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Ausgabe 108-4/2006

"Man wacht morgens auf und dann ist eine Figur da – und die hieß ganz schnell Marta"

Gespräch mit Christian Schwochow (Drehbuch und Regie) und Matthias Adler (Produktion) über ihren Film "Marta und der fliegende Großvater"

(Interview zum Film MARTA UND DER FLIEGENDE GROSSVATER)

Christian Schwochow, 1978 in Bergen auf Rügen geboren, in Leipzig und Berlin aufgewachsen, wirkte als Kind bei zahlreichen Hörspielproduktionen des Rundfunks der DDR, als Jugendlicher gab er das niedersächsische Jugendmagazin "Schott" heraus und nach dem Abitur arbeitete er in Berlin als Autor, Sprecher und Reporter für verschiedene Rundfunkanstalten. Seit Oktober 2002 studiert er an der Filmakademie Baden-Württemberg Regie.

KJK: Auf dem Kinderfilmfest / Filmfest München im Juli 2006 erlebte "Marta und der fliegende Großvater" die Weltpremiere. Ist das Ihr erster langer Spielfilm?
Christian Schwochow: "Unser Film ist 60 Minuten lang, damit sind wir gerade an der Grenze. Ab einer Stunde gilt ein Film als abendfüllend."

Sie lernten das Handwerk an der Filmakademie Baden-Württemberg ...
Schwochow: "Es ist mein Dritt-Jahres-Film, der letzte vor dem Diplom im nächsten Jahr."

Woher kommt die wunderbare Marta? Wie viele Kinder wurden gesichtet?
Schwochow: "Fünfzig bis sechzig. Die Kinder kamen von Agenturen und auch privat. Wir haben uns Kinder von Freunden angeschaut und auch Empfehlungen aufgenommen. Das Casting habe ich gemacht und es wurde sehr lange gecastet. Beide Kinderdarsteller kommen von der neuen jungen Agentur 'Next Generation' aus Berlin."

Marta steht im Mittelpunkt der Geschichte, wie kam es dazu?
Schwochow: "Es ist einfach so, man wacht morgens auf und dann ist eine Figur da und geht nicht mehr weg. Sie hieß ganz schnell Marta."

Hatten Sie Hermann Beyer, den renommierten Schauspieler aus der ehemaligen DDR, von Anfang an im Kopf als Martas Großvater?
Schwochow: "Ja, schon beim Schreiben. Ich komme aus den neuen Bundesländern, da ist man mit ihm aufgewachsen."

Im Film "Gritta vom Rattenschloss" verkörpert er Grittas sanft-skurrilen, erfindungsreichen Vater. Uns haben einige Szenen, z. B. mit dem Flugrad, an Gritta erinnert. Kennen Sie den Film?
Schwochow: "Natürlich, den mochte ich, das ist aber schon eine Weile her. Ich habe Hermann Beyer einen Brief geschrieben, wir kannten uns nicht. Er sagte, dass es ihn sehr interessiert und dass er die Rolle gern übernehmen würde. Es sah aber erst so aus, als würde er keine Zeit haben. Also verlegten wir die Drehzeit seinetwegen vor. Eigentlich wollten wir Ende Juni 2005 mit dem Dreh anfangen, so begannen wir schon im Mai und hatten damit ein Risiko wegen des Wetters, denn der Film ist eine Sommergeschichte."

Der Name Matthias Adler steht für die Produktion. Wo lernten Sie sich kennen?
Matthias Adler: "Der Film entstand im Rahmen der Filmakademie Baden-Württemberg. Es war die Frage, wer produziert den Film. Das ist immer etwas schwierig mit der Begrifflichkeit, denn die Produktionsfirma ist die Filmakademie, die Rechte verbleiben ebenfalls dort. Ich bin der ausführende Produzent im Rahmen meines Studiums."

Nach der Vorführung erzählten Sie den neugierigen Kindern, dass Ihnen das Thema Vergesslichkeit, Demenz bei alten Menschen durch Ihre Großmutter nahe gekommen ist. Geht es um die Alzheimer Krankheit?
Schwochow: "Das war ein bisschen anders; bei meiner Großmutter kam durch einen Schlaganfall von einem Tag zum anderen die Demenz. Das Drehbuch habe ich dann zusammen mit meiner Mutter geschrieben, eine Familienkoproduktion also."

Wie hat es sich auf den Schluss hin entwickelt, wer hatte die Idee für die Lösung des Problems?
Schwochow: "Es war für uns gemeinsam klar, dass der Film nur so enden kann. Alzheimer ist nach wie vor ein Tabu, die Menschen schauen weg."

