Interview
Das Internationale Zentrum für Kinder- und Jugendfilme (CIFEJ) nimmt ab sofort mehrere Kinderfilminstitutionen eines Landes und Einzelpersonen auf. Das beschloss die außerordentliche Generalversammlung der Organisation auf einer eintägigen Konferenz am 17. Februar 1992 in Berlin. Die 22 Teilnehmer reagierten mit dieser bisher umfangreichsten Satzungsänderung seit der Gründung der CIFEJ im Jahr 1955 nicht zuletzt auf die politischen Veränderungen in Osteuropa, die die dortige, früher so vielfältige Kinderfilmproduktion inzwischen weitgehend lahm gelegt haben. Über weitere Punkte der Satzungsänderung und die Perspektiven der Organisation sprach KJK-Mitarbeiter Reinhard Kleber mit der norwegischen CIFEJ-Präsidentin Renate Svardal.
KJK: Wie viele Mitglieder hat CIFEJ derzeit?
Renate Svardal: "Ursprünglich hatten wir 72 Mitglieder in 60 Ländern der ganzen Welt. Darunter sind aber Mitglieder, die schon jahrelang keine Beiträge mehr bezahlt und auch unsere Korrespondenz nicht mehr beantwortet haben. Zurzeit haben wir 40 Mitglieder. Aber wir versuchen, in Zukunft neue Mitglieder zu werben, Früher war das ja so: Da hatten wir in jedem Land nur ein Hauptmitglied mit vollen Rechten, das war das sogenannte nationale Kinderfilmzentrum. Dann gab es noch korrespondierende Mitglieder, die durften einen Beitrag zahlen, aber nicht aktiv an den Wahlen teilnehmen. Das ist jetzt anders geworden: Wer Mitglied ist und seinen Beitrag zahlt, der hat auch die vollen Rechte."
Aus welchen Gründen wurde die Satzung geändert?
"Wir möchten viel mehr für den Kinderfilm tun können. Wir leben jedoch in einer Zeit, in der alles Geld kostet. Die Änderungen geben uns die Möglichkeit, mehr Mitgliedsbeiträge zu bekommen, um besser arbeiten zu können. Das ist ein Grund. Außerdem gibt es leider Länder, die innere Streitigkeiten haben. In manchen zweisprachigen Ländern will zum Beispiel die eine Sprachgruppe mit der anderen nichts zu tun haben. Bislang konnte man nur korrespondierendes Mitglied werden, wenn man sich beim nationalen Zentrum beworben hatte. Wir haben da mehrmals die Erfahrung gemacht, dass das nationale Zentrum verhindert hat, dass andere bei uns Mitglied werden. Das aus dem Weg zu räumen, ist auch ein Grund der Veränderung."
Warum hat sich CIFEJ auch für Einzelpersonen geöffnet?
"Weil wir diesen Einzelpersonen die Gelegenheit geben wollen, bei uns mitzumachen. Das sind Personen, die etwas Besonderes mit dem Kinderfilm zu tun haben und die zum Beispiel früher keinen Anschluss an ein nationales Zentrum finden konnten, die sich aber jetzt bei uns direkt betätigen können."
Welche Personen sind das zum Beispiel?
"Zurzeit sind es ganz wenige, etwa in Indien. Vor zwei Jahren wurde zum Beispiel die Vorsitzende des indischen Kinderfilmzentrums aus politischen Gründen abgesetzt. Sie war aber immer sehr aktiv und wollte weiter aktiv bleiben, da haben wir gesagt: Gut, dann kannst du jetzt bei uns auch weiter mitmachen."
Welche Konsequenzen hat die CIFEJ aus den politischen Umgestaltungen in Osteuropa gezogen?
"Das bulgarische Mitglied zum Beispiel hatte früher das nationale Kinderfilmzentrum hinter sich, das war die Union der Filmemacher in Sofia. Die ist aufgelöst worden. Dieser Mann hat sich inzwischen selbstständig gemacht und schreibt Drehbücher. Es wäre ja dumm von uns, wenn wir diesen erfahrenen Mann ausschließen würden. Wir haben ihm jetzt die Möglichkeit gegeben, sich als individuelles Mitglied zu beteiligen."
Sind die Republiken der früheren Sowjetunion bereits Mitglieder?
"Nein. Wir haben zum Beispiel zu Russland völlig den Kontakt verloren. Zuständig war früher der Vorsitzende des Kinderfilmzentrums in Moskau, Rolan Bykow. Die hatten auch eine ziemlich große Produktionsgesellschaft, die inzwischen auseinander gebrochen ist. Wir müssen jetzt sehen, wie wir die einzelnen Republiken, die in diesem Zentrum organisiert waren, ansprechen und bei uns mitmachen lassen."
Haben die Republiken der früheren UdSSR denn schon Mitgliedsanträge gestellt?
"Nein, noch nicht."
Wie schätzen Sie denn die Lage der Kinderfilmproduktion in Osteuropa ein?
"Wir haben noch Kontakt mit Vertretern Bulgariens und Jugoslawiens. Die sagen alle: Wir wollen gerne den Kontakt aufrechterhalten, aber Geld für Kinderfilme haben wir nicht. Das ist alles gestrichen. Es gibt eventuell noch Geld für den Erwachsenenfilm, aber nicht für den Kinderfilm. CIFEJ hat da eine sehr wichtige Aufgabe: Wir müssen uns als Organisation an die Kulturministerien oder diejenigen, die dafür zuständig sind, wenden und ihnen sagen: 'Früher waren Sie ein beispielhaftes Land auf dem Gebiet der Kinderfilmproduktion, das dürfen Sie nicht einfach fallen lassen. Sie müssen an diese Tradition anknüpfen, denn das Können ist ja vorhanden.'"
