(Interview zum Film HOP)
KJK: Wie haben Sie das Thema für Ihren ersten Spielfilm gefunden?
Dominique Standaert: "Vor ungefähr vier Jahren hörte ich im Radio, dass die belgische Polizei einen Afrikaner aufgegriffen hatte, der illegal bei uns lebte. Sein zwölfjähriger Sohn hatte fliehen können. Die Behörden standen nun vor der Frage, ob sie den Mann gleich abschieben sollten oder erst, wenn sie auch seinen Sohn hätten, um dann beide ausweisen zu können. Die Antwort war vollkommen logisch: Da der Mann keine Papiere habe, könne man nicht sicher sein, dass sein Sohn, wenn er denn gefunden würde, auch tatsächlich sein Sohn sei. Also auf der Stelle ab mit ihm nach Afrika! Als ich das hörte, war es, als hätte ich eine persönliche Botschaft gekriegt: Daraus musst du was machen. Vielleicht bin ich auch 'a big sentimental'."
So wie Ihr Anarchist Frans, der Justin hilft und ihn überhaupt erst auf die Terror-Idee bringt, um seinen Vater zurück zu kriegen.
"Ich brauchte ihn, weil Terror keine Idee von Kindern, sondern von Erwachsenen ist – noch dazu eine dumme. Ausgangspunkt war das Paradoxon, dass die Behörden eines demokratischen Landes Leute nach Afrika zurückschicken, die nicht dorthin zurück wollen, und die – um bleiben zu können – bereit sind, Terror gegen eben dieses Land anzuwenden. Ein hochexplosives Thema, das ich beim Schreiben des Drehbuchs auf zwei verschiedene Arten ausdrücken musste. Zum einen musste ich darstellen, was genau mit dem Jungen passiert. Ich ging also zu mehreren Rechtsanwälten, um zu fragen, ob es z. B. möglich ist, jemanden tatsächlich bereits nach zwei Tagen abzuschieben. Ja, so ist es. Alles, was ich über die Abschiebung erzähle, kann genau so passieren. Ich habe es gründlich recherchiert.
Auf der anderen Seite habe ich die Ebene des Terrorismus und natürlich spreche ich da auch vom Friedens-Nobelpreis, weil es immer das Gleiche ist: Wer bestimmt, wer Terrorist ist, wer Widerstandskämpfer? Ist Arafat ein Terrorist oder ein Held? Das ist eine schwer wiegende moralische Frage. Und wie können wir darauf antworten? In diesem Fall habe ich versucht eine Lösung zu finden, indem ich vorgebe, dass der Terror eigentlich nicht aus Schwarzafrika kommt, sondern von woanders eingeführt wurde. Das ist die Geschichte von Hannibal und den Pygmäen. Weil die Pygmäen sich weigern, Menschen zu töten, und Justin am Ende wieder entdeckt, dass er 'Pygmäe' ist, entscheidet er sich gegen den Terror und findet die gewaltfreie Lösung."
Und das ist der wahre Hop. Haben Sie bei Ihrem Film eigentlich an ein Kinderpublikum gedacht?
"Nein, gar nicht. Ich war sehr überrascht, als ich mit 'Hop' zu verschiedenen Kinder- und Jugendfilmfestivals eingeladen wurde, zum Beispiel nach Dänemark, Irland und Frankreich. Dort haben die Kinder sehr stark auf den Film reagiert, er bekam allerhand Preise und wird bei uns, in Frankreich, den Niederlanden, in Dänemark und Norwegen vertrieben – in Belgien und Frankreich wird er auch in Schulen gezeigt. Ich hoffe, dass wir auch in Deutschland einen Verleih finden."
Glauben Sie, dass die Kinder auch die politischen Implikationen verstehen?
"Ja. Ich sprach mit Kindern in mehreren westlichen Ländern und auch in Afrika darüber, und auf beiden Seiten wurde der Film in seiner ganzen Dimension gut verstanden. Kinder sind ein tolles Publikum, weil sie so spontan reagieren. Sie fragen nie, warum ich in Schwarzweiß gedreht habe."
Warum haben Sie in Schwarzweiß gedreht?
"Eigentlich haben wir alles in Farbe gedreht und nachträglich auf Schwarzweiß umkopiert, weil ich Schwarzweiß sehr mag und nach dem Anschauen der ersten Muster fand, dass diese Ästhetik sehr gut zu der Struktur des Films passt. Zum anderen gab mir die Farbe die Möglichkeit, die beiden Szenen zu Anfang und Ende des Films, wo sich der See rot färbt, so hervorzuheben, dass sich jeder das merkt. Es spielt aber auch eine Rolle, dass die meisten Szenen draußen in der Natur spielen, was eine aufwändige Farbkontrolle erfordert. Das wiederum kostet viel Zeit und Geld, was bei einem ersten Spielfilm natürlich fehlt."
