Produktion: Trebitsch Produktion International; Deutschland 1999 – Regie: Anno Saul – Drehbuch: Sonja Karsten – Kamera: Gero Steffen – Schnitt: Ingrid Broszat – Musik: Marcel Barsotti – Darsteller: Tatjana Trieb (Katja), Robert Gwisdek (Johann), Martina Gedeck (Doris), Ulrich Noethen (Detlev), Heino Ferch (Simon) u. a. – Länge: 90 Min. – Farbe – Verleih: Buena Vista – Altersempfehlung: ab 14 J.
Die 14-jährige Katja und der gleichaltrige Johann sind dicke Freunde. Gemeinsam verbringen sie ihre Freizeit auf den Wald bewachsenen Hügeln ihrer Umgebung, die ihnen wie eine grüne Wüste erscheint, träumen von mittelalterlichen Burgen, edlen Rittern und holden Burgfräulein. Später einmal wollen sie gemeinsam Archäologie studieren und schon bald eine Ritterrüstung ausgraben, die den Grundstein für ihr eigenes Museum bilden soll. So wie die grüne Wüste in ihrer Fantasie alles in ihrer Umgebung überwuchert, schluckt die Realität bald unerbittlich ihre kindlich unschuldigen Träume. Katjas Mutter, die sich von ihrer Familie überfordert fühlt und sich innerlich von ihrem schweigsam-duldenden Mann entfernt hat, nimmt sich sehr zum Missfallen ihrer Tochter ausgerechnet Johanns Vater als Liebhaber, einen introvertierten Gastwirt, dessen Frau an Krebs kurz zuvor gestorben war. Für beide Erwachsene ist es weniger die große Liebe als eine Zuflucht, ein versuchter Ausweg aus verzweifelter Lage. Und dann kündigt ein kaum stillbares Nasenbluten bei Johann an, dass dieser an Leukämie erkrankt ist – eine Diagnose, die auch die Freundschaft der beiden Jugendlichen auf eine harte Belastungsprobe stellt. Am Ende wird Johann den Kampf gegen den Krebs verlieren, sein Vater an diesem erneuten Schicksalsschlag zerbrechen, Katjas Familie endgültig zerstört sein.
Doch die sensibel und außerordentlich dicht erzählte Geschichte vom Erwachsenwerden, dem Verlust der Kindheit und der moralischen Unschuld reiht nicht nur eine Tragödie an die nächste. Sie handelt auch von innerer Stärke, Selbstüberwindung, abgelegtem Stolz, geglückter Selbstfindung, dem Kampf für das Leben – und von Hoffnung. Schon in ihren Fantasien hatten Katja und Johann einen Ritter bewundert, der für einen geliebten Menschen kämpfen wollte, selbst wenn dieser Kampf aussichtslos erschien. Und weil Katja ebenfalls dazu bereit ist – auch wenn es einen Moment gibt, da sie egoistisch und voller Begeisterung blind nur an ihre eigenen Interessen denkt und Johanns Krankheit schlichtweg ignoriert – kann sie ihrem Freund im entscheidenden Moment beistehen, bleibt sie trotz der großen Belastung aus ihrem gesamten chaotischen Lebensumfeld psychisch stabil, geht als Siegerin im Kampf um das Leben hervor, auch wenn sie im ganz wörtlichen Sinn dabei natürlich "Haare lassen" musste und nichts bleibt, wie es einmal war. Nebenbei bemerkt, einer der immer noch seltenen Filme, in denen nicht gängigerweise der Junge am Schicksal, am Opfer eines Mädchens reift, sondern umgekehrt vor allem das Mädchen die identifikationsstiftende und vorbildhafte Leitfigur abgibt.
Ideal besetzt sind die beiden Hauptrollen mit Tatjana Trieb, die schon mit ihrer ersten Rolle in "Jenseits der Stille" voll überzeugte und allein schon mit ihrem ungewöhnlichen, besinnlichen Sprachduktus Katja zu einer glaubhaften Persönlichkeit zwischen Naivität und Lebenserfahrenheit verhilft, und dem nicht minder talentierten Robert Gwisdek, dem Sohn der Schauspieler Corinna Harfouch und Michael Gwisdek.
Regisseur Anno Saul, der nach seinem Studium an der Münchner Filmhochschule zunächst nur TV-Filme drehte, gibt mit "Grüne Wüste" sein beachtenswertes Spielfilmdebüt. Bevor der bereits im Sommer 1998 abgedrehte Film ein knappes Jahr später erstmals auf dem Münchner Filmfest der Öffentlichkeit präsentiert wurde, gab es große Änderungen in der wie auch immer gearteten ersten Schnittfassung, was auch daran liegen könnte, dass Saul in seinem tiefgründigen und bewegenden Melodram eigentlich mindestens zwei Geschichten erzählt, die für sich allein tragfähig wären: den Reifungsprozess eines Mädchens zur jungen Erwachsenen und den Kampf eines krebskranken Jungen. Dank der beiden jugendlichen Darsteller verschmelzen die Teile aber zur glaubwürdigen Einheit, die auch filmisch überzeugt, beispielsweise durch verschiedene Handlungsebenen im Bildaufbau oder bei unkonventionellen starren Einstellungen, in denen die Personen aus dem Bild laufen und die Kamera verharrt. Ein Film, der Kinder und Erwachsene in ihren Problemen wie in ihrer Ambivalenz ernst nimmt, der ein schwieriges Thema souverän und emotional packend vermittelt und für alle Altersstufen geeignet ist. Was will man mehr von einem deutschen Film?
Holger Twele
Zu diesem Film siehe auch:
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