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Ausgabe 95-3/2003

ICH, TARANEH, BIN 15

MAN, TARANEH, PANZDAH SAL DARAM

Produktion: Milad Film, Rassul Sadr-Ameli; Iran 2002 – Regie: Rassul Sadr-Ameli – Buch: Rassul Sadr-Ameli, Kambouzia Partovi – Kamera: Bahram Badakhshani – Schnitt: Mohammad Reza Moueeni – Musik: Majid Entezami – Darsteller: Taraneh Alidusti (Taraneh), Hossein Mahdschub, Mahtab Nasirpur, Milad Sadr-Ameli – Länge: 110 Min. – Farbe – Verleih: offen – Weltvertrieb: Farabi Cinema Foundation, No. 55, Sie-Tir Ave., Tehran 11358, Iran, e-mail: fcfl@dpi.net.ir – Altersempfehlung: ab 12 J.

"Mit der Zeit wurde mir klar, dass die Originalität und Anziehungskraft eines Films mehr in der Interpretation des Themas durch den Regisseur als in erzählerischen Finessen und komplizierten Drehbüchern liegt." (Rassul Sadr-Ameli)

Die 15-jährige Taraneh ist völlig auf sich gestellt. Ihr Vater sitzt im Knast und ihre Großmutter, bei der sie lebt, wird bald sterben. Bei ihrem Job wird sie von Amir umgarnt, mit dem sie sich nach anfänglichem Widerstand "kirchlich" verlobt. Doch als sie schwanger wird, verschwindet dieser nach Deutschland. Seine Mutter, die als Beraterin einer NGO in einem Zentrum für Mädchen wie Taraneh arbeitet, rät ihr (wenn auch verdeckt) zu einer Abtreibung und bestreitet ansonsten, dass ihr Sohn der Kindsvater ist. Doch Taraneh will ihr Kind behalten, mehr noch: Sie will, dass Amirs Familie es offiziell anerkennt und zieht dafür sogar vor Gericht. Nur so kann sie erreichen, dass ihre Tochter einen Familiennamen bekommt und nicht mit der Schmach des namenlosen Bastards leben muss. Zugleich sucht sie sich eine Wohnung in einem verlassenen Haus und versucht, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Was ihr trotz mannigfacher Probleme – u. a. mit offiziellen und selbsternannten Hütern der Moral – auch gelingt. Am Ende gewinnt sie den Prozess, entscheidet sich dann aber gegen den Namen der Familie des Kindsvaters.

Ähnlich wie Jafar Panahis "Der Kreis" spürt man auch hinter Sadr-Amelis Film die Wut, die den Filmemacher motivierte, diese Geschichte zu erzählen. In einfacher, aber ausdrucksstarker Bildsprache bezieht er deutlich Stellung, beschreibt in wiederkehrenden symbolischen Sequenzen Taranehs Schicksal: Auf einen Hohlweg folgt ein langer, dunkler Gang, der sie zu den Besuchen bei ihrem Vater führt. Ein einsames Mädchen auf einem einsamen Weg. Seine vielen berührenden Momente verdankt der Film vor allem seiner Hauptdarstellerin, die auch im wirklichen Leben viel von der Power ihrer Figur ausstrahlt. Ein elaborierter Ton und der sehr filmische Umgang mit dem Dialog – manche Dialoge hört man nicht, sondern sieht sie nur; andere sind imaginiert und nur aus dem Off zu hören – zeigen aber auch, dass Sadr-Ameli mehr als nur sein Handwerk versteht. Das beweist auch der sparsame aber höchst effiziente Einsatz der Musik. Sadr-Ameli hat sich hier relativ weit vom klassischen Bild des iranischen Kinos mit einfachen Geschichten in einfacher Machart entfernt. Übrigens war diese Spielart iranischen Kinos stets nur eine Strömung unter vielen. Trotz zu Beginn etwas roher Schnitte ein Film, dem ein deutscher Verleih zu wünschen wäre.

Nachbemerkung: Es gibt keinen Grund, sich über die ach so rückständigen Moralvorstellungen und die Frauenfeindlichkeit zu erheben, die hier vorgeführt werden. Immerhin ist es auch hierzulande noch keine 50 Jahre her, dass Mütter unehelicher Kinder von der Gesellschaft verachtet und ausgegrenzt wurden. Und wie die katholische Kirche mit Mädchen wie Taraneh umgeht, wenn sie die Macht dazu hat, konnte man unlängst in Peter Mullans aufwühlendem Film "The Magdalene Sisters / Die unbarmherzigen Schwestern" erleben.

Lutz Gräfe

 

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