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Ausgabe 99-3/2004

ICH, CESAR

MOI, CESAR, 10 ANS ½ Mois

Produktion: Europacorp, in Koproduktion mit TF1 Films; Frankreich 2003 – Regie: Richard Berry – Buch: Eric Assous, Richard Berry – Kamera: Thomas Hardmeier – Schnitt: Lisa Pfeiffer, Laurence Briot – Musik: Reno Isaac – Darsteller: Jules Sitruk (César), Maria de Medeiros (Césars Mutter), Jean-Philippe Ecoffey (Césars Vater), Joséphine Berry (Sarah), Mabo Kouyaté (Morgan), Anna Karina (Gloria) u. a. – Länge: 91 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Europacorp, 137, rue du Faubourg Saint Honoré, F-75008 Paris, e-mail: gmelin@europacorp.com – Altersempfehlung: ab 8 J.

César Petit ist zehneinhalb Jahre alt, ein bisschen zu klein und zu rund für sein Alter. Er liebt Süßigkeiten – und Sarah, das wohl hübscheste Mädchen an seiner Schule in Paris. Sein bester Freund Morgan ist auch sein einziger. Denn César ist schüchtern, ein Außenseiter. Das ändert sich schlagartig, als César glaubt, sein Vater stecke im Gefängnis. Mit dieser brisanten Neuigkeit steht César in der Schule plötzlich im Mittelpunkt. Genauso schnell ist es mit dem Ruhm auch wieder vorbei, nachdem sich der Knastaufenthalt als banale Geschäftsreise entpuppt. Und César weiß immer noch nicht, wie er Sarah für sich gewinnen kann. Zu allem Überfluss interessiert sich auch Morgan für Sarah. Als dieser beschließt, in London nach seinem unbekannten Vater zu suchen, sind Sarah und César mit von der Partie.

Auf ihrer Reise müssen die drei Freunde einige Abenteuer bestehen. In einer brenzligen Situation kommt ihnen die ausgeflippte Gloria zu Hilfe, eine nach London ausgewanderte Französin mit großem Heimweh. Gemeinsam finden sie Morgans Vater, der mit seiner Frau und seinen anderen Kindern zusammenlebt und ihnen Morgan als ihren Halbbruder vorstellt. Bei ihrer Rückkehr erwartet die Ausreißer, die Gloria mit nach Paris bringen, ein Empfangskommitée wutschnaubender Eltern. Doch am Ende ist fast alles so, wie es sein soll: Sarah ist Césars Freundin, Morgan ist immer noch sein bester Freund, und auch Gloria hat ihren Platz gefunden. Nur Césars Vater, der sich seinem Sohn vorher nie geöffnet hat, der hört leider gar nicht mehr mit dem Reden auf.

Richard Berry, sonst eher als Schauspieler bekannt ("Le petit Prince a dit", 1992), inszeniert in seiner zweiten Regiearbeit mit leichter Hand und viel Humor die Welt des 10½-jährigen César. Vor allem die Besetzung sowohl der Kinder- als auch Erwachsenenfiguren kann überzeugen. Jules Sitruk alias César erinnert ein wenig an den kindlichen Elijah Wood, vor seinen Zeiten als Hobbit. Seine Pausbacken und sein enormer Charme sind schlichtweg hinreißend. Joséphine Berry, Tochter des Regisseurs, als bildhübsche Sarah und Mabo Kouyaté als reiferer Morgan komplettieren das unterschiedliche Freundestrio. Mit der Ausreißer-Geschichte hat Berry zwar das Rad nicht neu erfunden. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen Kinder sich auf eigene Faust in die Fremde begeben, auf der abenteuerreichen Suche nach einem verlorenen Elternteil oder der Antwort auf existenzielle Fragen. Die Umsetzung dieses Sujets jedoch gelingt Berry größtenteils mit der richtigen Mischung aus Humor und Emotionalität. Warum man diese souveräne Leichtigkeit immer wieder in französischen Filmen findet, selten jedoch in deutschen, das darf man sich auch hier neidvoll fragen.

Es geht um jene komplizierte Zeit, wenn Kinder langsam ihren Kinderschuhen entwachsen, aber von Erwachsenen noch nicht für voll genommen werden. Auf diesen Zwischenzustand spielt Berry auch mit dem Namen seines Titelhelden an: César Petit, der große Kleine. Erwachsen werden, das bedeutet selbstständig handeln und Verantwortung dafür übernehmen. Darin müssen sich die drei Helden bewähren. Césars Gedanken begleiten kommentierend die Vorgänge aus dem Off. Selbstverständlich liegen die Sympathien des Films auf Seiten der Kinder. Die Erwachsenenfiguren sind überzeichnet, ohne dass sie dabei der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Die Behauptung, der Film sei ausschließlich in Augenhöhe seines Titelhelden gefilmt, sei einmal dahingestellt. Ganz sicher aber bemüht er sich um die Sichtweise der Kinder. Und aus dieser schneiden die Erwachsenen nicht sonderlich gut ab.

Die Erwachsenen interessiert Césars Welt nicht – und erst recht erklären sie ihm nicht die ihre. Césars Vater, schnell aufbrausend, hat kein Verständnis für die überbordende Phantasie seines Sohnes. Die hochschwangere Mutter verhätschelt César, als wäre er noch ein kleines Kind. Der neugierige Schuldirektor ist nur an der Sensation um den vermeintlichen Knastaufenthalt des Vaters interessiert, nicht aber an Césars Person. Sie alle meinen es nicht schlecht, aber die richtigen Antworten auf Césars Fragen haben sie nicht parat. Überhaupt bleiben sie vor allem Antworten schuldig; mangelnde Kommunikation ist das eigentliche Dilemma. Die Kinder müssen selbst herausfinden, was es mit dem Leben auf sich hat, müssen die Antworten alleine finden. César interpretiert die Ereignisse in seinem Elternhaus selbst, allerdings falsch. Mit einem großen Maß an Eigenständigkeit meistert Morgan seinen Alltag allein, da seine Mutter berufsbedingt meist abwesend ist. Von ihr erfährt er nicht genug über seinen Vater. Also sucht er auf eigene Faust nach ihm.

Die Welt der Kinder hat ihre eigenen Themen, Wünsche und Sorgen – letztere oft durch die Erwachsenen verursacht. Ob Morgan sich nach seinem Vater sehnt oder César danach, von Sarah erhört zu werden: Sie müssen selbst dafür eintreten. Das kann nur ohne die Hilfe der Erwachsenen stattfinden, denen Gespür, Verständnis, Interesse oder auch nur die Zeit dafür fehlen. Einzige Ausnahme ist Gloria, gespielt von Anna Karina. Die in London gestrandete Französin mit dem unkonventionellen Erscheinungsbild ist selbst eine Außenseiterin, und vielleicht ist sie deshalb den Kindern näher als andere Erwachsene.

Im zweiten Teil verliert der Film seinen roten Faden und vernachlässigt seinen Titelhelden, wenn der Fokus auf Morgans Suche nach dem Vater liegt. Hier ist César nur noch eine im wahrsten Sinne begleitende Figur. Auch reihen sich die Szenen mitunter ein wenig arg episodenhaft aneinander. Aber schließlich schafft der Film noch die Kurve zum fast kitschigen Happy End: Wenn aus den erfolgreich bestandenen Prüfungen der jungen Helden die richtigen, erwünschten Veränderungen entstanden sind, für Kinder und Erwachsene, dann freut man sich einfach mit. Fest steht, César ist eine erfrischende Komödie für Jung und Alt, wie man sie sich bei deutschen Filmen öfter wünscht.

Ulrike Seyffarth

 

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