Produktion: Ottokar Runze Filmproduktion / Ylham-Studios Aschchabat / CineScreen / HR / WDR, Deutschland / Turkmenistan 1992/93 – Regie: Arend Agthe – Buch: Arend Agthe, Usman Saparov – Kamera: Michael Wiesweg – Schnitt: Ursula Höf – Musik: Matthias Raue, Martin Cyrus – Darsteller: Max Kullmann (Robert), Murat Orasov (Murad), Pjotr Olev (Pjotr), Neidhardt Riedel (Jansen, Roberts Vater) u. a. – Länge: 98 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Connexion Film, Harvestehuder Weg 45, 20149 Hamburg, Tel. (040) 419970, Fax (040) 4199799) – Altersempfehlung: ab 8 J.
"Karakum" ist turkmenisch und bedeutet so viel wie "schwarze Erde" – hinter diesem geheimnisvollen Namen verbirgt sich eine riesige Sand- und Salzwüste im Süden Turkmenistans. Es ist aber auch gleichzeitig der Titel des neuen Films von Arend Agthe ("Flussfahrt mit Huhn", "Küken für Kairo", "Der Sommer des Falken" u.v.m.). Wie oft ist sie schon erzählt worden, die Geschichte vom Überlebenskampf in einer endlosen Wüste, unter gleißender Sonne, ohne Wasser und jede Hoffnung auf Hilfe. Aber Arend Agthe hat daraus einen überaus spannenden Abenteuerfilm gemacht – in bester Tradition großen Hollywood-Erzählkinos – und dabei die Perspektive der beiden jugendlichen Hauptdarsteller gewählt, die auf ihre eigene Kraft und Phantasie vertrauen, um aus einer schier ausweglosen und lebensgefährlichen Situation zu entkommen.
Doch beginnen wir am Anfang der Geschichte: Ganz allein macht sich der 13-jährige Robert in den Sommerferien von Hamburg aus auf den Weg zu seinem Vater, der als Ingenieur bei einem Erdgasprojekt in der Wüste Karakum arbeitet. Gemeinsam wollen sie Urlaub machen, die Wüste erkunden und bis zum Kaspischen Meer fahren. Als Robert in Nebyt Dag, dem nächstgelegenen Flughafen, landet, erwartet ihn dort jedoch nicht – wie vereinbart – sein Vater, sondern Pjotr, der verwegen aussehende Fahrer des Camps, um ihn und eine auf der Bohrstation sehnlichst erwartete teure Gasturbine abzuholen und ins Lager zu bringen. Auf der Fahrt dorthin nehmen sie in einem Dorf noch Murad, den ebenfalls 13-jährigen Neffen von Pjotr, mit. Auch er will seinen Vater, der eine große Schafherde bei einer entfernt gelegenen Oase hütet, besuchen. Wenig später gesellt sich ein weiterer Passagier zu ihnen, eine freilaufende Ziege – Ursache all ihrer späteren Abenteuer. Aber das ahnen sie jetzt noch nicht.
Auf ihrer Fahrt zum Camp macht Pjotr einen Umweg, um in einer alten Ruine ein geheimnisvolles Päckchen zu deponieren. Murad beobachtet ihn dabei, kann sich aber zunächst keinen Reim darauf machen. Wie sich später herausstellt, arbeitet Pjotr als Kurier für Rauschgifthändler. 200 km abseits von der regulären Route bleibt der LKW mitten in der Wüste mit einer Panne liegen: Der Kühler leckt und die wenigen Wasservorräte sind von der Ziege getrunken worden, ebenfalls das verbliebene rostige Kühlwasser. Unbarmherzig brennt die Sonne auf alle runter, und keine Wasserstelle ist in Sicht. Pjotr, dem die Gegend einigermaßen vertraut ist, macht sich zu Fuß auf den Weg, um Wasser zu holen. Die Zeit vergeht und die Verzweiflung der beiden Jungen, die sich kaum verständigen können, da der eine nur deutsch, der andere nur turkmenisch spricht, wächst. Die Szenen, wie sich die beiden pantomimisch, mit Händen und Füßen, verständigen und sich dabei immer besser verstehen, gehören zu den stärksten Momenten des Films.
