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Ausgabe 95-3/2003

GANZ UND GAR

Produktion: Olga Film GmbH / Seven Pictures Film; Deutschland 2002 – Regie: Marco Kreuzpaintner – Buch: Maggie Peren – Kamera: Daniel Gottschalk – Schnitt: Dunja Campregher – Musik: Koffler und Löhn – Darsteller: David Rott (Torge), Mira Bartuschek (Lisa), Hanno Koffler (Micha), Maggie Peren (Geli), Oliver Boysen (Holger), Diana Amft (Alex), Herbert Knaup (Vater) u. a. – Länge: 93 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Constantin (35mm) – Altersempfehlung: ab 12 J.

Torge ist ein Typ, dem alles zufällt, vor allem Mädchen und junge Frauen. Getreu dem Motto "Wir sind jung und die Welt steht uns offen" verbringt er sein Leben mit seinen Freunden Holger und Micha sowie Lisa, Alex und Geli aus der Wasserballettgruppe. Die Zeit der jugendlichen Unbekümmertheit nimmt ein jähes Ende, als Torge von einem Baugerüst fällt und einen Unterschenkel verliert. Der Draufgänger muss nicht nur mit der körperlichen Beeinträchtigung klar kommen, sondern auch mit dem tiefen seelischen Schmerz, den er mit Zynismus und Großspurigkeit zu überspielen versucht. Dabei nimmt er wenig Rücksicht auf die Gefühle seiner Mitmenschen und ignoriert die Belastungsproben, denen die Freundschaft zu seiner Clique ausgesetzt ist. Als Alex und Holger heiraten, bekommt er Torschlusspanik. Mit Micha wettet er um seine Ex-Freundin Lisa, die ein Geschäft für Brautartikel betreibt. Lisa hatte sich geweigert, Micha zu heiraten. Tatsächlich verliebt sich die pragmatische junge Frau in den Behinderten, doch dann lässt Micha die Wette auffliegen.

Der Münchner Regisseur Marco Kreuzpaintner (Jahrgang 1977) wagte sich in seinem Langfilmdebüt an das Behinderten-Thema, bewältigt die heikle Balance zwischen Euphorie und Depression, Melodramatik und Humor bravourös. Kreuzpaintner, der zwei Jahre beim Regie-Altmeister Edgar Reitz assistierte, schildert die schwierige Phase im Leben junger Menschen, in der aus Träumen Tatsachen oder auch Albträume werden, mit viel Fingerspitzengefühl. In dem Stoff erkenne er "viele Typen aus meinem eigenen Leben wieder", betont der Regisseur, "Verwandte, Bekannte und Freunde. Menschen aus Fleisch und Blut. Ich hatte mir vorgenommen, diesen Figuren mit Liebe zu begegnen, sie authentisch in ihrem Umfeld zu zeichnen und dabei das Komische im Tragischen zu suchen."

Als Vorbild für den Inszenierungsstil gab der Jungfilmer in einem Interview die Tonart des skandinavischen Programmkinoknüllers "Italienisch für Anfänger" von Lone Scherfig an. In der Tat gelingen ihm des Öfteren anrührende Momente, etwa bei der Schilderung von Torges Anfällen von Verzweiflung und Selbstmitleid oder bei den amourösen Irrungen und Wirrungen der Sechsergruppe. Wenn die drei jungen Männer sich bei Biergelagen vergnügen oder sich zu riskanten Mutproben herausfordern, genehmigt sich Kreuzpainter auch mal ein paar Albernheiten.

Gedreht wurde der Film in der brandenburgischen Kleinstadt Nauen, die – jenseits der gängigen Stadtkulissen von München, Berlin oder Köln – unverbrauchte Hintergründe mit offenkundigen sozialen Problemen bereitstellte.

Beim 24. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken, wo "Ganz und Gar" als Uraufführung im Wettbewerb lief, gewann David Rott, der vorwiegend am Deutschen Theater Berlin arbeitet, für seine Leistung als Torge den Preis für den besten Nachwuchsdarsteller. Verdient hätte ihn auch Mira Bartuschek als resolute und lebenskluge Lisa. Kreuzpaintner hat um die beiden Hauptfiguren ein homogenes Ensemble von soliden Nachwuchsdarstellern versammelt, darunter auch eine erfrischende Maggie Peren.

Maggie Peren schrieb auch das straff gebaute Drehbuch zu dem 1,7 Millionen Euro teuren Beziehungsdrama. Von ihr stammen bereits die Skripts zu dem viel gelobten Debüt "Vergiss Amerika" von Vanessa Jopp und zum Kinohit "Mädchen Mädchen"; allesamt Stoffe für ein jugendliches Publikum, die von kommerziell gefällig bis künstlerisch ambitioniert reichen. Allerdings ist die Story diesmal – ähnlich wie in der von ihr geschriebenen Beziehungskomödie "Kiss and Run" – doch ziemlich vorhersehbar und das Happy End sehr konventionell ausgefallen.

Reinhard Kleber

 

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