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Ausgabe 95-3/2003

PLATZANGST

Produktion: Sonnensegel e. V. Brandenburg; Deutschland 2002 – Regie: Heike Schober, Rene Zeuner – Buch: Heike Schober, Rene Zeuner – Kamera: Bernhard Keller – Schnitt: Michael Rother – Musik: Matthias Schwab – Darsteller: Marie Kunz, Christian Jahnke, Christian Kletsch, Julia Konopke, Detlev Buck, Heike Schober u. a. – Länge: 64 Min. – Information: Sonnensegel e.V., Gotthardtkirchplatz 4/5, D-14770 Brandenburg, Telefon 03381-522837, e-mail: sonnensegel@arcomail.de – Altersempfehlung: ab 14 J.

Innerhalb einer rechten Jugendgang versucht sich Martin gegenüber den Unsicherheiten des Lebens zu behaupten. Hier fühlt er sich geborgen und stark. Im Gegensatz zu den meisten seiner Freunde spürt der 16-Jährige aber auch die Enge und Perspektivlosigkeit, die von der geschlossenen Gruppe ausgeht. So nimmt es nicht Wunder, dass er für den Vorschlag eines Freundes aufgeschlossen ist, sich einer Theatergruppe anzuschließen. Dort findet er eine Herausforderung als Techniker und für sein zeichnerisches Talent bekommt Martin Anerkennung. Das sind für den Jungen ungewohnte Erfahrungen. Er, der in der Schule längst als Versager stigmatisiert worden ist und darauf mit trotziger Verweigerung reagiert, begreift, dass er als Individuum wichtig sein kann. Das und die sich bei den Proben entwickelnde Liebe zur gleichaltrigen Marina bringen ihn schließlich mehr und mehr in Konflikt zu seinen bisherigen Freunden.

Martin versucht zunächst, die sich auftuenden Gegensätze auszugleichen. Er lädt seine Freundin zu einer Skinheadparty ein und er sucht sich beim Kraftsport und bei Prügeleien zu behaupten. Doch die Zweifel werden größer, sowohl bei ihm als auch bei seinen Partnern.

Als sich herausstellt, dass Marina aus Russland stammt, für seine fremdenfeindlich orientierten Freunde ein unakzeptabler Umstand, muss sich Martin entscheiden. Zunächst nimmt seine Unsicherheit weiter zu, zumal er wegen einer brutalen Prügelei nicht nur Gewissensbisse hat, sondern auch noch eine Anzeige wegen Körperverletzung verkraften muss. Am liebsten würde er fliehen. Doch dann bekennt er sich zu Marina.

Die Geschichte von Heike Schober und Rene Zeuner knüpft authentisch an die Gefühlslage heutiger Jugendlicher in Deutschland an. Sie erzählt von deren Schwierigkeiten bei der Suche nach selbst bestimmter Identität innerhalb einer zunehmend widersprüchlich werdenden Welt. Dabei werden Entwicklungen kritisch hinterfragt, die Protagonisten aber niemals denunziert. Wenn das Auftreten der rechten Clique auch über die Erzählhaltung eindeutig abgelehnt wird, so wird deren Bedürfnis nach Geborgenheit und überschaubaren Strukturen durchaus Verständnis entgegen gebracht. Da ist ein Mädchen enttäuscht, wenn ihre Kochkünste nicht gewürdigt werden und die brutalen Schläger basteln mit kindlichem Gemüt an einem Piratenboot. Martin werden damit die Entscheidungen nicht leicht gemacht.

Um seinen Weg zu finden, muss er aus der Anonymität der Gruppe heraustreten. Er muss sich öffnen und sich zu seinen Gefühlen bekennen. Das bedeutet, dass er der beißenden Ironie des Lehrers, sehr gut gespielt von Detlev Buck, mehr als Trotz entgegen stellt. Das heißt aber auch, dass man seinen Frust nicht auf konstruierten Nebenschauplätzen abreagieren kann, sondern dass man sich den eigentlichen Ursachen stellen muss. Momentane Scheinlösungen, zumal gewaltsam gesucht, bedeuten letztendlich nur eine Zuspitzung der Konflikte.

Heike Schober hatte sich bereits mit dem Dokudrama "Puppen" (2000) dem Thema zugewandt. Beide Male konnte sie auf konkrete Erfahrungen innerhalb der Jugendarbeit des Vereins Sonnensegel zurückgreifen. Die Jugendlichen selber setzen sich in den Filmen spielerisch mit den Konflikten ihrer realen Lebenssituation auseinander. Das macht die Geschichten ehrlich und spannend. Genau das hat die Jugendjury beim Filmfestival "Schlingel" 2002 in Chemnitz gespürt, als sie für "Platzangst" ihren Hauptpreis vergab.

Was im Film allerdings mit Blick auf wirkliche Lebenskonflikte differenziert gezeichnet wird, bleibt in seiner filmischen Umsetzung recht einschichtig. Martins Entwicklung ist leicht voraussehbar. Was dem jungen Darsteller an mimischen Ausdrucksvarianten fehlt, sollen allzu bemüht musikalische Brücken ausgleichen. Die Nebenfiguren agieren überwiegend als typisierte Stichwortgeber ohne charakterliche Tiefe. Dennoch bleibt "Platzangst" eine wichtige Arbeit. Etwa im Gegensatz zu "Führer Ex" von Winfried Bonengel werden hier Jugendkonflikte, die auch zu extremen Formen rechter Gewalt führen können, nicht aus vereinfachten Klischeefragmenten erklärt, sondern aus nachvollziehbaren Lebenserfahrungen der Betroffenen selbst. Der Zuschauer wird nicht mit einem Gruseleffekt allein gelassen, sondern er hat die Chance, über die Identifizierung mit den Handelnden sich seinen eigenen Fragen und Problemen anzunähern.

Klaus-Dieter Felsmann

 

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