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Ausgabe 108-4/2006

"Wir sind überzeugt, dass man Kindern das Medium Film im Kino näher bringen muss"

Ein Gespräch mit Gabriele Rosslenbroich, Kinobetreiberin, über die Praxis des Kinderkinos

Interview

Gabriele Rosslenbroich betreibt seit 1976 mit ihrer Schwester Margarethe Papenhoff Kinos in Mettmann und Ratingen. In den beiden Traditionshäusern, die damit schon in der dritten Generation in der Familie sind, läuft ein regelmäßiges Kinder- und Jugendprogramm, das wesentlich zum familienfreundlichen Profil beiträgt. Rosslenbroich gehört zu den erfahrensten Kinderkinomachern in Deutschland. Seit etlichen Jahren engagiert sie sich auch in Verbänden und Vereinen für den Kinderfilm. So ist sie Kinderfilmbeauftragte des Hauptverbands Deutscher Filmtheater und sitzt in der Drehbuchkommission der Filmförderungsanstalt sowie in der gemeinsamen Kinderfilmkommission von BKM und Kuratorium junger deutscher Film. Im Gespräch mit Reinhard Kleber gab sie Auskunft über ihre 30-jährige Kinderkino-Erfahrung.

KJK: Warum ist das Kinder- und Jugendprogramm für Ihre Häuser so wichtig?
Gabriele Rosslenbroich: "Schon zu meiner Kinderzeit gab es sonntags Kindervorstellungen. Als wir die Leitung der Kinos übernommen haben, bauten wir dieses Angebot aus. Seitdem zeigen wir täglich Kinderfilme. Wir sind der Ansicht, dass Kinder nicht nur an einem Tag und zu einer Vorstellung die Gelegenheit haben sollten, sondern die Wahl, jeden Tag ins Kino zu gehen. Wir sind überzeugt, dass man Kindern das Medium Film im Kino näher bringen muss. Wenn man die Kleinen nicht ans Kino heranführt, werden sie als Erwachsene auch nicht ins Kino kommen."

In der deutschen Filmbranche hat der Stellenwert der Kinder- und Familienfilme sowohl bei der Produktion als auch bei der Publikumsresonanz in den vergangenen Jahren zugenommen. Ist das noch ausbaufähig?
"Ja. Es sollte noch mehr Kinderfilme geben, so dass Kinder nicht nur Großproduktionen sehen können, sondern auch 'kleine' Filme. Kinder sind ja sehr kritikfähig, die sagen klar, dieser Filme gefällt mir und jener nicht."

In Deutschland werden in erster Linie Erfolgsromane oder Drehbücher nach bekannten Marken verfilmt, während die Luft für Gegenwartsstoffe und Originaldrehbücher dünner wird. Wie kann man diesem Trend entgegenwirken?
"Wir mischen unser Programm. Wenn wir zum Beispiel einen Kästner-Film zeigen, weisen wir in Programmheften und im Vorprogramm auf andere Produktionen hin. Wir brauchen auf jeden Fall auch Gegenwartsstoffe. Verfilmungen von Kinderbüchern sind optimal dazu geeignet, um die Kleinen mit den ihnen schon bekannten Figuren langsam ans Kino heranzuführen. Zum Beispiel gerade jetzt bei 'Oh wie schön ist Panama' haben wir die Gelegenheit, mit Eltern auch über andere Filme zu sprechen, die eventuell etwas für ihre Kinder wären."

Wenn Sie auf 30 Jahre Kinderkino zurückschauen: Was ist die markanteste Entwicklung?
"Was mich besonders freut: Vor zehn oder 15 Jahren haben wir beim Förderverein Deutscher Kinderfilm und anderswo immer wieder beklagt, dass es zu wenig Kinderfilme gibt. Mittlerweile ist es Gott sei Dank so, dass wir eine viel größere Auswahl haben, wenn ich das Family Entertainment dazurechne. Außerdem ist ein Bewusstsein dafür entstanden, dass Kinderfilme gebraucht werden. Das geht zum Teil auf die Arbeit zurück, die alle, die sich mit Kinderfilm beschäftigen, zusammen geleistet haben. Dazu gehört auch, dass es einen Bundesfilmpreis für den Kinderfilm gibt."

Was kann aus der Sicht des Kinopraktikers im alltäglichen Kinderkinogeschäft verbessert werden?
"Wenn Verleiher zum Beispiel bei einem ausgesprochenen Kinderfilm drei Vorstellungen am Tag verlangen, dann wird es schwierig, weil das die Programmierung einer Jugendschiene blockiert. In Klein- und Mittelstädten gehen Kinder einfach nicht mehr in einen Kinderfilm. Auch die Zusammenarbeit mit den Schulen gestaltet sich manchmal schwierig und könnte besser laufen. Dort wird das Medium Film noch immer zu wenig im Unterricht behandelt. Viele Lehrer sehen Film vorwiegend als Unterhaltungsmedium und zu wenig als Kulturgut. Dabei ist es ebenso wichtig, sich mit Film zu beschäftigen wie mit Literatur."