In Ihrem Film schauen sie hin, erst beobachtend, tuschelnd und dann rufen sie die üblichen Ordnungsinstanzen wie Polizei und Heim zu Hilfe – aber zum Schluss des Films geben sie selbst Acht auf den Großvater, dem die Gedanken weggeflogen sind. Die Kinder sind es, die die Erwachsenen zum Umdenken bringen. Es ist überhaupt ein ungewöhnliches Thema für einen Kinderfilm.
Schwochow: "Uns war klar, und wir merken das auch jetzt, dass Leute vor diesem Thema zurückschrecken. Es gibt sicher viele Eltern, die sich überlegen, ob sie sich eine Komödie mit den Kindern anschauen oder einen Film, über den man nachher eine halbe Stunde reden muss. Es war für uns klar, dass wir nichts verniedlichen wollen. Es gibt die Momente, von denen Gefahr ausgeht."

Eine generelle Frage: Wie kommen Regisseur und Produzent auf der Filmhochschule zusammen?
Schwochow: "Es ist wie auf dem Viehmarkt, die Produzenten haben die Wahl, die Regisseure bieten sich an. Wir gehen zu den Produzenten, hoffen, dass uns jemand nimmt, uns das Geld für den Film besorgt. Matthias hat ein Jahr später angefangen als ich und bei meinem Film im zweiten Studienjahr, 30 Minuten lang, hat uns jemand zusammengebracht und danach haben wir sozusagen eine Ehe geschlossen. Es ist eher selten, dass Paarungen an der Schule zusammenbleiben. Mit dem Kameramann Frank Lamm bilden wir ein Dreier-Team."
Adler: "Was viele Sachen vereinfacht. Es ist merkwürdig, dass die Verbindungen nicht halten, denn sie ermöglichen so vieles – auch später mal eine Produktionsgesellschaft zu gründen."

Wie ist die Atmosphäre auf der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg, einer kleineren Stadt bei Stuttgart?
Schwochow: "Ich habe die Aufnahmeprüfung auch in Potsdam-Babelsberg und in Berlin gemacht, in Ludwigsburg wurde ich zuerst genommen und von der Atmosphäre her hat es mir am besten gefallen. Es gibt nicht wie in anderen Schulen den Regiekult. Hier bilden sich Teams aus allen Bereichen wie Szenenbild und Musik."

Apropos Musik: Die ist ja außergewöhnlich ...
Schwochoch: "Die ist von Suzanne Piesker. Sie hat schon, bevor wir anfingen zu drehen, die Musik komponiert, dann mit zwei Orchestern eingespielt und damit ihr Diplom im Fach Filmmusik gemacht."

Im Nachspann Ihres Films bedanken Sie sich unter anderen bei Franziska Buch, der Drehbuchautorin und Regisseurin der Wiederverfilmung von "Emil und die Detektive".
Schwochow: "Sie ist Dozentin an der Filmakademie Ludwigsburg und wir haben uns über die Arbeit mit Kindern unterhalten, wo ich vorher keine Erfahrungen hatte."

Welchen Stellenwert hat der Spielfilm für Kinder an der Filmakademie?
Schwochow: "Gar keinen. Nur Animation wird häufig für Kinder gemacht, da entstehen viele Sachen."

Heißt das, dass Kinderfilm nicht geschätzt und nicht beachtet wird?
Adler: "Nein, im Gegenteil. Kinderfilm wird nicht in Frage gestellt, unser Thema auch nicht. Es ist großes Interesse da."
Schwochow: "In meiner Regieklasse sind wir sechs und es hat jeder etwas zu unserem Projekt 'Marta und der fliegende Großvater' gesagt. Es gab eine Aufführung des Rohschnitts. Da sind wir in Grund und Boden gestampft worden, auch von den Studenten und die hatten Recht. Wir haben noch sehr vieles geändert."

Wie finanziert sich ein Hochschulfilm?
Adler: "Wir haben Barmittel, die nach dem Studienjahrgang des Regisseurs festgelegt sind, in unserem Fall hieß das 7.500 Euro, hinzu kommen Bereitstellungen wie Equipment, Schnittplatz etc. und Sponsoren. So kamen wir auf etwa 50.000 Euro Cash. Wir müssen schauen, wo man ansetzen kann. Es gab bei Hochschulfilmen auch schon Senderbeteiligungen zwischen 25.000 und 60.000 Euro. Oft stückelt es sich zusammen aus kleinen Sponsorenbeträgen, ein großer Teil kommt auch privat zusammen. Wir sind arbeiten gegangen, um Geld zu verdienen, das wir in den Film stecken konnten. Bei 'Marta' dachte ich, es gäbe viele Ansatzpunkte, zum Beispiel die Alzheimer-Gesellschaft, aber die haben auch kein Geld. Sie versuchen jedoch, uns bei der Öffentlichkeitsarbeit zu helfen. Wir dachten auch an Pharmaunternehmen, aber da war nichts zu bekommen."
Schwochow: "Niemand bekam Gage, das war von vornherein klar. Keiner aus dem Team und kein Schauspieler. Das ist die Regel für Studentenfilme. Man nimmt ja meist Schauspieler, die man toll findet, und ich denke, dass Hermann Beyer auch bei meinem Abschlussfilm mitspielen wird. Und wenn ich dann meinen ersten Film außerhalb der Filmakademie realisiere, werde ich auch Gage zahlen können ..."

Interview: Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel

 

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