Produktion: Jost Hering Filmproduktion / SWR; Deutschland 2002 – Regie und Buch: Anne Wild – Kamera: Wojciech Szepel – Schnitt: Dagmar Lichtus – Musik: Nicholas Lens – Darsteller: Henriette Confurius (Dole), Leonard Lansink (Hermann), Juliane Köhler (Franziska), Gabriela Maria Schmeide (Margot) u. a. – Länge: 95 Min. – Farbe – FSK: ab 12 FBW: wertvoll – Verleih: Nighthawks (35mm) – Altersempfehlung: ab 14 J.
"Es ist nicht schlimm, wenn das Herz weh tut", hat meine Oma immer gesagt, "dann wächst es ..." – Sie ist elf. Er ist Mitte vierzig. Sie heißt Dole und ist mit ihrer Mutter Franziska und deren neuen Freund Philipp irgendwo am Meer, Ostsee oder Nordsee. Er heißt Hermann, ist verheiratet und mit Frau Margot und den Kindern im Jahresurlaub. Dole ist neugierig, aufgeweckt, revoltierend, frech, keck, laut, clever, intelligent. Herman ist ruhig, stoisch, trottelig, naiv, gutmütig, kindlich, unerwachsen. Dole will nicht erwachsen werden, Hermann ist es nie geworden. Gegensätze? Oder Übereinstimmungen? Jedenfalls freundet sich die von ihrer frisch verliebten Mutter naturgemäß vernachlässigte Dole mit Hermann an, der wiederum seinerseits ein Außenseiter in seiner eigenen Familie zu sein scheint. Sie gehen gemeinsam spazieren, spielen am Strand und inspizieren vom Paddelboot aus das Meer. Denn Hermann behauptet, dass es Feen gebe. Überall, auch im Meer. Und wenn man Schluckauf bekäme, dann sind die Feen ganz nah. Sagt's, und hat Schluckauf. Und Dole taucht, um die Feen zu sehen.
Doch die Umwelt reagiert allergisch auf diese ungleiche Verbindung und irgendwann sind die Ferien zu Ende. Zumal Mutter Franziska sich mit ihrem Freund gestritten hat und überstürzt abreist. Und vom Rücksitz aus sieht Dole ihn, wie er dasteht und ihnen nachsieht – Hermann. Bald schon steht Hermann vor Doles Schule, zeigt ihr in der Pause die Fotos, die sie am Wasser gemacht haben, und da, auf dem, da sind sie sogar zu sehen, die Feen. Irgendwie. Und er beantwortet ihre Briefe. Und eines Tages steht sie vor seiner Tür, sie sei gekommen, um ihn abzuholen. Und Hermann geht mit, zieht mit ihr durch die Lande, während die besorgten Frauen sie überall suchen ...
"Mein erstes Wunder" ist das Spielfilm-Debüt der 35-jährigen Regisseurin und Autorin Anne Wild, die hierfür den Max-Ophüls-Preis 2003 erhielt, verdientermaßen. Anne Wild hat zuvor zwei Kurzfilme gedreht, "Ballett ist ausgefallen" (2001) und "Nachmittag in Siedlisko" (2002) und hat die Drehbücher zu dem Kinofilm "Was tun wenn's brennt?" (2001) und dem Fernsehfilm "Die Geiseln von Costa Rica" (1999) geschrieben. Mit "Mein erstes Wunder" erzählt sie nun von einer ungewöhnlichen und doch in der Vorstellung der Menschen gemeinhin von Klischees durchdrungenen Geschichte. Dem Klischee der Päderastie. Wie kann ein Mann von Mitte vierzig bloß mit einer Elfjährigen?! Doch um dieses Thema geht es Anne Wild in ihrem Film, der freilich ein Liebesfilm ist, gar nicht, es ist ihr an etwas anderem gelegen, nicht an einer Mann-Frau- oder Vater-Tochter-Beziehung – es geht um das Dazwischen, um das Dahinter, um das Nicht-Greifbare, das Nicht-Sichtbare.
So wenig wie Hermanns Feen real zu sehen sind, so wenig sichtbar ist das, was Dole und Hermann wirklich verbindet. Es ist nur zu erahnen, vielleicht auch zu erfühlen. Und dank der Schauspieler, allen voran die famose Henriette Confurius, die auch in Wilds beiden Kurzfilmen zuvor mitspielte, wird es denn auch erahnbar – fernab jeglichen päderastischen Gedankens (dennoch ist der Film wohlweislich ab 12, nicht ab 6 Jahren freigegeben).
Das alles ist in teils sehr schönen Bildern gehalten, gestaltet von dem polnischen Kameramann Wojciech Szepel. Es sind Bilder voller Poesie, mit etwas Märchenhaftem, und manchmal meint man tatsächlich die Feen zu sehen. Begleitet wird dies von den französisch eingesungenen Chansons des belgischen Komponisten Nicholas Lens, der musikalisch die Endlichkeit dieser fragilen Verbindung in melancholischen Stücken behutsam andeutet: Dole und Hermann – sie können nicht in Ewigkeit nach Feen sehen. Anne Wild hat mit "Mein erstes Wunder" einen poetischen deutschen Film gedreht. Scheinbar ein Widerspruch und zumal höchst selten.
Thilo Wydra
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