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Ausgabe 83-3/2000

BREAKING THE SILENCE

PIAO LIANG MA MA

Produktion: Zhu Jang Film Motion Picture Studio; Volksrepublik China 1999 – Regie: Sun Zhou – Drehbuch: Liu Heng, Sun Zhou, Shao Xiaoli – Kamera: Lü Yue – Schnitt: Nancy Muqing, Zhai Ru – Musik: Zhao Jiping – Darsteller: Gong Li (Sun Liying), Gao Xin (Zheng Da), Shi Jingming (Fang Zipin), Guan Yue (Zheng Peidong), Yue Xiuqing (Da He) u. a. – Länge: 90 Min. – Farbe – Weltvertrieb: The Film Library, USA-Los Angeles CA 90010, Tel. 001-213-736 70 60, Fax 001-213-736 60 66 – Altersempfehlung: ab 10 J.

Ein Spielfilm aus dem modernen China über alleinerziehende Mütter und über Väter, die ihre Familie verlassen, weil das Kind behindert ist (und nur dank eines Hörgeräts von einem deutschen Elektrogroßkonzern wieder besser am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann) – so etwas wäre in dieser Kombination vermutlich zehn Jahre zuvor noch kein Filmthema für die Volksrepublik gewesen – ist es für die kommerziell orientierte Filmindustrie weltweit bis heute nicht. Dass "Breaking the Silence" dennoch aus seinem cineastischen Schattendasein herausragt und als Sondervorführung sogar im Wettbewerb der Berlinale 2000 lief, ist unbestreitbar der Hauptdarstellerin Gong Li und ihren Schauspielleistungen zu verdanken.

Gong Li spielt die Mutter Sun Liying, die für ihren schulpflichtig gewordenen tauben Sohn Zheng Da alleine sorgen muss. Um ihm den Besuch einer normalen Schule zu ermöglichen, übt sie mit ihm nicht nur Sprechen, sondern stellt ihr ganzes Leben auf die Pflege und Förderung ihres Sohnes ein. Eine Filmtochter wäre im traditionell immer noch auf männlichen Nachwuchs fixierten China denn doch zu weit gegangen und hätte ganz andere Gefühle erzeugt. Trotz teuer erworbenem Hörgerät schafft Zheng Da die Aufnahmeprüfung in der Schule nicht und als er sich gegen die Hänseleien der anderen Kinder zur Wehr setzt, geht auch noch das Hörgerät kaputt. Die verzweifelte Mutter sieht sich in ihrer Fixiertheit auf den Sohn und ihre Aufgabe außer Stande, ihm ein Ersatzgerät zu beschaffen und kann zunächst auch nicht die Hilfe eines Grundschullehrers in Anspruch nehmen, der sich für sie interessiert. Erst als sie (in einer angedeuteten Szene) beinahe von einem Geschäftsmann, der ihr Geld schuldet, vergewaltigt wird und der Sohn ihr unmissverständlich seine eigenen Bedürfnisse klarmacht, erkennt Sun Liying, dass sie im Begriff war, sich für die falsche Sache aufzuopfern.

Regisseur Sun Zhou – er war übrigens 1994 Gastdozent in Stuttgart und spielte 1999 die Hauptrolle in "Der Kaiser und sein Attentäter" von Chen Kaige – vermeidet es zum Glück, seinen Film auf das Klischee der sich grenzen- und bedingungslos aufopfernden Mutter zu reduzieren. Ohne die Bewunderung für ihre Kraft und Stärke angesichts der außergewöhnlichen Belastung durch ihr behindertes Kind zu schmälern, wird sie auch in ihrer Überfürsorglichkeit dargestellt; sie macht Fehler, will manchmal die Realität nicht sehen, kann Hilfe von anderen nicht annehmen. Erst das macht sie zum Wesen aus Fleisch und Blut, von Gong Li in allen Facetten perfekt verkörpert. Darüber hinaus gibt der Film auch ein Beispiel dafür, wie in anderen Kulturen mit Behinderten umgegangen wird. Und er übt Kritik an einer patriarchischen Gesellschaft, in der die Männer ihre Frauen in erster Linie nur ausnützen, wodurch sich dem Filmtitel weitergehende Bedeutungen entlocken lassen.

"Breaking the Silence" ist das Porträt einer leidensfähigen und willensstarken Frau, die ohne Hilfe durch die Gesellschaft versucht ihr Leben zu meistern und ihrem behinderten Kind möglichst optimale Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Gleichzeitig ist es die Geschichte eines hörbehinderten Jungen, der möglichst normal leben möchte, sich nach einer intakten Familie sehnt, wie jeder andere mit Freunden spielen will und dabei lernen muss, seinen Frust und komplizierte Alltagssituationen zu bewältigen. Insofern ist der Film auch für ein jüngeres Publikum ab etwa 10 Jahren geeignet.

Holger Twele

 

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Ausgabe 83-3/2000

 

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