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Ausgabe 83-3/2000

MANOLITO, DIE BRILLENSCHLANGE

MANOLITO GAFOTAS

Produktion: Castelao Productions; Spanien 1999 – Regie: Miguel Albaladejo – Buch: Elvira Lindo, Miguel Albaladejo, nach den Büchern von Elvira Lindo – Kamera: Alfonso Sanz Aiduán – Schnitt: Pablo Blanco – Musik: Lucio Godoy – Darsteller: David Sánchez del Rey (Manolito), Adriana Ozores (seine Mutter), Roberto Alvarez (sein Vater), Antonio Gamero (sein Großvater) u. a. – Länge: 90 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Filmax International, Barcelona, Tel. 0034-933-368555, Fax 0034-933-634656 – Altersempfehlung: ab 8 J.

"Dies ist mein Viertel, Carabanchel Alto, du hast bestimmt von ihm gehört, denn es handelt sich um eines der wichtigsten Viertel Europas. Mein Opa sagt, dass der Boden Carabanchels schrecklich ist, aber der Himmel einer der schönsten der Welt, wie die Pyramiden von Ägypten oder der Wolkenkratzer King Kongs. Die sind aus dem Gymnasium Baronesa Thyssen, sie geben immer an. Einer von ihnen hat zehn Löcher nur in einem Ohr und ein anderer hat einen Ohrring an dem Teil des Körpers, den man Pimmel nennt. Ich weiß es, denn in diesem Viertel weiß jeder von jedem ..."

So stellt der dicke, etwas kurzsichtige Manolito seine Welt vor, in der er zu Hause ist und gemeinsam mit seiner Mutter, dem Großvater Nicolás und dem jüngeren Bruder Blödmann den Alltag meistert. Der Vater ist LKW-Fahrer und meistens unterwegs. Manolito, der sich den Spitznamen Brillenschlange zugelegt hat, weiß noch mehr zu erzählen: Von der Opabank im Park des Erhängten, wo vier Plätze für fünf Opas ausreichen, weil sie alle etwas mit der Prostata haben und abwechselnd pinkeln gehen müssen oder von Yihads älterem Bruder, der im Gefängnis schlafen muss, weil er angeblich eine alte Frau zu Boden geworfen und ihr die Tasche gestohlen hat. Dabei hatte die sich mit Absicht hingeschmissen und hatte noch nicht mal Geld dabei ... Yihad, der Angeber ist Manolitos Freund, genau wie López, der Großohrige, und Susana, Dreckige Schlüpfer. Die vier sind ständig unterwegs, ihr Lieblingsspiel: Ausbruch aus dem Hochsicherheitsgefängnis. Alles könnte schön sein, wenn nur nicht die Mutter so mit den Nerven runter und Manolito nicht in Mathematik durchgefallen wäre und wenn endlich mal das Geld für die Familie ausreichen würde. So stehen nun wieder die Sommerferien vor der Tür, die Manolito wie jedes Jahr in Carabanchel Alto verbringen muss. Das heißt: Die Wohnung der Nachbarin, die natürlich verreist ist, hüten, deren Blumen gießen, den Briefkasten leeren und die erdrückende Hitze der Stadt ertragen.

Doch dann nimmt der Vater, damit seine Frau nicht immer über die viele Arbeit mit den Kindern schimpfen kann, seinen großen Sohn auf Fernfahrt mit. Die Reise beginnt abenteuerlich: Manolito bringt seinen Papa vor dessen Chef in eine höchst peinliche Situation, im LKW wird ihm ständig schlecht, er erzählt seiner Mutter von der Motel-Kellnerin Alicia und legt sich zum Schluss noch in einen fremden LKW zum Schlafen. Als er aufwacht, meint Manolito entführt worden zu sein, während der nichts ahnende Fahrer fast einen Herzinfarkt erleidet. Eine aufregende Suche mit vielen Missverständnissen beginnt, an deren Ende Manolito von zwei resoluten Politessen aufgegriffen wird. Bis ans Meer ist er gekommen und dort wird er von Vater, Mutter, Opa Nicolás und Blödmann abgeholt. Ende gut, alles gut: "Für eine Weile vergaßen sie die Raten für den LKW und meine Matheleistungen. Mein Vater vergaß sein Hundeleben und meine Mutter ihr Sklavenleben. Wir sahen anders aus als sonst. Wir sahen glücklich aus."

Manolito, die Brillenschlange ist den spanischen Kindern kein Unbekannter mehr. 1988 hatte die Autorin Elvira Lindo diesen kleinen, naiven Jungen für den Rundfunk entstehen lassen und seine Abenteuer 1994 in Buchform veröffentlicht. Ihre populären Manolito-Geschichten finden sich mittlerweile auch in den Lesebüchern der Grundschule.

Als Kinofilm hat "Manolito, die Brillenschlange" in Spanien genauso eingeschlagen wie die Hörspiele und Bücher. Auch beim Kinderfilmfest der Berlinale wurde der Film mit viel Begeisterung angenommen. Es ist die leichte und doch so hintergründige Erzählweise, die Kinder wie Erwachsene anspricht, die Person des Manolitos, wunderbar dargestellt von David Sánchez del Rey, der mit seiner Natürlichkeit und Naivität Kindern die Möglichkeit gibt, sich zu identifizieren und über eigene Schwächen zu lachen, und es ist die genaue Beschreibung der Probleme einer einfachen Arbeiterfamilie, die besticht – ein überzeugender Familienfilm, einfach weil er sein Publikum ernst nimmt und etwas über das wirkliche Leben zu erzählen hat.

"Manolito, die Brillenschlange" ist der zweite Spielfilm, den Regisseur Miguel Albaladejo zusammen mit der Autorin Elvira Lindo realisiert hat. Schon ihr 1998 entstandener Film "La primera noche de mi vida" lief in Spanien sehr erfolgreich und wurde im letzten Jahr auf dem Festival des spanischen Films in Malaga ausgezeichnet. Auf dem diesjährigen Kinderfilmfest der Berlinale erhielt Miguel Albaladejos neuer Film von der Internationalen Jury eine lobende Erwähnung.

Barbara Felsmann

 

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