Produktion: Disney-Studio; USA 1999 – Regie: Chris Buck, Kevin Lima – Buch: Tab Murphy, Bob Tudiker, Noni White – Schnitt: Gregory Perler – Musik: Phil Collins – Länge: 88 Min. – Farbe – FSK: o. A. – Verleih: Buena Vista (35mm)- Alterseignung: ab 8 J.
In ihrem 37. langen Zeichentrickfilm knüpfen die Disney-Studios nicht nur an die afrikanischen Szenerien erfolgreicher Produktionen wie "Das Dschungelbuch" und "Der König der Löwen" an, sondern adaptieren erstmals den berühmten Tarzan-Roman von Edgar Rice Burroughs als Zeichentrick.
Nach einem Schiffbruch landet ein britisches Ehepaar mit seinem Söhnchen an der afrikanischen Küste. Als ein gefräßiger Leopard die Eltern tötet, wird der Knabe von dem Gorilla-Weibchen Kala gerettet, das gerade ein Baby verloren hat. Kalas Gefährte Kerchak weist das bleiche unbehaarte Wesen zurück, das Kala adoptieren will. Für den strengen Anführer der Affenhorde gehört es nicht zur eigenen Gattung. Mit ihrer Mutterliebe setzt sich Kala aber durch und zieht den blauäugigen Jungen an Sohnes statt liebevoll auf. Obwohl Tarzan von den anderen Affenkindern oft gehänselt wird, weil er nicht so beweglich ist wie sie, lernt er rasch hinzu. Schon bald kann er sich so schnell an den Lianen zwischen den Urwaldbäumen hindurch schwingen wie die Affenjungen. Allerdings wird ihm auch frühzeitig sein Anders-Sein bewusst, eine Erkenntnis, die ihn später vor die schwierige Entscheidung zwischen Tier- und Menschenwelt stellen wird.
Während eines einzigen Songs überspringt der Film den Zeitabschnitt zum erwachsenen Tarzan. Der muskelbepackte, langhaarige Athlet begegnet bald einer Expedition unter Führung von Professor Porter und des ungestümen Jägers Clayton. Nachdem einige ebenso freche wie neugierige Affen das Lager der britischen Eindringlinge verwüstet haben, beginnt sich Tarzan für Porters hübsche Tochter Jane zu interessieren. Im Unterschied zur literarischen Vorlage weist Tarzan den Vorschlag, Jane nach England zu begleiten, zurück. Stattdessen fällt er auf eine List des hinterhältigen Clayton herein. Der verspricht ihm, dass Jane in Afrika bleibt, wenn Tarzan ihm die Affengemeinschaft ausliefert, die ihn großgezogen hat. Hin und her gerissen von seinem Identitätsdilemma, erkennt Tarzan jedoch seine moralische Verfehlung und nimmt den Kampf gegen Clayton auf. Das unvermeidliche Happy End lässt vielerlei Möglichkeiten von Fortsetzungen zu.
Inhaltlich bietet der Tarzan-Film kaum Neues, wartet aber mit einer weiterentwickelten Animationstechnik auf, die etwa die rasante Verfolgungsjagd zwischen Tarzan und einem Leoparden in der Bildtiefe noch realistischer erscheinen lässt. Wenn der "Affenmensch" in einem "Affenzahn" über Baumäste surft, dürften insbesondere die jugendlichen Skater und Windsurfer im Publikum begeistert sein. Allerdings sind die Regisseure Kevin Lima und Chris Buck der Gefahr erlegen, durch Wiederholungen und Variationen dieser überaus dynamischen Sequenzen den Effekt überzustrapazieren. Die souveräne Kombination dreidimensional aussehender Computeranimationen bei den Hintergründen und herkömmlicher Handzeichnungen bei den Figuren setzt für das Genre allerdings neue Maßstäbe.
Während die Figuren anders als sonst in Disney-Produktionen nicht singen, treiben die kraftvollen Collins-Lieder die Handlung voran und überbrücken auf elegante Weise Zeitsprünge der Fabel. Wie in "Mulan", "Hercules" oder "Alladin" stehen dem Helden wieder einige Figuren zur Seite, die für heitere Zwischenspiele sorgen. Anders als zuletzt in "Mulan" fehlt "Tarzan" jedoch ein echter Bösewicht, der als dramaturgischer Gegenpart starke dramatische Konflikte erzeugt. Der Jäger Clayton bleibt dafür zu blass und eindimensional, um als Widersacher den Helden wirklich in Gefahr zu bringen. Eine weitere Schwäche liegt in der Hektik der Bilderfolgen. Was sich schon in den jüngeren Disney-Produktionen als Trend abzeichnete, wird hier noch aufdringlicher: Die Zuschauer werden mit einem visuellen Feuerwerk konfrontiert, das kaum einmal eine Pause zum Verschnaufen lässt. Wenn nicht gerade irgendwer durchs Bild eilt, schwenkt, zoomt oder rast die imaginäre Kamera. Der kluge und emotional packende Wechsel zwischen dramatischen und ruhigen Szenen, der gerade ältere Disney-Arbeiten auszeichnete, wird – offenbar motiviert von einem leichtfertigem Schielen auf vermeintliche Sehgewohnheiten heutiger Kids – an ein Bombardement optischer Oberflächenreize verraten.
Dessen ungeachtet erzielte die Leinwandadaption der legendären Vorlage, die seit 1912 fast 50 Mal verfilmt wurde, in den USA das zweitbeste Startergebnis in der Geschichte des Animationsfilms.
Reinhard Kleber
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