Haben Sie entsprechende Schritte bereits unternommen?
"Ja, in der Tschechoslowakei konkret. Da hat die Dame, die für das Zentrum zuständig war, Hilfe-Briefe an uns geschickt mit der Bitte: 'Schreibt an den zuständigen Minister, damit der versteht, wie wichtig diese Kinderfilmarbeit ist.' Das haben wir dann auch gemacht."
Kann CIFEJ denn auch im Westen etwas für die Kinderfilmmacher im Osten tun? Etwa, indem es zu mehr Koproduktionen mit Partnern im Osten auffordert?
"Natürlich werden wir das in Zukunft alles tun können. Aber man muss ja mit den Leuten aus den Ländern teilweise erst Mal den Kontakt aufnehmen, um überhaupt zu erfahren, ob sie wünschen, dass wir uns da einmischen, denn das ist ja immerhin eine innere Angelegenheit. Was man leichter machen kann, ist Kolloquien zu organisieren. Dabei könnte man vorstellen, wie die beispielhaften Filmförderungen in Dänemark, Norwegen und Schweden organisiert sind. Man könnte darauf hinweisen, dass man in Deutschland acht Quellen anschreiben muss, während es bei uns in Skandinavien zwei Quellen gibt, von denen man die nötige Summe bis auf einen Eigeneinsatz von 5 Prozent bekommt. Zu diesen Kolloquien könnten wir auch die zuständigen Leute von den Ministerien einladen, damit die sehen, dass sie das anders machen müssten."
Planen Sie bereits derartige Veranstaltungen?
"Ja, das ist zum Beispiel ein Teilergebnis der Generalversammlung. Wir haben unter anderem beschlossen, anstelle einer jährlichen Generalversammlung nur noch jedes zweite Jahr eine zu organisieren, damit wir das dazwischen liegende Jahr für solche Kolloquien nutzen können. Wir beabsichtigen außerdem, gerade die Mitglieder, zu denen wir den Kontakt verloren haben, auf diese Weise wieder zu aktivieren. CIFEJ hat zum Beispiel einen Vertrag mit der kubanischen Filmschule, wonach sie als sogenanntes regionales Büro fungiert und sich um Lateinamerika kümmert. Außer diesem Vertrag ist aber noch nichts passiert, obwohl der schon vor drei Jahren unterzeichnet worden ist. Deshalb wollen wir in diesem Jahr eine kleine Delegation dahin schicken, zum Beispiel zum Festival in Havanna, damit sie dort die Leute trifft und fragt, was braucht ihr?"
Wie sehen Sie die Perspektiven für CIFEJ generell?
"Wir haben ganz große Möglichkeiten, vor allem, wenn man daran denkt, wie die Medien auch in den Ländern der dritten Welt sich mehr und mehr verbreiten. Es gibt überall Fernsehstationen, die aber keine kindgerechten Programme haben. Es ist unsere Aufgabe, ihnen zu sagen: 'Hier bitte, es gibt Filme, die ausdrücklich für Kinder geeignet sind!' Wir haben auch gesagt, demnächst müssten wir die Elternschulen ausbauen. Medienerziehung für Kinder gibt es ja schon ein paar Jahre, aber was nützt das, wenn die Eltern zu Hause nichts über die Medien wissen. In zwei Jahren ist ja das 'Jahr der Familie', bei dieser UNESCO-Aktion wollen wir gerne mitmachen."
Wie sieht es mit der Finanzierung derartiger Projekte aus?
"Wir haben dafür natürlich nicht genug Geld. Wir haben ja unser Büro deshalb in Kanada, weil der dortige Minister für Kommunikation uns für fünf Jahre 50.000 kanadische Dollar bewilligt hat. Das reicht allerdings nicht, wenn wir uns so aktiv betätigen wollen, wie ich das gerade angedeutet habe. Deshalb brauchen wir mehr Mitglieder, auch solche, die unterschiedliche Beiträge zahlen. Der französische Fernsehkanal J – für Jeune – hat zum Beispiel gesagt: '10.000 Francs, das ist nichts für uns.' Wenn wir mehrere reiche Fernsehstationen als Mitglieder gewinnen können, dann kommen wir sofort viel weiter. Außerdem versuchen wir, auch über UNESCO mehr Geld zu bekommen. Wir hatten bisher kein effektives Büro und keine Projekte. Wenn man aber von der UNESCO Geld haben möchte, dann muss man z. B. sagen, wir haben vor, in Afrika ein Seminar zu machen, das Familie und Medien erörtert, das kostet Geld, wir müssen Experten hinschicken und ein Budget machen. Mit dem Sekretariat in Kanada können wir das jetzt vorbereiten, um mehr Geld von der UNESCO zu erhalten."
Wie ist das Büro in Kanada besetzt?
"Die Chefin arbeitet drei Tage pro Woche, ein weiterer Mitarbeiter ganztägig. Die Muttersprache der Leiterin ist Englisch, die des Mitarbeiters ist Französisch, er beherrscht außerdem Spanisch, so dass die drei Sprachen, die wir zur Verständigung brauchen, abgedeckt sind."
Interview: Reinhard Kleber
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