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Ausgabe 133-1/2013

LIFE OF PI – SCHIFFBRUCH MIT TIGER

Bild: LIFE OF PI – SCHIFFBRUCH MIT TIGER
© Twentieth Century Fox

Produktion: Fox 2000 / Haishang Rhythm and Hues; USA 2012 – Regie: Ang Lee – Buch: David Magee, nach dem Roman "Life of Pi / Schiffbruch mit Tiger" von Yann Martel – Kamera: Claudio Miranda – Schnitt: Tim Squyres – Musik: Mychael Danna – Darsteller: Suraj Sharma (Pi Patel mit 17), Irrfan Khan (Pi als Erwachsener), Tabu (Gita Patel), Rafe Spall (Schriftsteller), Gérard Depardieu (Koch), Ayush Tandon (Pi mit 11), Gautam Belur (Pi mit 5) u. a. – Länge: 127 Min. – FSK: ab 12 – Farbe, 3D – Verleih: Twentieth Century Fox – Altersempfehlung: ab 14 J.

Der Hochschullehrer Piscine Molitor Patel erzählt in Kanada einem aufmerksam zuhörenden Schriftsteller seine außergewöhnliche Lebensgeschichte. In den siebziger Jahren wächst Piscine, der nach einem Schwimmbad in Paris benannt wurde, in der idyllischen Stadt Pondicherry an der Südküste Indiens auf. Im Zoo seines Vaters lernt der Junge, der seinen Vornamen zu Pi verkürzt, um dem Spott boshafter Mitschüler zu entgehen, früh exotische Tiere kennen. Schon mit 14 Jahren interessiert sich der hinduistisch geprägte Junge für das Christentum, mit 15 für den Islam und beschließt, alle drei Religionen zu praktizieren. Als Pi 16 Jahre alt ist, gibt die Familie den Zoo auf, um nach Kanada auszuwandern. Im Pazifik gerät der Frachter in einen schweren Sturm und sinkt. Pis Eltern und sein älterer Bruder ertrinken wie alle anderen Insassen. Nur der Junge Pi, ein bengalischer Tiger, ein Zebra, eine Hyäne, ein Orang-Utan und eine Ratte überleben in einem Rettungsboot. Nach einigen Tagen sind nur noch Pi und der hungrige Tiger übrig. Aus Angst zieht sich Pi zeitweise auf ein angeseiltes Behelfsfloß zurück. 227 Tage treiben die beiden übers Meer, wobei Pi nur überlebt, weil er die hungrige Raubkatze mit Fischen und Trinkwasser versorgt. Endlich landen sie an der mexikanischen Küste. Als Pi später im Krankenhaus zwei Angestellten des japanischen Verkehrsministeriums Auskunft über den Schiffsuntergang geben soll, glauben sie ihm nicht, so dass er ihnen eine alternative Fassung der Story erzählt.

Jahrelang galt der Romanbestseller "Schiffbruch mit Tiger" (2001) des kanadischen Schriftstellers Yann Martel, der dafür 2002 den renommierten Booker-Preis erhielt, als unverfilmbar. Nachdem mehrere namhafte Autoren und Regisseure sich an dem Roman versucht hatten, gelang es dem Drehbuchautor David Magee ("Finding Neverland") und dem vielseitigen taiwanesischen Regisseur Ang Lee, einen griffigen Zugang zu dem phantasievollen Stoff zu finden und daraus einen bildgewaltigen 3D-Abenteuerfilm mit existenziellem Tiefgang zu machen. Auf das Konto des zweifachen Oscar-Preisträgers Ang Lee geht auch die wagemutige Entscheidung, die Titelrolle einem 17-jährigen indischen Studenten ohne jede Filmerfahrung, anzuvertrauen. Suraj Sharma löst die schwere Aufgabe souverän und überzeugend. Der erwachsene Pi wird von Bollywoodstar Irrfan Khan ("Slumdog Millionär") verkörpert.

Der Hauptgrund für die Bedenken gegen eine Verfilmung liegt darin, dass der überwiegende Teil der märchenhaften Geschichte auf einem Rettungsboot auf dem Meer spielt. Pi hat keinen menschlichen Dialogpartner oder Gegenspieler, und Tiger hören normalerweise nicht auf Regiekommandos. Das Tiger-Problem löste Lee mit Hilfe von vier echten Tigern und CGI-Spitzenkönnern, die sofort vergessen lassen, dass es sich dabei um ein digitales Konstrukt handelt – so geschmeidig bewegt sich das gefährliche Raubtier. Zudem wirkt der Tiger stets glaubwürdig, ohne dass er vermenschlicht würde. Die breiten Schilderungen der langweiligen Odyssee-Tage und religiösen Reflexionen wurden fürs Kino gerafft, blutige Szenen vom Fressen und Gefressenwerden fürs junge Publikum entschärft. Manche Szenen werden für die Leinwand auch dramatisch überhöht, so etwa die Begegnung mit einem riesigen Wal, der im Film mit einem spektakulären Sprung aus dem nächtlichen Meer das Boot fast zum Kentern bringt.

Das zentrale Romanthema der Gottessuche rückt zwar im Film in den Hintergrund, doch entfaltet der Film genügend visuelle Magie, um Pis tiefe spirituelle Hingabe angesichts der Majestät der Schöpfung miterleben zu können. Alles in allem ein opulenter Augenschmaus, der die wenigen Ausflüge ins Sentimentale rasch vergessen lässt und sich Oscar-Chancen ausrechnen darf. Zudem setzt die filmische Parabel mit ihrem klaren Plädoyer für friedliche Koexistenz und religiöse Toleranz in der Tradition von Lessings berühmter Ringparabel in „Nathan der Weise“ (1779) ein wichtiges Signal.

Reinhard Kleber

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.LIFE OF PI – SCHIFFBRUCH MIT TIGER im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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Ausgabe 133-1/2013

 

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Hintergrundartikel

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Kinder-Film-Kritiken

"Clara und das Geheimnis der Bären"| "Fremde Kinder: Der Vorführer"|


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