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Ausgabe 90-2/2002

BEIJING BICYCLE

SHI QI SUI DE DAN CHE

Produktion: Arc Light Films, Pyramide Prod.; VR China / Frankreich 2001 – Regie: Wang Xiaoshuai – Buch: Wang Xiaoshuai, Tang Danian, Peggy Chiao, Hsu Hsiao-ming – Kamera: Liu Jie – Schnitt: Liao Ching-song – Musik: Wang Feng – Darsteller: Cui Lin (Guei), Li Bin (Jian), Zhou Xun (Qin), Gao Yuanyuan (Xiao), Zhao Yiwei (Vater), Xie Jian (Manager) u. a. – Länge: 113 Min. – Farbe – Verleih: Arsenal (O.m.U.) – Altersempfehlung: ab 12 J.

Der 16-jährige Guei kommt wie so viele vom Land in die Metropole Peking. Es gelingt ihm, einen Job in einer Fahrradkurier-Agentur zu ergattern. In einem Kurzlehrgang wird den schnellen Jungs eingetrichtert, worauf es ankommt: sauber, ordentlich und pünktlich zu sein, das Image der Firma zu hegen und zu pflegen – und natürlich auch das teure Bike. Aufnahme hat Guei bei einem Verwandten gefunden, der in den verwinkelten Gassen des alten Peking einen kleinen Laden betreibt. Dort ist das Leben noch beschaulich. Und zu beschauen gibt es viel, vor allem die unbekannte Schöne schräg gegenüber bei den Neureichen, die offensichtlich ein so leeres Leben führt, dass sie sich täglich dreimal umzieht. Das Berufsleben hingegen ist aufregend, alles ist neu für Guei, die glitzernden Fassaden der neuen Welt, in der Geld das höchste Gut ist.

Als dem stolzen Kurier schon nach wenigen Tagen das Rad geklaut wird, ist die Katastrophe da. Das heißt für Guei: Der Job ist weg, die Zukunft verloren. Verzweifelt beschwört er den Chef und ringt ihm das Versprechen ab, bei Wiederbeschaffung des Rades weiter arbeiten zu dürfen. Unglaublich aber wahr, Guei sieht sein Rad und nimmt es mit, zum Entsetzen des Schülers Jian, der genauso dringend das Bike braucht wie Guei. Für ihn bedeutet es Prestige in der Clique und vor allem Ansehen bei seinem Traummädchen. Die Geschichte spitzt sich zu. Jian fühlt sich im Recht, denn er hat das Rad auf dem Flohmarkt erworben. Dass er dafür das Geld zu Hause geklaut hat, erzürnt seinen Vater. Jian fühlt sich aber auch hier im Recht, da ihm der Vater schon lange ein Fahrrad versprochen hat. Zwei gleichaltrige Jungen kämpfen um das Rad. Jians Clique greift ein, prügelt Guei zusammen, doch der hält fest an seinem Anspruch und klammert sich an sein Rad. Schließlich wird ein Kompromiss gefunden, der beiden nicht gefällt. Am Ende kommt es zum Showdown, bei dem Guei und Jian von einer rivalisierenden Biker-Gang zusammengeschlagen werden. Doch für Guei ist der eigene Schmerz nichts gegen den um sein "verletztes" Rad, das er durch das Verkehrschaos Pekings davonträgt. Jians Schicksal interessiert ihn nicht. Dabei hätte es der Anfang einer Freundschaft werden können – westliches Wunschdenken ...

Die dramatische Geschichte um Mein und Dein im heutigen China beginnt dokumentarisch. Gesichter von Jungen vor der Kamera, die voller Optimismus erzählen, was sie sich von ihrem neuen Job als Fahrradkurier in der großen Stadt versprechen. Eifrig studieren sie den Stadtplan, auf Kosten der Firma wird ihnen ein Outfit verpasst, das sie stolz macht. Dann wird die Unternehmensphilosophie vom Chef feierlich verkündet: Euer Fahrrad ist das Werkzeug für eine tägliche Reisschüssel. Doch draußen – in der offiziell nach wie vor kommunistischen Gesellschaft – herrschen die Gesetze des freien Marktes. Nur Gueis Naivität und Bodenständigkeit bewahren ihn vorm Absturz – im Gegensatz zu der unbekannte Schönen, die sich als diebisches Hausmädchen entpuppt. Der Regisseur zeichnet ein realistisches Bild eines sich im rasanten Umbruch befindlichen Staates, von der Faszination der Stadt auf die Landjugend, von einer Bevölkerung, die sich anschickt, die westliche Konsumgesellschaft zu überholen. Und Jians Vater steht für eine Elterngeneration, die den neuen Herausforderungen hilflos begegnet.

"Beijing Bicycle" ist in China ein großer Publikumserfolg, greift er doch ein Thema auf, das die Menschen bewegt. Gueis und Jians Festklammern am Besitz in Gestalt des Bikes steht für den Anspruch auf Eigentum – kein neues Verhalten der Menschen in China, aber neu ist, dass ein Film dies so schonungslos thematisiert.

Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel

 

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