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Ausgabe 95-3/2003

VERSCHWENDE DEINE JUGEND

Produktion: Claussen+Wöbke Filmproduktion; Deutschland 2002 – Regie: Benjamin Quabeck – Buch: Ralf Hertwig, Kathrin Richter – Kamera: David Schultz – Schnitt: Tobias Haas – Musik: Lee Buddah – Darsteller: Tom Schilling (Harry), Robert Stadlober (Vince), Jessica Schwarz (Melitta), Nadja Bobyleva (Lena) – Länge: 100 Min. – Farbe – Verleih: Constantin (35mm) – FSK: ab 6 – Altersempfehlung: ab 14 J.

Notwendige Vorbemerkung

Manchmal fragt man sich schon, wie sehr den Verleihern "ihre" Filme eigentlich am Herzen liegen. "Verschwende Deine Jugend" wurde der Presse nur in einer Beta-Kopie als Videoprojektion gezeigt. Resultat: Der Film sieht recht gelbstichig aus, der Ton wirkt steril (Absicht oder unfertige Mischung?) und auch die Musik entfaltet nicht die Dynamik, die man von einem solchen Film eigentlich erwarten sollte. Von daher habe ich – wie alle anderen Kollegen – eigentlich nur die Blaupause des Films gesehen. Man muss sich schon fragen, ob der Constantin das Schicksal ihres Filmes so egal ist, denn dass solche Projektionsbedingungen die Rezeption erheblich erschweren, sollte jedem klar sein.

Es soll ja auch Kritiker geben, die es gar nicht mögen, wenn sie während der Vorstellung dauernd darüber nachdenken müssen, ob das, was sie sehen und hören, auch das ist, was das Publikum dann sehen und hören wird. Denn auch wenn das im Zeitalter zunehmender Videoästhetik im Kino in Vergessenheit zu geraten droht: Ein Film ist weit mehr als seine Geschichte: Schließlich gehören Farbdramaturgie, Lichtsetzung und Tonspur genauso dazu wie Story und Schauspieler.

Zum Film

München Anfang der 80er: Derweil in Berlin, Hamburg und Düsseldorf die "Neue Deutsche Welle" um Gruppen wie Ideal, DAF (Deutsch-Amerikanische-Freundschaft) und andere bereits die angesagte Jugendmusik ist, tut sich in München so gut wie nichts. Zwar krebsen diverse Bands in Kellern und kleinen Jugendzentren vor sich hin, doch der große Durchbruch steht noch bevor. So geht es auch "Apollo Schwabing" und ihrem "Manager" Harry Pritzel, der hauptberuflich seine Lehre in einer kleinen Sparkassenfiliale macht.

"Apollo Schwabing" sind: Sänger und Gitarrist Vince, Bassistin Melitta und Schlagzeuger Freddie, der noch bei der Bundeswehr ist. Die drei kennen sich schon eine kleine Ewigkeit und helfen einander; so, wenn Harry mal wieder nicht in die Disco reinkommt und Vince ihn durchlotsen muss. Bei einer solchen Gelegenheit lernt Harry auch Lena kennen, die zunächst gar nicht zu ihm zu passen scheint: Er, der junge Waver mit Haar-Gel und Anzug und sie eher im 70er-Jahre-Look mit "Stoppt Strauß"-Button. Dennoch kommen sie sich näher. Nachdem mal wieder ein Konzert von "Apollo Schwabing" in die Hose ging und das auch noch im Beisein des ebenso arroganten wie wichtigen Musikkritikers Wieland Schwartz und zudem Melittas Bass geklaut wurde, setzt die Band Harry schwer zu: Er solle endlich mal was auf die Beine stellen, damit sie aus diesen Kaschemmen raus und vor ein großes Publikum kommen.

Da schmiedet Harry einen verwegenen Plan: Warum nicht im München ein großes Konzert mit DAF als Hauptact veranstalten und den lokalen Bands die Möglichkeit geben, dabei als Vorgruppen ihr Talent zu beweisen. Mit all seinem jugendlichen Elan macht sich Harry an die Verwirklichung des großen Plans, setzt alles auf eine Karte, verkauft Auto, Stereoanlage und Plattensammlung, um die Kohle für das große Event zu bekommen, Und es läuft auch ganz gut: Bald ist die Stadt voller Plakate und auch der Vorverkauf im Laden eines Freundes läuft sensationell. Doch Harry hat es immer noch nicht geschafft, mit seinem potenziellen Hauptact DAF überhaupt nur zu sprechen. Und während er versucht, diese Hürde zu überwinden, passiert auch in seinem Umfeld so einiges: Die Band steht kurz vor dem Bruch, weil Vince seine Melitta betrogen hat, Lena wird immer interessanter für Harry, und die Geldprobleme werden immer drückender. Am Ende steht Harry im Circus Krone auf der Bühne und das Konzert findet tatsächlich statt. Doch wird DAF wirklich auftreten? Und was wird aus Harry und Lena?

Benjamin Quabeck hat ja schon in "Nichts bereuen" bewiesen, dass er ein gutes Gespür für Jugendgeschichten und ihre filmische Umsetzung hat; Qualitäten, die auch seinen neuen Film kennzeichnen. Es sind vor allem die vielen filmischen Details, die einem hier im Gedächtnis bleiben: Das beginnt bei den Blicken der Figuren, die hier wirklich mal mehr sagen als tausend Worte. Und manches ist so schön leicht, entspannt und liebenswert, dass man den Film schon dafür einfach mögen muss. Etwa Lenas Luftsprung nach einem Kuss von Harry: Wie sich hier kindliche Freude mit erster großer Liebe mischt, ist genau beobachtet und einfallsreich umgesetzt. Den talentierten Jungdarstellern kommt das Verdienst zu, wesentlich zur authentischen Atmosphäre beizutragen. Denn wie sie sich hier bewegen und geben, da ist sehr viel vom Aufbruch der frühen 80er zu spüren.

Natürlich ist die Geschichte um eine aufstrebende Rockband weder neu noch originell: Peter F. Bringmann erzählte sie schon in "Heartbreakers" (1982) für die Mitte der 60er. Auffallend dabei, wie sehr sich die beiden "Manager" gleichen: Beide eher kleine, unscheinbare junge Männer (bei Bringmann ist der Manager sogar noch jünger als hier), die sich jedoch, koste es was es wolle, für "ihre" Band einsetzen und alles versuchen, ihr den großen Gig zu verschaffen. Dass Stadlober und Schwarz auch noch selber singen, verstärkt die Glaubwürdigkeit. Und auch wenn nicht alles so gelungen ist – Harrys große Beichte auf der Bühne des Circus Krone etwa ist pures Hollywood und passt so gar nicht in den Film und die Zeit (dafür aber zu Harry) – bietet Quabeck doch ansprechendes Kino für alle, die wissen wollen, wie's damals war, aber auch für die, die sich daran noch erinnern. Vor allem aber beweist der Film, dass man auch ohne großen Aufwand richtiges Kino machen kann, das zudem auch noch was über die Zeit transportiert, von der es erzählt.

Lutz Gräfe

 

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