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Ausgabe 105-1/2006

HERR DER DIEBE

THE THIEF LORD

HERR DER DIEBE

Produktion: Comet Film / Delux Prod. / Fern Gully Films / Warner Bros. Germany; Deutschland / Großbritannien / Luxemburg 2005 – Regie: Richard Claus – Buch: Richard Claus, Daniel Musgrave, nach dem Roman "Herr der Diebe" von Cornelia Funke – Kamera: David Slama – Schnitt: Peter R. Adam – Musik: Nigel Clarke, Michael Csányi-Wills – Darsteller: Jim Carter (Victor), Caroline Goodall (Ida), Rollo Weeks (Scipio), Aaron Johnson (Prosper), George MacKay (Riccio), Jasper Harris (Bo), Alice Connor (Wespe), Lathaniel Dyer (Mosca), Alexei Sayle (Barbarossa), Vanessa Redgrave (Schwester Antonia) u. a. – Länge: 98 Min. – Farbe – FSK: o. A., ffr – Verleih: Warner Bros. Altersempfehlung: ab 8 J.

Cornelia Funke ist angesagt: Vor kurzem hat Uschi Reich für die Bavaria den ersten Teil der populären Jugendbuchreihe "Die Wilden Hühner" in Nordrhein-Westfalen verfilmt, während in den USA New Line den Roman "Tintenherz" adaptieren lässt. Als erster 'Funke-Film' läuft hierzulande jedoch die Adaption ihres Bestsellerromans "Der Herr der Diebe" an, der in Venedig und Luxemburg gedreht wurde und mit dem die zurzeit erfolgreichste Kinder- und Jugendbuchautorin Deutschlands den internationalen Durchbruch erreichte. Die 1958 geborene Autorin hat schon mehr als 3,8 Millionen Bücher verkauft, ihre Werke wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Ihre Romane wie "Drachenreiter" oder "Tintenherz" erreichen Auflagen wie sonst nur "Harry Potter". Das US-Magazin "Time" wählte Funke kürzlich zu einem der 100 einflussreichsten Menschen des Jahres 2005.

Die etwas altmodische Inszenierung des "Herrn der Diebe" von Richard Claus, der sich vor allem als Produzent des Fantasy-Films "Der kleine Vampir" einen Namen gemacht hat, ist zwar nicht gerade der optimale Auftakt für die Funke-Reihe, sie bietet aber genug Schauwerte, Abenteuer und Kurzweil für einen vergnüglichen Kinonachmittag.

Es geht um die Waisenkinder Bo und Prosper. Die Brüder fliehen vor ihrer skrupellosen Tante nach Venedig, weil ihre Mutter die Stadt über alles geliebt hat. Dort werden sie umgehend in die junge Diebesbande des 15-jährigen Scipio aufgenommen. Der selbst ernannte "Herr der Diebe" bestiehlt die Reichen, um für seine Schützlinge zu sorgen, die im verlassenen Kino Stella wohnen. Das Diebesgut verkaufen sie an den gerissenen Hehler Barbarossa. Gemeinsam entdeckt die Bande ein altes Karussell mit Zauberkräften: Es kann seine Passagiere älter oder jünger machen, allerdings nur, wenn ein seit langem verschollener hölzerner Löwenflügel entdeckt und wieder angebracht wird. Als die Bande danach sucht, werden sie nicht nur von Barbarossa verfolgt, sondern auch von dem Privatdetektiv, den Tante und Onkel auf Bo und Prosper angesetzt haben.

Die Stärke des Abenteuerfilms liegt darin, dass die Kinder für ihr eigenes Wohl sorgen und so viele Entscheidungen treffen müssen, die sonst Sache von Erwachsenen sind. Dabei lernen sie notwendigerweise den Wert von Tugenden wie Freundschaft, Solidarität und Toleranz kennen und finden am Ende ihren Platz im Leben. Die größte Schwäche der Inszenierung besteht jedoch darin, dass Richard Claus, der nach der Produktion von mehr als 20 meist deutschsprachigen Filmen hier auch wieder Regie führt, fast alle Erwachsenenfiguren allzu holzschnittartig anlegt. Wenn diese zu simplen Pappkameraden degradiert werden, bilden sie für die Waisenkinderbande auch keine ernst zu nehmenden Widersacher mehr. Eine angedeutete zarte Liebesgeschichte wird verschenkt und die Entlarvung des Bösewichts am Ende geschieht geradezu beiläufig. Wer im übrigen Venedig etwas genauer kennt, wird von der Einfallsarmut der Regie enttäuscht sein, die pflichtschuldig die sogenannten touristischen Highlights abklappert, vom Charme der Lagunenstadt aber – anders als der Roman – nicht allzu viel vermittelt.

Zur verwunschen-geheimnisvollen Atmosphäre des eher gemächlich erzählten Films tragen die sparsam eingesetzten Morphing-Effekte bei, die in den Augen des kleinen Bo etliche Statuen und Figuren zum Leben erwecken. Die Konzentration auf die Kinderperspektive erklärt den Verzicht auf große Schauspielernamen, ausgenommen Vanessa Redgraves Kurzauftritt als Nonne – ganz im Unterschied zu den Jungmimen: Der Scipio-Darsteller Rollo Weeks spielte auch schon in "Der kleine Vampir" die Titelrolle. Die deutsch-britisch-luxemburgische Koproduktion wurde offenkundig für den Weltmarkt auf Englisch gedreht. Leider wirkt die deutschsprachige Synchronisation recht betulich und pädagogisch. Ein Argument mehr, in diesem Fall doch lieber auf das Buch zurückzugreifen.

Reinhard Kleber

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 105-1/2006 - Interview - "Ich habe kein Problem mit dem Wort Kinderfilm ..."

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.HERR DER DIEBE im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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Ausgabe 105-1/2006

 

Inhalt der Print-Ausgabe 105-1/2006|

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Interviews

Claus, Richard - "Ich habe kein Problem mit dem Wort Kinderfilm ..."| Hailer, Thomas - "Den Begriff Kinderfilm nicht als Gefängnis für Produkte sehen"| Malberti, Juan Carlos Cremata - "Ich kann keine Lösung eines Problems anbieten, das nicht zu lösen ist"| Munzi, Francesco - "Es gibt leider nicht viele Saimirs"| Overweg, Calle und Volker Ullrich - Unterhalten mit Welthaltigkeit|


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