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Ausgabe 90-2/2002

WANG SHOUXIANS SOMMER

WANG SHOUXIAN DE XIA TIAN

Produktion: China Film Group Corporation; Volksrepublik China 2002 – Regie: Li Jixian – Buch: Xiaojiang Li Honghe – Kamera: Liu Jie – Schnitt: Zhou Xinxia – Musik: An Wei – Darsteller: Wei Zhilin (Wang Shouxian), Cheng Taisheng (Dalui), Lui Shikai (Xiaoluizi), Li Wanquan (Schulleiter) – Länge: 87 Min. – Farbe – Weltvertrieb: China Film Group Corporation, Tel. 0086-10-8204 7868, Fax 0086-10-8204 5867, e-mail: dsgs@263.net – Altersempfehlung: ab 8 J.

Der zwölfjährige Shouxian lebt in einem abgelegenen, armen Bauerndorf im Nordwesten Chinas. Er ist ein fleißiger Junge zu Hause und auf dem Feld, aber ein fauler Schüler, der schon zweimal sitzen geblieben ist. Als nun eines Tages ein Filmteam ins Dorf kommt, das einen jungen Darsteller für die Hauptrolle sucht, ist Shouxian fest entschlossen, Schauspieler zu werden. Beim Casting in der Schule sticht er durch eine tränenselige Darbietung alle Mitbewerber aus, wegen seiner schlechten Schulleistungen wird aber ein anderer – besserer – Schüler (und schlechterer Schauspieler) ihm vorgezogen. Mit Hilfe seines besten Freundes, der die Kuh verjagt, die der Konkurrent zu hüten hat, gelingt es ihm, sich das Script für die ersehnte Rolle zu verschaffen und mit einem Mal fällt ihm das Auswendiglernen überhaupt nicht mehr schwer. Im Nu hat er die ganze Rolle im Kopf. Als dann der Regieassistent sich für ihn einsetzt und er – die Bedingung des Schulleiters – auch die verlangte Hausaufgabe noch fehlerfrei aufsagen kann, gehört die Rolle ihm.

Doch nun geschieht das Unglaubliche. Shouxian weigert sich, seinen Text so zu sprechen, wie er im Script steht. Er spielt einen Bauernjungen, der aus dem Dorf, wo er mit seiner geliebten Schwester lebt, zu seinem Vater in die Stadt ziehen muss. In der Schlüsselszene soll er der Schwester unter Tränen versprechen, so bald wie möglich wieder zu ihr zurückzukommen. Und das kann er nicht. Für ihn als armen Bauernjungen ist die Stadt der Ort aller Wünsche und Sehnsüchte und es ist ihm unvorstellbar, dass jemand, der es einmal dorthin geschafft hat, je wieder freiwillig zu harter Arbeit und materieller wie geistiger Armut zurückkehren möchte. So darf ein Film nicht lügen! Durch nichts ist Shouxian zu bewegen, den entscheidenden Satz zu sprechen. Um den Regisseur zu überzeugen, veranstaltet er unter seinen Freunden eine Umfrage und natürlich sind alle seiner Meinung, aber es nützt nichts: Shouxian verliert die Rolle, die Dreharbeiten werden abgebrochen und das Filmteam verlässt das Dorf. Kurz darauf findet Shouxian einen Belichtungsmesser, den sein Freund, der Regieassistent vergessen hat, und er reist der Crew in die Stadt nach ...

"Wang Shouxians Sommer" ist bei aller Ruhe der Beobachtung und der Einstellungen ein sehr lebendiger, unterhaltsamer Film, der den europäischen Zuschauer in eine eher selten geschilderte und hierzulande völlig verschwundene Welt einfachster bäuerlicher Verhältnisse versetzt. Und es ist ein Film über die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen und -verzerrungen sowohl dieser als auch der städtischen Verhältnisse: Aus der Sicht des Regisseurs ist das Dorf der romantische Hort intakter sozialer Beziehungen und die Stadt der unpersönliche Moloch; für den Bauernjungen steht das Dorf für mühseliges Leben und Langeweile, während die Stadt das Paradies verkörpert. An diesem Punkt stellt sich für Shouxian die Frage künstlerischer Wahrheit und sie zu verraten, ist ihm unmöglich, selbst um den Preis, der dörflichen Armut niemals entfliehen zu können. Somit handelt "Wang Shouxians Sommer" auch von Auflehnung und dem Festhalten an der eigenen Überzeugung gegen alle Widerstände und mit allen Konsequenzen und dürfte in diesem Sinne auch für die Volksrepublik China ein außergewöhnlicher Film sein.

Gerold Hens

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 91-2/2002 - Kinder-Film-Kritik - Wang Shouxians Sommer

 

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