Auf welche Initiative im Bereich Kinder- und Jugendfilm sind Sie besonders stolz?
"Kinderkino fängt bei uns mit vier Jahren an und hört bei maximal zwölf Jahren auf. Die Gruppe der 12- bis 15-Jährigen geht nicht ins Kinderkino. Die 14- bis 15-Jährigen schauen sich auch keine Kästnerverfilmung mehr an. Deshalb haben wir die Jugendlichen gefragt, was sie sehen möchten. Hieraus ist die Idee entstanden, einen Teeny-Day einzurichten. Seit 2005 zeigen wir einmal im Monat freitags um 17 Uhr Filme wie 'Die Wolke', 'Honey', '13' oder 'Dance'. Nach dem Film gibt es bis 21 Uhr einen Disco-Abend mit antialkoholischen Getränken. Mittlerweile ist der Teeny-Day zum festen Bestandteil unseres Programms und auch zu einem Treffpunkt für Jugendliche geworden."

Sie sind ja schon seit 1978 Mitglied des Fördervereins Deutscher Kinderfilm. Worin sehen Sie denn seine größte Leistung?
"In der Bewusstmachung, dass Kinderfilme gebraucht werden, dass mehr Kinderdrehbücher geschrieben werden sollten, dass die Produzenten überzeugt werden mussten, auch Kinderfilme herzustellen, dass die Verleiher immer wieder angesprochen wurden, Kinderfilme ins Programm zu nehmen. In dieser Hinsicht hat der Verein viel geleistet."

Welche Erfahrungen haben Sie in den Fördergremien gemacht? Was können Sie dort für den Kinderfilm tun?
"Gravierend war für mich am Anfang, dass beim BKM überwiegend schwierige Kinderfilmstoffe vorlagen. In der ersten Zeit war sehr viel Überzeugungsarbeit notwendig, dass man auch Stoffe fördert, die einen gewissen Erfolg im Kino haben könnten, die also nicht nur mit zwei oder fünf Kopien auf den Markt kommen. Es macht keinen Sinn, viel Geld auszugeben für einen Film, den nachher keiner im Kino sieht. Mittlerweile ist es so, dass Stoffe gefördert werden, die eine Chance im Kino haben."

Die skandinavischen Länder gelten als sehr erfolgreich bei der Kinderfilmproduktion. Halten Sie es für wünschenswert, sich an dieses Vorbild anzulehnen und die deutschen Fördermittel für Kinderfilm zu erhöhen?
"Ja, auf jeden Fall. Die Produktionskosten eines Kinderfilms sind genauso hoch wie bei einem Erwachsenenfilm, ja manchmal durch die Arbeit mit Kindern sogar höher. Man könnte und müsste die Fördersummen erhöhen, damit auch breiter produziert werden kann und man auch anspruchsvolle Themen so anpacken könnte, dass die Verleiher sie auch gerne ins Kino bringen würden. Außerdem sollten die Verleiher stärker unterstützt werden, die den Bereich Kinderfilm besonders pflegen und auf den Markt bringen.
Was ich mir wünschen würde: Es gibt so viele Produktionen aus Skandinavien und anderen Ländern, die man auf der Berlinale oder auf anderen Festivals sieht, die aber dann nie in die deutschen Kinos kommen. Es wäre schön, wenn die Verleiher mehr Mut hätten, auch solche Produktionen einzukaufen. Oder dass es eine andere Struktur gäbe, damit Kinobetreiber solche Produktionen aus Europa auch zeigen könnten. Derzeit ist das in Deutschland fast nicht möglich. Wir haben amerikanische und deutsche Kinderfilme, aber fast keine europäischen."

Wenn Sie in die Kinozukunft schauen, haben Sie einen Herzenswunsch?
"Ich habe mir immer gewünscht, ein neues Kino zu bauen, das die Bedürfnisse der Kinder in baulicher Hinsicht berücksichtigt, also zum Beispiel niedrigere Theken, Toilettenanlagen, Waschbecken, Garderobenhaken usw. Kinder sitzen gerne in den ersten Reihen, dort sollten die Stufen, die Kinosessel oder die Rückenlehnen nicht so hoch sein, damit die Kleinen auch darüber gucken können. Wir nutzen schon viele Hilfsmittel, können aber in unseren beiden bestehenden Kinos leider nicht alles umsetzen."

Interview: Reinhard Kleber

 

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Krää , Gernot - Interview mit Gernot Krää zu "Paulas Geheimnis"| Palombo, Joel - "Ich möchte ein Kino, das zum Fragen herausfordert"| Proskar, Danielle - "Mit Kindern zu drehen ist sehr bereichernd – ein ständiger Sonnenschein am Set"| Rosslenbroich, Gabriele - "Wir sind überzeugt, dass man Kindern das Medium Film im Kino näher bringen muss"| Schardt, Andreas - "Für viele ist die Förderung durch das Kuratorium so etwas wie ein Gütesiegel"| Schwochow, Christian und Matthias Adler - "Man wacht morgens auf und dann ist eine Figur da – und die hieß ganz schnell Marta"| Stacke, Manuela und Katrin Milhahn - "Es gibt nicht viele Filme, die Kinder noch interessieren und trotzdem auch schön sind für Erwachsene" |


KJK-Ausgabe 108/2006

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