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Ausgabe 88-4/2001

ENGEL & JOE

Produktion: Neue Impuls Film, in Koproduktion mit Prokino und WDR; Deutschland 2001 – Regie: Vanessa Jopp – Buch: Kai Hermann, Vanessa Jopp, Oliver Simon – Kamera: Judith Kaufmann – Schnitt: Martina Matuschewski – Musik: Beckmann – Darsteller: Robert Stadlober (Engel), Jana Pallaske (Joe), Mirko Lang (Alex), Nadja Bobyleva (Asi) u. a. – Länge: 95 Min. – Farbe – FSK: ab 12 – Verleih: Prokino (35mm) – Altersempfehlung: ab 14 J.

Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit der Mutter haut Joe, 15, mit richtigem Namen Johanna, von zu Hause ab. Sie trifft auf Engel, 17, der nicht nur so mit Nachnamen heißt, sondern auch so aussehen kann. Er ist stolz, ein Punker zu sein, ein cooler Anarchist mit eigenen Vorstellungen vom Leben, rauchend und trinkend hängt er mit seinen Szene-Freunden auf dem Kölner Domplatz herum. Als erfahrenes Straßenkind checkt er sogleich, was mit Joe los ist. Sie gefällt ihm, er macht sie an und überredet sie, mit ihm in seinen Unterschlupf zu gehen. Hier in der Ruhe eines Abrisshauses entsteht Intimität, zwei Einsame kommen sich nahe. Als Engel mit ihr schlafen will, stoppt sie sein routiniertes Vorgehen. So möchte sie das nicht – beim ersten Mal ...

Sie finden sich wieder, Missverständnisse, Streit, Versöhnung, Zärtlichkeit und ein Versprechen. Beide erkennen, dass es Liebe ist, was sie füreinander empfinden, die erste große Liebe, radikal und konsequent. Wie Ertrinkende klammern sie sich aneinander. Die Liebe macht sie stark, aber das Leben draußen ist stärker ... Engel landet erstmals im Knast. Nach seiner Entlassung sagt Joe ihm, dass sie schwanger ist und dass das Baby auch von einem andern sein kann. Engel ist glücklich, egal wer der biologische Vater ist. Sie freuen sich auf das Kind, sehnen sich nach einem ganz normalen Zuhause. Doch wo kann das sein? Das Kind wird in der Klinik geboren. Engel ist hingerissen von dem Baby, das sie Moses nennen – wie jener starke Typ aus der Bibel, der in einem Körbchen ausgesetzt wurde. Engel verspricht ein Zuhause nach dem Klinikaufenthalt, versucht es mit Arbeit, macht einen Raubüberfall. Schnitt. Zwei Jahre später. Joe zu Hause bei ihrer Mutter mit dem Kind auf dem Schoß. Es ist Weihnachten und heile Welt wird zelebriert. Engel bricht herein, leidenschaftlich, zornig, fordernd. Joe lässt sich von ihm fortreißen aus dem Spießerleben, möchte an seinen Traum glauben von einem Leben in Tirol, wo die Sonne über den Berggipfeln aufgeht, wo es Wiesen gibt und Kühe, wo man frei und gesund in einer Anarcho-Kommune leben kann.

Das Drama nimmt seinen Lauf. Joe realisiert, dass Engel im Knast zum Junkie geworden ist und geht anschaffen – für ihn, für Moses und für die Fahrkarten nach Tirol. Das Schlussbild beschwört die Erfüllung des Traums von einer Welt, in der auch Platz ist für diese Familie. Da sitzen sie, Joe, Moses und Engel, in der Wärme des Zugabteils, im Licht der aufgehenden Wintersonne über den Tiroler Bergen, das sich auf ihren erschöpften Gesichtern widerspiegelt. Man wünscht ihnen von Herzen, dass sie ankommen und weiß doch, dass es wieder nur ein glücklicher Moment ist. Dass ihr Traum ein Traum bleiben wird.

Diesem Film liegt die authentische Geschichte von Zottel und Hexe zu Grunde, die im "Stern" unter dem Titel "Eine Liebe in Berlin" erschien. Kai Hermann, Autor der Stern-Reportage und Co-Autor von "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", hat auch das Drehbuch für "Engel und Joe" geschrieben, zusammen mit Oliver Simon und Vanessa Jopp, der Regisseurin. Es gibt gravierende Änderungen schon deshalb, weil die Story vom Ostberliner Alexanderplatz auf den Kölner Domplatz verlegt wurde. Die erste große Liebe – das war Vanessa Jopps Thema in "Vergiss Amerika" und das ist es auch hier. Der Film lebt von ihrem Regietalent, von dem Respekt und der Liebe, die sie ihren Protagonisten entgegen bringt. Von dem Raum, den sie ihren beiden Hauptdarstellern lässt, Robert Stadlober ("Crazy") als Engel und Jana Pallaske ("alaska.de") als Joe. Die Liebesszenen sind von poetischer ruhiger Kraft, die Kamera verweilt auf den Gesichtern, liest in den Augen. Dann wieder die schnellen Schnitte, bewegte Kamera, atemlos, rhythmisch – wie die Musik.

"Engel & Joe" ist ein berührender, schmerzvoller und trauriger Film über zwei junge Menschen, die der Realität die Kraft ihrer Liebe entgegen stellen und die daran glauben, dass sie das wirkliche Leben noch vor sich haben. Dabei stecken sie schon mitten drin. Sie haben keine Zukunft – wie auch Hexe nicht, das Mädchen aus der Stern-Reportage, das vor einigen Wochen gestorben ist ...

Gudrun Lukasz-Aden

 

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