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Ausgabe 90-2/2002

DIE MONSTER AG

MONSTERS, INC.

Produktion: Walt Disney Pictures / Pixar Animation Studios; USA 2001 – Regie: Pete Docter, David Silverman, Lee Unkrich – Buch: Andrew Stanton, Daniel Gerson, nach einer Originalstory von Pete Docter, Jill Culton, Jeff Pidgeon, Ralph Eggleston – Schnitt: Jim Stewart – Musik: Randy Newman – Länge: 92 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Buena Vista (35mm)- Altersempfehlung: ab 8 J.

Ein Kind schläft in seinem Bettchen. Die Decke hebt und senkt sich. Es ist dunkel. Da öffnet sich die Tür des Wandschranks. Ein Monster naht. Plötzlich schrickt das Kind hoch und schreit. Doch halt! Das Kind ist nur ein Oberkörper, der auf einer Stahlfeder schwankt. Wir befinden uns nämlich im Übungslabor der Monster und Nachtmahre, die erst lernen müssen, wie man Kinder erschreckt, ehe sie zu ihrer Tätigkeit ausschwärmen.

Man lernt sehr schnell, dass die Monster in diesem Film "Menschen" wie du und ich sind, die einer geregelten Arbeit nachgehen, eben dem Kinder-Erschrecken im Dienst der Firma Monster AG. Aber das tun sie nicht zum Spaß. Die Angstschreie der Kinder sind nämlich lebenswichtig für Monstropolis. Sie sind die Energie, ohne die nichts läuft. Hauptpersonen der Geschichte sind der blaue Zottelriese Sullivan, genannt Sulley, und sein Freund und Arbeitskollege Mike Glotzkowsky, der grüne Kleine mit dem Riesenauge. Die Energiebeschaffung erfolgt, indem die Monster durch eine Art Dimensionsportal gehen, welches ein Duplikat der jeweiligen Schranktür in einem Kinderzimmer ist. Eines Tages will es der Zufall, dass nach Arbeitsschluss eine der Türen nicht ins gigantische Türenlager gebracht worden ist. Als Sulley die Türe überprüft, folgt ihm ein Mädchen nach Monstropolis. Und damit beginnt eine Kette von Verwicklungen, was dazu führt, dass Sulley und Mike anfangen, das kleine Mädchen "Buh" zu mögen. Sie müssen feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, das Mädchen wieder in sein Kinderzimmer zurückzubringen, weil es nämlich eine finstere Verschwörung gibt, mit einer neuartigen Erfindung die Angst der Kinder viel direkter auszubeuten als bisher. Doch Sulley findet die eine, wahre Lösung, die sich in der Erzählung immer wieder en passant angedeutet hat: Das Lachen der Kinder produziert wesentlich mehr Energie als das Schreckgeschrei. Die Monster müssen umlernen und die Kinder unterhalten. Und das ermöglicht es Sulley schließlich doch, dass er die nach Hause geschickte Buh eines Tages wiedersehen kann.

Die Monster in diesem Film sind zwar monströs, aber im Großen und Ganzen humorvoll, niedlich und putzig anzusehen. Die Pixar Studios haben wieder einmal keine Mühen gescheut, ihre Computeranimation gegenüber "Toy Story" noch weiter zu verbessern. Die "künstlichen" Monster sehen sehr "natürlich" aus und agieren wie echte Schauspieler. Ray Harryhausen hätte seine Freude an ihnen.

Die Tatsache, dass die Monster Kinder erschrecken müssen, um selber überleben zu können, ist nur der Ausgangspunkt für eine mit vielen Anspielungen gewürzte, schlau konzipierte Abenteuergeschichte, die alles bietet, was das Herz begehrt: Spaß und Spannung, Abenteuer und Dramatik, rasante Verfolgungsjagden auf dem Türentransportband, eine Begegnung mit einem Yeti und einen Showdown mit einem unsichtbaren Gegner. Kurz gesagt: Bester Show- und Unterhaltungswert.

Neben den vielen Schaueffekten von hohem komischem Reiz bietet die Geschichte aber unterschwellig auch eine Geschichte von Emanzipation und Integration. Die anfängliche Ablehnung der angeblich so gefährlichen Menschenwelt mündet in Verständnis, Zuneigung und Kooperation. Die Helden erkennen, dass man sie und ihre Arbeitskraft ausgenutzt hat und dass eine Änderung der Zustände nur möglich ist, wenn sie neue Wege gehen. Da es dabei um alternative "Energien" geht, mag man dies durchaus auch als eine der Botschaften des Films sehen. Über den Gedanken der Energieversorgung hinaus scheint mir aber weit wichtiger und interessanter zu sein, dass die Autoren der Geschichte Wert auf die Feststellung gelegt haben, dass es sinnvoller ist, die Menschen zum Lachen zu bringen, als sie zu erschrecken. Leider glauben viele Film- und Fernsehmacher nicht an diese Idee.

In seinem zutiefst menschlichen Streben ist dieser Unterhaltungsfilm eine gelungene Parabel auf den Zustand der Welt, in der sich allzu viele verschiedene Gruppen gegenseitig zu Buhmännern deklarieren statt aufeinander zuzugehen. Man müsste nur eine Tür aufstoßen, um erkennen zu können, dass man all den Strippenziehern das Handwerk legen kann. Und wenn schon die vielen verschiedenen Monster friedlich miteinander auskommen, warum sollten es dann nicht auch die unterschiedlichen Menschen tun?

Wer zu Beginn des Nachspanns nicht gleich das Kino verlässt, dem wird – wie bei Pixar inzwischen fast schon Usus – wieder einmal gezeigt, dass auch animierte Monster nur Schauspieler sind, die sich bei den Filmaufnahmen gegenseitig Streiche spielen oder ihren Text nicht beherrschen. Und dann beginnen sie auch noch die im Film als Ausrede erwähnte Laieninszenierung ihrer eigenen Geschichte zu spielen. Die Monster AG ist von Anfang bis zum Schluss perfekt inszenierte Unterhaltung, bei der nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen glänzend unterhalten werden. Und – vielleicht – sogar einige positive Anstöße für den Alltag bekommen.

Wolfgang J. Fuchs

 

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