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Ausgabe 80-4/1999

"... um die Kinderfilm-Produktion in Russland am Leben zu erhalten"

Gespräch mit Nikolaj Karbula, stellvertretender Direktor und Verkaufsleiter im Studio "Barmalei" St. Petersburg

Interview

KJK: Das Barmalei-Studio ist eine wichtige Säule in der Produktion des russischen Kinderfilms heute. Seit wann existiert es und wie wurde es gegründet?
Nikolaj Karbula: "Unser Studio ist neben dem Gorki-Filmstudio in Moskau das einzige Filmstudio in Russland, das verstärkt Kinderfilme produziert. Es wurde im Jahre 1990 geschaffen, um die Kinderfilm-Produktion in Russland am Leben zu erhalten. In den ersten Jahren produzierten wir auch ausschließlich Kinderfilme. Die Gründung geschah im Zusammenhang mit der Entstehung der Rolan-Bykow-Stiftung. Rolan Bykow war auch der geistige Vater unseres Studios. Allerdings werden wir nicht durch die Stiftung finanziert."

Was bedeutet der Name?
"Der Name Barmalei ist ebenfalls eine Erfindung Bykows. Es ist eigentlich eine Gestalt aus einem Film, 'Aibolit-66', die er selbst vor gut dreißig Jahren verkörperte. Zudem wurde diese Filmkomödie von ihm inszeniert. Barmalei ist ein windiger, trickreicher, aber letztlich guter Bursche, der von allen geliebt wird."

Wie viele Kinderfilme haben Sie in den neun Jahren seit Bestehen des Studios produziert?
"Wir haben insgesamt vier lange Kinderfilme fertig stellen können, von denen übrigens zwei auf Ihrem Festival in Cottbus liefen. Es waren: 'Stschastliwyj neudatschnik' / 'Der glückliche Pechvogel' (Regie: Valerij Bytschenkow), 'Russkij parowos' / 'Russische Lokomotive' (Nenad Djapiz, Koproduktion mit Deutschland), 'Istorija pro Richarda, Milorda i prekrasnuju Shar-pticu' (Nino Achvlediani), 'Ja perwyj tebja uwidel' / 'Ich habe dich zuerst gesehen' (Valerij Bytschenkow). Zudem produzierten wir drei Filme für Erwachsene, der letzte von Sergej Sneshkin 'Zwety kalenduly' lief in diesem Jahr zur Berlinale und in Karlovy Vary."

Sie arbeiten in St. Petersburg und werden oft im Zusammenhang mit dem Lenfilm-Studio genannt. Wie ist die strukturelle Anbindung an Lenfilm?
"In den ersten Jahren seiner Existenz war Barmalei ein unabhängiges Studio und strukturell nicht mit Lenfilm verbunden. Seit dem letzten Jahr gibt es aber einen Umwandlungsprozess. Es wurde ein 'Studio für Kinder- und Jugendfilm Barmalei' gegründet, das ein Teil von Lenfilm ist, also nun ein staatlicher Betrieb. Dadurch haben wir mehr Sicherheiten in der Filmproduktion. Alle neuen Filme werden jetzt von diesem Studio produziert. Das alte Barmalei-Studio existiert aber juristisch weiter und kümmert sich noch um den Vertrieb der früheren, dort produzierten Filme."

Wie werden die Filme finanziert und wie viele Leute arbeiten bei Ihnen?
"Sowohl im alten als auch im neuen Barmalei-Studio wurden und werden die Kinderfilme hundertprozentig durch Goskino, also staatlich finanziert. Das muss auch so sein, denn Kinderfilme sind kein gutes Geschäft, nicht profitabel, und keine private Firma würde Geld dafür ausgeben. Im Allgemeinen arbeiten wir mit einem Stamm von etwa 10-18 Personen."

Wie erfolgreich laufen die Filme des Barmalei-Studios?
"Zunächst muss man feststellen, dass unsere Filme mit einigem Erfolg auf zahlreichen Festivals gelaufen sind und auch Preise erhalten haben, so in Chicago, in Augsburg, in Finnland und Estland, im tschechischen Zlín und natürlich auch in Cottbus. In Russland werden unsere Filme ebenfalls ziemlich erfolgreich gezeigt – so ist 'Stschastliwyj neudatschnik' in 64 Regionen Russlands, also praktisch im ganzen Land, gelaufen. 'Richard' lief in 40 Regionen. Dazu kommt eine umfängliche Video- und Fernsehauswertung."

Wie werden die Drehbücher und Regisseure ausgewählt?
"Das ist eine schwierige Frage! Meistens doch mehr oder weniger zufällig. Im Jahre 1996 haben wir versucht, einen Wettbewerb auszuschreiben und auch einen großen Stapel an Büchern erhalten. Wir haben sie alle gelesen, aber keines war darunter, das uns gefiel und für das wir Geld zur Filmherstellung bekommen hätten. Sergej Sneshkin, der gegenwärtig auch als Dramaturg bei uns arbeitet, liest laufend alle Drehbücher, die bei Lenfilm eingehen und prüft sie auf die Brauchbarkeit für einen Kinderfilm. Wenn etwas dabei sein sollte, das uns interessiert, würden wir natürlich die entsprechenden Entscheidungen treffen."

Was ist künftig von Barmalei zu erwarten?
"Zurzeit wird ein Film von Michail Kalatozaschwili fertig gestellt, der 'Mysterien' heißt. Es ist kein ausschließlicher Kinderfilm, aber ein Film für die ganze Familie. Der Inhalt lässt sich schwer erzählen. Wie der Titel bereits vermuten lässt, ist es eine mystische, eine Spukgeschichte. Er spielt in Russland und in Frankreich und neben Menschen werden auch Puppen als Akteure auftreten. Zudem gibt es ein gutes Szenarium von Jurij Poljakow, das 'Dr. Satero oder die Rückkehr zur Macht' heißt und das wir zur Produktion bringen wollen. Es ist ein Film, der an alte russische Märchen und Traditionen anknüpft. Allerdings haben wir gegenwärtig mit Goskino eine Schwierigkeit. Der neue Direktor, Alexander Golotwa, hat entschieden, dass in diesem Jahr kein neuer Film begonnen wird, bevor nicht die alten Projekte beendet sind, von denen einige schon seit Jahren auf die Fertigstellung warten. Auf diese Weise wurde beispielsweise 'Totalitarnyj Roman' von Swjatscheslaw Sorokin beendet, an dem schon fünf Jahre gearbeitet wurde. So werden wir wohl noch auf ein neues Projekt warten müssen! 'Mysterien' wird aber auf jeden Fall fertig gestellt. Und für das anstehende Szenarium muss Sergej Sneshkin noch die Finanzen suchen."

Interview: Volker Petzold

 

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