(Interview zum Film KIRIKU UND DIE ZAUBERIN)
KJK: Worauf beruht Ihre Liebe zu Afrika?
Michel Ocelot: "Afrika ist ein phantastischer Kontinent, aber wir haben leider die Tendenz, ihn ständig zu vergessen. Man macht schon seit 70 Jahren Zeichentrickfilme mit Menschen, aber noch nie einen Film über Afrikaner. 'Kiriku' ist der erste. Als Künstler hatte ich wirklich Lust, das zu machen, auch als Afrikaner, weil ich in Westafrika meine Kindheit verbrachte. Meine Eltern waren Lehrer, sehr intelligente Menschen, auch sehr katholisch. Guinea gehörte damals noch zu Frankreich. Normalerweise haben die Weißen ihre Kinder in weiße Schulen geschickt. Meine Eltern arbeiteten an einer weißen Schule, wollten aber, dass ihr Kind in eine ganz normale afrikanische Schule geht. Es war alles sehr natürlich zwischen Schwarzen und Weißen. Es hat auch an den Lehrern gelegen."
Wann sind Sie mit afrikanischen Märchen in Berührung gekommen, in der Schule, zu Hause?
"Die eigentlichen Geschichten habe ich erst als Erwachsener entdeckt, trotzdem spiegeln sich viele Kindheitserinnerungen in meinem Film wider. In den meisten mündlich überlieferten Versionen des Märchens tötet das Kleine die Hexe. Das wollte ich nicht. Ganz typisch auch der weise alte Großvater, der in jedes Märchen gehört, und der Termitenhügel, durch den man gehen muss."
Wo entstand Ihr Film?
"Die Dramaturgie in Westafrika, der afrikanische Rhythmus in Riga und Budapest, die grafische Konzeption in Frankreich. Die Künstler arbeiteten in Frankreich die Figuren aus. Hunderte von Zeichnern brachten sie in den Studios in Budapest und Riga in Bewegung. Ursprünglich sollte in Belgien, Frankreich und Luxemburg gearbeitet werden, aber dann tauchte die Frage auf, ob man nicht in Korea oder Osteuropa generell billiger arbeiten könne. Nach ersten Kontakten zu koreanischen Trickstudios entschied man sich dann aber für die Kooperation mit Ungarn und Lettland. Die einzelnen Studios unter einen Hut zu bringen, war nicht immer einfach. Ich musste von Studio zu Studio reisen, die Produktion überwachen, Lösungen für auftretende Probleme finden. In Riga haben sie zwar nicht so viel Erfahrung, sind aber sehr engagiert und deshalb werde ich dort wieder hingehen. Besonders gut war, dass dort ein Team von Frauen arbeitete, genau wie in dem afrikanischen Dorf meiner Geschichte, wo die Männer von der Zauberin verschluckt wurden. Und diese Frauen im Studio sind mit ihrer Arbeit zu Dorffrauen geworden."
In Ihrem Animationsfilm zeigen Sie das klassische afrikanische Dorfleben in seiner Nacktheit. Gab es da Einwände?
"Es war eine versteckte Zensur, von den Produzenten unterbewusst anberaumt. Sie empfahlen uns, doch den Frauen Büstenhalter anzuzeichnen mit dem vagen Argument 'der Markt, das Fernsehen'. Sie machten uns klar, dass man den Film mit nackten Brüsten nicht verkaufen kann. Es ist sehr komisch, dass das wirklich niemand echt glaubte und es trotzdem alle gesagt haben. Irgendwie auch eine Besessenheit amerikanischer Verhaltensregeln. Es ist sogar bis zur Erpressung gegangen. Ein Geld gebender französischer TV-Sender sagte: Entweder Sie kümmern sich um die Büstenhalter oder Sie hören ganz damit auf. Auch sie fügten an, dass sie es persönlich gut fänden, und wieder der lapidare Hinweis auf den Markt."
Überlegten Sie sich aufgrund dieser Schwierigkeiten einen kreativen Verhüllungskompromiss?
"Nein. Aber es war der Moment, wo ich die Hoffnung an mein Projekt verlor. Ich konnte nicht die Botschaft weitergeben von der Reinheit des Körpers, die ganz typisch für Afrika ist. Für mich war es eine Botschaft, Afrika zu zeigen, wie es wirklich ist. Büstenhalter wären ein Verrat an der Kultur Afrikas gewesen. Ich war ganz klein und nackt wie Kiriku, aber ich habe es geschafft."
Woher nahmen Sie die Kraft, für Ihr Projekt weiterzukämpfen?
"Auch von meiner weiblichen Mannschaft in Riga. Diese Frauen waren genauso schockiert wie ich über die Zensur. Sie sagten mir: Auch wenn wir gezwungen werden, die Vision mit den Büstenhaltern zu machen, werden wir Dir umsonst Deine Originalversion gestalten. Und das, obwohl sie wirklich nicht viel verdienten."
Wie ging es weiter?
"Letztes Jahr gab es große Probleme, weil kein Geld mehr da war. Ich hatte nur die Wahl, entweder ich mache meinen Film kaputt, oder ich zerstöre fremde Gesellschaften, die in mich Vertrauen gesetzt haben. Wenn ich aufgegeben hätte, hätte ich nie wieder dort arbeiten können. Es war wie ein schlechtes Theaterstück. Und diese Person in der Produktionsgesellschaft, die mit der Büstenhalterforderung, ist schließlich entlassen worden, weil sie einen Gewaltfilm zu verantworten hatte, den das Fernsehen nicht haben wollte. Dem Nachfolger war die Bekleidung der Frauen völlig egal. Er kämpft jetzt weiter mit den Produzenten, die der Meinung sind, der amerikanische Markt verträgt nur bekleidete Afrikaner. Eine große amerikanische Firma mag den Film sehr, will ihn auch haben, aber nur wenn die Figuren Kleider zeigen. Sie verweigern die Annahme des Films aus diesen Gründen. In Deutschland gab es diese Probleme nicht – danke, Deutschland!"
Und in Frankreich?
"Erst war ein wahnsinniges Theater, aber mittlerweile lieben alle diesen Film. Er ist in Frankreich im Dezember 1998 zeitgleich mit dem 'Prinzen von Ägypten' und 'Mulan' herausgekommen und hat den Disney-Filmen den Rang abgelaufen."
Wie ist die Verleihpolitik für "Kiriku" in Frankreich?
"Da es ein französischer Zeichentrickfilm ist, waren die Großen nicht interessiert. Also haben wir einen kleinen Verleih, der sehr gut die Nischen kennt. Ich habe Frankreich entdeckt, wie es sich verteidigt. Es gibt viele kleine kommunale Kinos, dort war der Film extrem erfolgreich. Ohne große Reklame hatten wir bisher 880.000 Besucher. Ein großer Erfolg für 'Kiriku'. Mittlerweile gibt es 100 Kopien."
Planen Sie eine Fortsetzung zu "Kiriku"?
"'Kiriku' ist finé. Ich denke jetzt an eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht, an die Begegnung von Christen und Moslems. Ich denke an kein bestimmtes Land. Mich inspiriert die Kultur der Mittelmeerländer, ihre verschiedenen Einflüsse. Es wird wieder ein Animationsfilm. Ich brauche nur noch etwas Geld ..."
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