In Berlin haben sich vor allem die erwachsenen Zuschauer gefragt, ob Ihr Film nicht doch eine Rechtfertigung des Terrorismus darstellt. Schließlich lässt sich Frans, der sich ganz aus seiner terroristischen Vergangenheit zurückgezogen hat, durch Justin reaktivieren.
"Ja, weil er es einfach unmenschlich findet, was mit Justins Vater passiert. Deshalb versucht er dem Jungen mit allen Mitteln zu helfen, die ihm zur Verfügung stehen. Andererseits aber ist er ständig bemüht zu verhindern, dass etwas passiert, was nicht wieder gut zu machen ist. Schließlich hat er selbst die schreckliche Erfahrung gemacht, dass man mit Terror nicht spielen kann – und wenn einer meiner Hauptcharaktere dem Publikum sagt, dass er drei Tote auf dem Gewissen hat, sollte das klar sein. Und denken Sie an die Szene, wo Justins Vater aus Afrika zurückgebracht wird und im Aufzug sehr reserviert zu Frans sagt: Ich weiß nicht, ob ich Ihnen danken soll. Nein, 'Hop' bricht keine Lanze für den Terrorismus, ganz im Gegenteil. Dafür steht auch das Symbol des blutroten Sees – ich denke doch, das kann jeder verstehen."
Wie haben Sie Ihren Hauptdarsteller – Justin – gefunden?
"Ich habe ein Casting mit mehr als 100 Jungen gemacht, natürlich nur mit Laien, weil wir in Belgien keine Agenturen für Kinderdarsteller haben. Einen geeigneten Jungen von 13 Jahren zu finden, ist nicht ganz leicht, weil ein Kind dieses Alters oft noch sehr jung oder schon wesentlich älter wirkt. Und nun noch einen jungen Schwarzen bei uns zu finden, der körperlich einem Teenager entspricht, psychologisch aber schon weiter sein muss, nein, das war wirklich nicht leicht. Man muss ja schon an seinem Gesicht sehen, dass er sehr intelligent ist. Ich habe überall nach Justin Ausschau gehalten und Kalomba Mbuyi am Ende in einer Straßenbahn entdeckt. Er entsprach ganz meinen Vorstellungen, er ist auch in Wirklichkeit sehr klug und in der Schule sehr ehrgeizig."
Wie kam Emile M'Penza ins Spiel?
"Die Fußballgeschichte war nicht von Anfang an drin, aber als ich am Drehbuch saß, erinnerte ich mich an das große Mannschaftsphoto, als Frankreich 1998 Weltmeister wurde. Außer Zidane, der zwei Tore gegen Brasilien geschossen hat, waren noch sechs Leute in der Nationalmannschaft, die von Einwanderern abstammten – aus Algerien, Mali und Kamerun. Ja, und als ich daran dachte, habe ich mir gesagt, dass wir in der belgischen Nationalmannschaft ja auch einen Schwarzen haben, M'Penza, der früher Stürmer bei Schalke 04 war. Ich habe ihn also gefragt, ob er mitmachen würde, und er war sofort dazu bereit. Daraufhin habe ich ein anderes Ende geschrieben – mein erstes war viel tragischer, aber gegen das Absurde geht man am besten mit Humor an. Und wenn man ein soziales Thema mit sozialem Humor verbindet, hat man mehr Publikum. Das wiederum ist eine gute Voraussetzung, um über das ganze Thema zu diskutieren."
Gibt es für Sie eine besondere Beziehung zu Afrika und können Sie uns etwas über Ihren persönlichen Hintergrund erzählen?
"Ich bin 1957 in Bombay geboren, in Chicago und Kigali (Ruanda) aufgewachsen, wo ich im Alter von etwa 5 bis 9 Jahren gelebt habe – mein Vater hat in der Botschaft gearbeitet. Ich mochte Afrika sehr, habe meine Schule aber in Belgien absolviert. Von 1976 bis 1980 studierte ich Psychologie, arbeitete ein Jahr als Psychologe und bin dann auf die Filmschule in Brüssel gegangen. Jetzt arbeite ich schon seit 15 Jahren in der Branche, als Regieassistent, Herstellungsleiter und nun auch als Regisseur. Ich kenne also beide Seiten, und das ist nach zwei Kurzfilmen mein erster Spielfilm, den ich auch mit produziert habe. Und natürlich habe ich noch eine Menge Projekte im Kopf."
Zum Beispiel?
"Ich arbeite gerade an zweien. Eines ist eine große aufwändige Produktion über den Ersten Weltkrieg aus verschiedenen Blickwinkeln, dem belgischen, französischen, englischen, deutschen und auch dem afrikanischen. Verbindendes Glied wird die Antwort der verschiedenen Armeen auf eine Brieftauben-Botschaft sein. Das andere Projekt ist 'billiger'. Da handelt es sich um eine Komödie über alte Knaben von 50, die wissen wollen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. An dem Drehbuch schreibe ich gerade."
Mit Dominique Standaert sprach Uta Beth
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