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Ausgabe 95-3/2003

"Ich bin viele Umwege gegangen"

Gespräch mit Eitan Londner, Regisseur des israelischen Spielfilms "Unter Wasser"

(Interview zum Film UNTER WASSER)

KJK: Im Original heißt der Film "Abba Shahor Lavan" – "Vater schwarz-weiß"...
Eitan Londner: "Ja, aber das ist nicht übersetzbar. Für Israelis ist sofort klar, dass mit 'schwarz' die orthodoxen Juden gemeint sind."

Haben Sie selbst eine Affinität zu diesem Milieu?
"Überhaupt nicht. Aber der Drehbuch-Autor hat sich damals gefragt, ob er nicht zu den Strenggläubigen zurückkehren sollte. Wir mussten uns erst mit diesem Milieu vertraut machen, die Thora studieren, Gebete auswendig lernen und wo nötig, Barte und Schläfenlocken wachsen lassen – ein orthodoxer Jude würde ja nie vor der Kamera spielen."

Was hat Sie an der Geschichte gereizt?
"Die Probleme von Heranwachsenden darzustellen. Denn für mich war die Zeit, als ich so 14, 15 Jahre alt war, ein einziges Desaster. Du denkst, du weißt und kannst alles, dabei weißt du nichts. Und dann die Schwierigkeit mit dem ersten Kuss!"

Da können Sie sich wohl mit Dror identifizieren?
"Ja – und mit Michal. Wobei ich mich nie direkt aufgelehnt habe. Meine Ablösung ging über Umwege, aber sie lief auch fast auf eine Selbstzerstörung hinaus. Als Kind war ich immer der 'Gute', während meine sechs Jahre ältere Schwester die 'Böse' war. Bis in die neunte Klasse war ich auch ein Super-Schüler, aber dann sackte ich total ab. Am Ende habe ich die Schule dann auch nur mit Hängen und Würgen geschafft. Nach dem Militär – schrecklich, mit 'Autoritäten' habe ich bis heute Probleme – bin ich drei Jahre rumgereist, in Europa und Südamerika, in Berlin war ich auch. Ich habe Poster verkauft oder in der Fischfabrik gearbeitet, das war in Norwegen. Danach wusste ich immer noch nicht, was ich machen sollte.
Ich habe dann von 1986-89 Schauspiel an der Theaterschule der Universität Tel Aviv studiert, war danach auf der Bühne, in Kino und Fernsehen zu sehen. Aber ich war frustriert. Die Scripte gefielen mir nicht und als ich es satt hatte, auf gute Rollen zu warten, schrieb ich selbst welche für mich und meine Freunde. Die Scripte kamen gut an und eine junge Fernsehdirektorin bot mir sogar die Regie an. Etwas, was ich mir nie zugetraut hatte, obwohl ich von klein an ein absoluter Film-Freak war. Ja, ich bin viele Umwege gegangen. Ich meine, so einfach, wie das jetzt klingt, war es natürlich nicht. Welcher Geldgeber vertraut schon einem Nobody die Regie an? Aber es ist passiert und 'Kalinka Maya', mein erster Film, gewann 1998 gleich den 1. Preis auf dem Banff-Festival in Kanada."

Gab es mit Ihrem neuen Film Schwierigkeiten?
"Überhaupt nicht. Nachdem auch mein zweiter Film 'The Ballad of Ari VeDerchi' ein Erfolg war, hat mein Sender, das israelische Kabel-Programm I.C.P, die Produktion von 'Unter Wasser' sogar davon abhängig gemacht, dass ich die Regie führe. Und ich wiederum davon, dass ich das Script komplett neu schreibe. Es war doch zu sehr nach amerikanischem Muster gestrickt. Bei der Rolle des Vaters hat mir übrigens Dan Toren sehr geholfen. Er ist selbst eine sehr komplizierte Person und hat viel von sich gegeben, um Yonathans Charakter so zu entwickeln, dass Michals Illusion in Bezug auf ihn glaubhafter scheint. Die Frage war ja immer: Gelingt es ihr, die Beziehung zu ihm wieder aufzubauen oder nicht. Und obwohl die Disharmonie die ganze Zeit fühlbar sein soll, musste die Erwartung vorsichtig höher geschraubt werden, damit die Fallhöhe umso größer ist."

Wie war eigentlich Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater?
"Ich verdanke ihm sehr viel, vor allem, dass er nie schwarz-weiß gedacht hat, sondern immer den Menschen gesehen. Das ist bei seiner Geschichte nicht selbstverständlich. In Polen geboren, in Hamburg aufgewachsen, kam er mit 14 Jahren ins KZ, überlebte als einziger seiner Familie und war 19, als er befreit wurde. Dennoch hat er die Deutschen – im Gegensatz zu vielen Israelis – nie gehasst, ist auch später nach Deutschland gefahren und hat uns Kindern nie diese Holocaust-Albträume vermittelt. Da ich in den ersten Jahren ein typisches Mutterkind war – sie stammt übrigens aus Rumänien – habe ich erst spät realisiert, dass ich meinem Vater in vielem ähnlich bin, obwohl wir ganz verschiedene Wege eingeschlagen haben. Er war nämlich Gefängnisdirektor, aber in seiner freundlichen und humorvollen Art völlig atypisch."

Wie haben Sie Agam Rudberg, Ihre Michal gefunden?
"Wir haben 100 Mädchen gecastet. Bei ihr war ich erst ganz unsicher, weil sie noch nie gespielt, nur Fernseh-Werbung gemacht hat und für die Rolle eigentlich ein bisschen zu hübsch war. Ich meine, als Schwimmerin hatte ich mir ein kräftigeres Mädchen vorgestellt, aber Agam hat mich mit ihrem großen Talent schnell überzeugt. Übrigens beeindruckt sie mich auch als Person. Mit ihren 17 Jahren ist sie mutig und ehrgeizig, aber auf eine ganz unschuldige Weise. Sie weiß genau, was sie will, nämlich ein Star werden und – das finde ich irre – sie sagt das ganz offen. Das Zeug dazu hat sie. Demnächst dreht sie ihren zweiten Film und nach dem Militärdienst will sie auf eine Filmschule in Los Angeles."

Mit Eitan Londner sprach Uta Beth

 

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