Inzwischen hat Roberts Vater – besorgt wegen des Ausbleibens seines Sohnes – eine große Suchaktion mit Flugzeugen und Hubschraubern gestartet. Robert und Murad müssen jedoch untätig zusehen, wie ein Suchhubschrauber in Sichtweite an ihnen vorbeifliegt, ohne sie zu bemerken. Da kommt Robert die geniale Idee, aus all dem Material, das sie auf dem LKW finden, einen Strandsegler zu bauen, mit dem sie sich auf den Weg durch die Salzwüste machen können. Gesagt getan, aber damit fängt ihr eigentliches Wüstenabenteuer erst richtig an ...
"Karakum" – mit ausgezeichneten Schauspielern besetzt, wobei die beiden jugendlichen Hauptdarsteller Max Kullmann und Murat Orasov sowie Pjotr Olev, der den zwielichtigen LKW-Fahrer spielt, hervorzuheben sind – zieht einen von Anfang an in seinen Bann, ein Film voller Spannung, Abenteuer, wunderbaren Wüstenbildern (die ein wenig an die Fotografien von Otl Aicher aus der Sahara erinnern) und auch ein Film über eine langsam wachsende Freundschaft zwischen zwei Gleichaltrigen aus ganz verschiedenen Kulturkreisen: Ein Film, der zu Recht beim Kinderfilmfest der diesjährigen internationalen Filmfestspiele Berlin mit dem UNICEF-Preis der Erwachsenenjury ausgezeichnet wurde.
Über die schwierigen Produktionsbedingungen dieser deutsch/turkmenischen Koproduktion (für das Buch zeichnet neben Arend Agthe auch Usman Saparov verantwortlich, der im letzten Jahr beim Kinderfilmfest für sein Engelchen, mach Freude von der Kinderjury den Preis bekam) ist in der KJK schon ausführlich die Rede gewesen (siehe Nr. 55-3/1993). Es lässt sich aber auch noch einmal in dem bei Rowohlt erschienenen Buch zum Film nachlesen (Mario Giordano: Karakum – Abenteuer in der Salzwüste, rororo Rotfuchs, Rowohlt Verlag 1993). Dieses kleine Taschenbuch bietet neben der Filmerzählung, die nach dem Drehbuch und dem fertigen Film von Giordano geschrieben wurde, einen ausführlichen Bildteil mit aufschlussreichen Fotos von den Dreharbeiten und einen gut lesbaren, erläuternden Text vom Regisseur selbst zu den Hintergründen und Produktionsbedingungen des Films. Neben der Kinofassung, die demnächst zu sehen sein wird, gibt es – wie häufig bei Agthe – auch eine mehrteilige Fernsehfassung.
Thomas Thiel
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Kinder-Film-Kritik
"Der Film war spannend und aufregend. Die beiden Jungen haben kein Wort voneinander verstanden, doch der Film war keineswegs ein Stummfilm. Der Regisseur versteht es, Spannung zu erzeugen. Seine Filme haben mich bisher nicht enttäuscht. Der 'Sommer des Falken' war auch sehr gut." (Katarina, 12 Jahre)
"An dem Film besonders gut gefallen haben mir: Die enorme Spannung und Stimmigkeit der Geschichte, das intensive Spiel aller Schauspieler, auch von Murad und Pjotr, die tollen Landschaftssaufnahmen – und das (wider Erwarten!) doch noch glückliche Ende. Hoffentlich wird dieser großartige Film bald in ganz vielen Kinos gezeigt, damit ihn noch viel mehr Leute sehen können." (Ingrid, 14 Jahre)
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 95-2/2003 - Interview - "Ich bin liebend gern zum Kinderfilm zurückgekommen "
KJK 55-2/1993 - Interview - "Wer solche Filme macht, muss einen langen Atem haben"
KARAKUM im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.
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