinderfilmpreis der nordischen Filminstitute bei den 35. Nordischen Filmtagen in Lübeck. Herzlichen Glückwunsch nachträglich!

Thomas Thiel / Constanze Edinger

 

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Ausgabe 58-2/1994

 

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