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Ausgabe 133-1/2013

STATIONSPIRATEN

Bild: STATIONSPIRATEN
© Alpha Medienkontor

Produktion: Zodiac Pictures / Schweizer Radio und Fernsehen / Impuls Home Entertainment / Teleclub; Schweiz 2010 – Regie: Michael Schaerer – Buch: Jürgen Ladenburger – Kamera: Stéphane Kuthy – Schnitt: Florian Drechsler – Musik: Moritz Schneider, Adrian Sieber – Darsteller: Vincent Furrer (Benji), Max Hubacher (Michi), Scherwin Amini (Kevin), Elia Robert (Jonas), Nicolas Hugentobler (Sascha), Stefan Kurt (Dr. Reichlin), Jill Gioia Mühlemann (Laura) u. a. – Länge: 90 Min. – Farbe – Verleih: Alpha Medienkontor – Altersempfehlung: ab 12 J.

In einem Schweizer Kinderspital haben Benji, Michi, Kevin und Jonas eines gemeinsam: Krebs. Mit der lebensgefährlichen Diagnose gehen sie sehr unterschiedlich um. Der schmächtige Benji ist stets gut gelaunt und amüsiert Kumpels und Stationsschwestern mit frechen Sprüchen, obwohl seine Chemotherapie schlecht anschlägt und er beim Husten heimlich Blut spuckt. Der 13-Jährige will nicht als "Jungfrau" sterben und träumt von einem Date mit einem Topmodel. Michi stammt aus einer fußballverrückten Familie und hofft gegen alle Wahrscheinlichkeit, bald wieder auf dem Bolzplatz zu stehen. Um nicht den Anschluss zu verlieren, trainiert er heimlich mit einem Ball in einem Aufzug. Der melancholische Kevin ist mit 16 der Älteste in der Runde, hat aber nach einem Rückfall die Hoffnung auf Heilung verloren. Doch dann begegnet er im Aufzug der magersüchtigen Laura und schöpft neuen Lebensmut. Der zehnjährige flugzeugbegeisterte Jonas ist der Jüngste des Quartetts. Ihn macht eine Patientenorganisation glücklich, indem sie ihm ermöglicht, im Cockpit eines Passagierjets mitzufliegen. Doch kurz danach wird Jonas für eine Knochenmarktransplantation nach Zürich verlegt. Eines Tages wird der verwöhnte Sascha mit Verdacht auf Knochenkrebs eingeliefert. Erst gibt sich der talentierte Tennisspieler abweisend, doch nach und nach erkennt er, wie die vier mit Galgenhumor einem schweren Schicksal trotzen, das auch ihm blühen könnte. Rasch macht er bei "verrückten" Aktionen der Jungs mit: Etwa wenn sie in jugendlichem Feuereifer Wettrennen auf Rollstühlen durch Klinikflure absolvieren oder im Kliniktümpel sitzend Bier trinken.

Manchmal gehen attraktive Filmstoffe verschlungene Wege. Das bewegende Langfilmdebüt "Stationspiraten" des 1975 geborenen Schweizer Regisseurs Michael Schaerer ist eine neue Adaption des Spielfilms "Planta 4a" (2003) des spanischen Regieveteranen Antonio Mercero. Dessen Film wiederum beruht auf dem autobiographisch geprägten Theaterstück "Los Pelones" von Alberto Espinosa, der einen Teil seiner Kindheit im Krankenhaus verbrachte. Schaerer, der an der School of Visual Arts in New York Film- und Videoregie studierte und für seinen Abschlusskurzfilm "Warmth" (2000) den StudentenOscar gewann, hat seitdem vor allem als Editor gearbeitet. Schaerer widmete den Film dem Drehbuchautor Jürgen Ladenburger, der knapp vier Wochen vor Drehbeginn starb. Der 1966 geborene Ladenburger nannte den Film ein "Feelgood-Drama": "Es ist keine Geschichte über den Kampf gegen den Tod. Diesen Kampf verlieren wir ohnehin. Nein, es ist eine Geschichte, die vom bewussten Leben erzählt. Die von der Chance erzählt, sich des Lebens bewusst zu werden."

Trotz des tristen Themas und des relativ frühen Todes eines Jungen wirkt die einfühlsame Inszenierung nie deprimierend oder rührselig, denn Schaerer gelingt es, das heikle Gleichgewicht zwischen ernsten und heiteren Momenten auszubalancieren. Dabei zeigt er eindringlich, welche Energie die Heranwachsenden entwickeln können, um sich nicht unterkriegen zu lassen. Der Kameramann Stéphane Kuthy setzt in der kammerspielartigen Inszenierung, die hauptsächlich in Klinikräumen spielt, mit einer agilen Kamera hin und wieder belebende visuelle Akzente. Der Film scheut nicht davor zurück, die hässlichen Seiten der Krankheit zu zeigen, ob es die Übelkeit nach der Chemotherapie ist, die Zerstörung von Fußballer-Illusionen durch die nüchterne Prognose eines Physiotherapeuten oder die tiefe Verzweiflung nach enttäuschenden Befundmitteilungen durch den Stationsarzt. Heftige Streitereien zwischen den Jungs und wütende Akte der Verzweiflung, aber auch Ausbrüche der Lebenslust oder stille Glücksmomente, etwa beim gemeinsamen Sonnenbaden mit nacktem Oberkörper auf dem Klinikbalkon, schaffen ein Wechselbad der Gefühle. Kevin bringt die existenzielle Skepsis nach einem Wortgefecht mit seinen Kumpels auf den Punkt: "Kämpfen, Weitermachen, Glauben?". Der Film erhielt mehrere Auszeichnungen.

Reinhard Kleber

 

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Ausgabe 133-1/2013

 

Inhalt der Print-Ausgabe 133-1/2013|

Filmbesprechungen

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Interviews

Börnsen, Wolfgang - "Stärkung des originären deutschen Kinderfilms"| Dill-Riaz, Saheen - "Fremde Kinder: Der Vorführer"| Imboden, Markus - "Dieser Junge sollte eine Zukunft haben"| Sahling, Bernd - "Wie viel Ratlosigkeit können wir Kindern in einem Film zumuten?"| Shortland, Cate - "Die Kinder von Mördern sind keine Mörder"| Zeitlin, Benh - "Poesie und Lyrik einer außergewöhnlichen Kindheit"|

Hintergrundartikel

Preisträgerfilm der "Großen Klappe" 2012|

Kinder-Film-Kritiken

"Clara und das Geheimnis der Bären"| "Fremde Kinder: Der Vorführer"|


KJK-Ausgabe 133/2013

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