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Ausgabe 54-2/1993

DAS KAHLE GESPENST

DET SKALDEDE SPOEGELSE

Produktion: Crone Film Produktion A/S / Det Danske Filminstitutet, Dänemark 1992 – Regie: Brita Wielopolska – Buch: Bent Rasmussen, nach seinem gleichnamigen Roman – Kamera: Jeppe Jeppesen – Darsteller: Benjamin Rothenborg Vibe (Jasper), Patrick Ytting (Maurice), Soeren Oestergaard (Vater), Jannie Faurschou (Mutter), Ove Sprogoe (das kahle Gespenst) Länge: 75 Min. – Weltvertrieb: Det Danske Filminstitutet, Store Soendervoldstræde, DK-1419 Kobenhavn K – Altersempfehlung: ab 8 J.

Die Geschichte des dänischen Films behandelt einen wichtigen Abschnitt im Leben eines elfjährigen Jungen: Jaspers guter Freund, der Fischer Aron, ist gestorben, und Jasper fühlt sich in seiner Trauer alleingelassen. Seine Eltern sind mit der Auflösung von Arons Haushalt und mit dem Organisieren ihres eigenen Alltags beschäftigt, in der Schule macht ihm Maurice, der hinterhältige Pfarrersohn, das Leben schwer. Jasper vermisst seinen alten Freund, der nun im "Land der Unbekannten" weilt, und tröstet sich mit Prust, Arons betagter Katze, die jetzt ebenfalls allein ist, denn "Einsamkeit lässt sich zu zweit besser ertragen". Zu Arons Nachlass gehört auch ein beachtlicher Holzschrank mit einem Herz in der Tür, die sich manchmal wie von Geisterhand öffnet und wieder schließt und aus dessen Inneren von Zeit zu Zeit geheimnisvolle Geräusche dringen. Plötzlich findet Jasper vor dem Schrank eine Schuhspange, wie sie vor vielen hundert Jahren getragen wurde. Für den neidischen Maurice ist das natürlich nur wieder ein neuer Anlass, den kleinen versonnenen Jasper als Spinner abzutun, und sinnt auf Rache. Was könnte es dafür Geeigneteres geben als eine gemeine Drohung gegen Prust, die Jasper dazu bringt, bei Blitz und Donner zu mitternächtlicher Stunde in der Kirche nach dem geliebten Tierchen zu suchen. Dass er stattdessen aber einem kahlköpfigen, in eine Mönchskutte gewandeten Geist begegnet, schreckt ihn nicht sonderlich, zumal dieses Wesen klar und klug mit ihm spricht: "Rache führt zu Rache und damit hört das Böse in der Welt niemals auf. Um das Schlechte zu bekämpfen, muss man für das Gute kämpfen." Er ist es auch, der mit Jasper über die Unvermeidlichkeit des Todes spricht und ihm offenbart, dass er selbst sein Domizil in Arons Schrank hat.

In Jaspers realem Leben gibt es aber nicht nur den Widersacher Maurice, sondern auch zwei nette Mädchen in der Klasse, die Jasper in ihr unbeschwertes Spiel einbeziehen. Schließlich erfährt er sogar die Anerkennung der ganzen Klasse, nachdem sich sein Schuhspangen-Fund im Museum als wertvolles historisches Zeugnis herausstellt. Ein letztes Mal begegnet er dem Kahlköpfigen in einer Atmosphäre zwischen Tag und Traum, als dieser im Boot, mit der Katze Prust über der Schulter, ins Land der Unbekannten gleitet. Jasper kann es nun akzeptieren, hat er doch in seiner Wirklichkeit mindestens eine Freundin gefunden.

Mit einem kecken Schlussbild – das Mädchen Beatrice gibt dem um einen Kopf kleineren Jasper einen fröhlichen Kuss – und dazu einer melodischen Musik entlässt der Film die Zuschauer. Das fasst auch noch einmal die Grundstimmung eines Films zusammen, der sich mit einem an sich ernsten Thema beschäftigt. Der dänischen Regisseurin Brita Wielopolska (Jahrgang 1951), die sich schon mehrfach dem Film für Kinder und Jugendliche widmete ("Hodja aus Pjort", 1985; "Sally's Bizniz", 1989), ging es in ihrem neuen Film darum, dem Tod das Gespenstische, Schreckliche zu nehmen. Dafür spricht auch ihre Vorliebe für kräftige Farben in der Ausstattung. In der Figur des "kahlen Gespenstes" – was durchaus auch mit "Geist" übersetzt werden kann, da die Figur nichts von der landläufigen Vorstellung eines Gespenstes hat – liegen Freundlichkeit, menschliche Wärme und Weisheit. Die anderen Erwachsenen-Figuren – insbesondere der etwas dümmliche Lehrer und das klischeehaft überzeichnete Pfarrerpaar – agieren allerdings zu eindimensional. Angenehm dagegen wirkt das Spiel von Jasper als stiller und doch starker Junge, der unbeirrt seinen Weg geht und sich nicht von dem aufgeplusterten Pfarrersöhnchen aus der Ruhe bringen lässt. Am Ende gewinnt er die Zuneigung, nicht nur der beiden Mitschülerinnen.

Etwas irritieren mag hierzulande (erfahrungsgemäß Erwachsene) eine Bade-Plantsch-Szene der beiden heranwachsenden Mädchen, die jedoch in ihrer Natürlichkeit und Unbefangenheit sowohl den selbstverständlichen Umgang mit der Sexualität überhaupt als auch das Vertrauen zwischen den jungen Darstellerinnen und der Regisseurin zeigt. Und es zeigt: Auch das gehört zum Leben, so wie der Tod, der es beendet.

Immer wieder gibt es Kinderfilme, die das Thema Tod – Verlust – Trauer behandeln ("Die Brüder Löwenherz", "Jakob hinter der blauen Tür", "Meggies Geheimnis"). "Das kahle Gespenst" ist ein weiteres Beispiel, dieses noch weithin tabuisierte Thema für Kinder, mit dem sie jedoch im "wirklichen" Leben auch konfrontiert sind, erfahrbar zu machen und ihnen eine Verarbeitungsmöglichkeit anzubieten. Die Berliner Kinderjury (Kinderfilmfest / Int.Filmfestspiele Berlin 1993) honorierte die "Mischung aus Spannung, Witz und Traurigkeit" mit einem Preis.

Christel Strobel

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 54-2/1993 - Kinder-Film-Kritik - Das kahle Gespenst

 

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