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Ausgabe 62-2/1995

POUSSIÈRES DE VIE

Produktion: 3B Productions, Frankreich 1994 – Regie: Rachid Bouchareb – Buch: Bernard Gesbert, Rachid Bouchareb – Kamera: Youncef Sahraoui – Schnitt: Hélène Durcet – Musik: Safy Boutella – Darsteller: Daniel Guyant, Gilles Chitlaphone, Jéhan Pagès u. a. – Länge: 84 Min. – Farbe – Vertrieb: 3B Productions, 70 rue d'Assas, F-75006 Paris, Tel. 00331 45484475, Fax 00331 45491785 – Altersempfehlung: ab 14 J.

Im Jahr 1975 besiegen die Streitkräfte des kommunistischen Nordvietnams die Truppen Südvietnams und der USA. Viele amerikanische Soldaten lassen beim fluchtartigen Verlassen des Landes eine vietnamesische Frau und Kinder zurück. Zu ihnen gehört auch der etwa zehnjährige Son, der mit seiner Mutter in Saigon bleiben muss. Zwei Monate nach dem Fall Saigons startet die neue Regierung eine Kampagne, um junge Kriminelle und Waisenkinder von den Straßen der Stadt zu entfernen. In großen Gruppen werden sie mit Lastwagen zu Arbeitslagern im Norden transportiert, wo sie zu ordentlichen Staatsbürgern im Sinne der kommunistischen Herrscher umerzogen werden sollen. In eine Razzia gerät zufällig auch Son, der weggebracht wird, ehe er seine Mutter informieren kann. Unterwegs macht Son erste Bekanntschaften mit einigen der cleveren Straßenjungs, von denen einer ihm eine versteckte Geldreserve stiehlt. Im Lager müssen die Kinder täglich im Wald schuften. Wer vor der harten Arbeit und dem strengen Regiment der Bewacher zu fliehen versucht, wird erbarmungslos bestraft. Eines Tages gelingt es Son, der sich vor Sehnsucht nach seiner Mutter verzehrt, und zwei Insassen aber doch zu entkommen. Ihr entbehrungsreicher Marsch zu Fuß und per Floß durch den Regenwald nach Süden führt sie unter anderem durch lebensgefährliche Minenfelder.

Im Abspann des französischen Films liest man, dass noch immer Tausende von US-Soldatenkindern in Vietnam leben und auf eine Ausreise in die USA hoffen. Der Held von "Poussières de vie", dessen Titel man mit "Staub des Lebens" übersetzen kann, überlebte die Tortur im Arbeitslager und kam schließlich frei. Eine wichtige Hilfe war ihm dabei sein Tagebuch, in dem er seine schrecklichen Erlebnisse festhielt und sie sich gleichsam von der Seele schrieb. Offensichtlich bildet es die Grundlage für das Drehbuch des Films: Dass Son überhaupt schreiben kann und will, bringt ihm die stille Förderung eines idealistischen jungen Lageroffiziers ein, der ihm gelegentlich Papier zusteckt. Mit dem Tagebuchschreiben ist auch eine der eindringlichsten Szenen dieses ernsten Gefangenendramas verbunden. Als Son einmal das Papier ausgeht, nimmt er kleine Zettel mit Namen aus alten Cola-Flaschen, die umgekehrt im Boden stecken. Erst nach und nach verstehen wir, dass es sich um die Gräber gefallener Soldaten handelt. Indem er die Zettel und Flaschen entfernt, nimmt er den Toten ihre Identität. Dass Son diesen Frevel überhaupt begeht, zeugt von dem großen Leidensdruck des Lagerlebens.

Der Regisseur Rachid Bouchareb, der bei uns mit dem Jugenddrama "Cheb" (1991) über junge Algerien-Franzosen bekannt wurde, konzentriert die Handlung weitgehend auf einen Schauplatz, das Lager. Wie unter einem Brennglas spitzen sich in der Dschungelhitze die Konflikte zwischen den Kindern einerseits und zwischen ihnen und den brutalen Wächtern andererseits mit manchmal tödlicher Konsequenz zu. An zwei Stellen zeigt der Regisseur in diesem Vietnam-Film, der im Wettbewerbsprogramm des Internationalen Filmfestivals von Gent zu sehen war, explizite Gewaltszenen. Einmal sieht man, wie Son und ein Kamerad in einer Art Notwehrsituation einen anderen Jungen ertränken, der ihre Fluchtpläne verraten will. Ein anderes Mal rückt die Kamera allzu deutlich den blutüberströmten Körper eines Jungen ins Bild, der auf der Flucht auf eine Mine getreten ist. Beide Szenen sind allerdings hinreichend dramaturgisch motiviert, so dass die Grenze des Erträglichen auch bei jungen Zuschauern wahrscheinlich nicht überschritten werden dürfte.

Vom dramatischen Geschehen lenken auch die großartigen Landschaftsaufnahmen nur selten ab. Insgesamt ist Bouchareb eine eindringliche Lagerchronik gelungen, die überzeugend für Werte wie Solidarität, Freundschaft und Opferbereitschaft eintritt. Zugleich erinnert sie an die oft vergessene Tatsache, dass in vielen Regionen der Welt weiterhin Kinder zu unschuldigen Opfern kriegerischer Konflikte werden. Sein Film hat es verdient, auch in die deutschen Kinos zu kommen.

Reinhard Kleber

 

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