Produktion: Aardman Animations, Sony Pictures Animation; Großbritannien / USA 2012 – Regie: Peter Lord – Buch: Gideon Defoe – Musik: Theodore Shapiro – Länge: 88 Min. – Farbe – FSK: ohne Altersbeschränkung – Verleih: Sony – Altersempfehlung: ab 8 J.
Schon mehr als 20 Jahre lang wünscht sich der Piratenkapitän nichts sehnlicher, als endlich zum "Pirat des Jahres" gekürt zu werden. Doch bislang hatte er keinen Erfolg. Die anderen Freibeuter sind einfach besser und verstehen es, sich richtig in Szene zu setzen. Um einer Demütigung seiner Piratenkollegen zu entgehen, will der Piratenkapitän es mit seiner Mannschaft noch einmal versuchen. Denn schließlich – so sagt ihm sein mathematisches Verständnis – wird das Schicksal auch ihm einmal gewogen sein. In der Praxis allerdings sieht alles wieder ganz anders aus. Geentert werden Boote mit Aussätzigen, Nudisten, Schulklassen und Geisterschiffe – ein Preis ist damit nicht zu gewinnen. Als die bunte Mannschaft um den Piratenkapitän schließlich das Schiff des Wissenschaftlers Charles Darwin überfällt und bemerkt, dass außer Gorillanieren dort nicht viel zu holen ist, gibt der Piratenkapitän beinahe auf. Doch just bevor er den Wissenschaftler über die Planke laufen lassen will, wendet sich das Blatt. Darwin erkennt in dem Lieblingspapagei Polly der Piraten einen vom Aussterben bedrohten Dodo und erklärt den Freibeutern, dass dieser bei einer Wissenschaftsausstellung in London die Sensation des Jahres sein könnte, Preisgelder nicht ausgeschlossen. Unter dieser Prämisse wagen sich die Piraten verkleidet in die Höhle des Löwen. Denn London wird von Königin Victoria regiert, einer bekannten Piratenhasserin.
Wunderbar nuancenreich in klassischer Stop-Motion-Technik animiert, schickt Peter Lord seine kuriose Piratentruppe in ein Abenteuer, in dem die vermeintlichen Schrecken der Meere die dunklen Seiten der Königin ebenso kennenlernen wie sie sich darüber bewusst werden, dass Loyalität und Freundschaft wichtiger sind als Ruhm und Ehre – eine Erkenntnis, die vor allem den Piratenkapitän verändert, der durch die Verlockungen des Reichtums für kurze Zeit sogar bereit ist, Polly – immerhin das "gefiederte Herz der Mannschaft" – aufzugeben. Dieser warmherzige Kern der Geschichte wird nie zu einer aufdringlichen moralischen Botschaft, verleiht den Piraten aber Tiefe und unterstreicht dadurch ihre Charaktereigenschaften. Damit stehen die liebenswert-schusseligen Figuren ganz in der Tradition des britischen Aardman-Studios, das vor allem durch die "Wallace und Gromit"-Reihe international bekannt geworden ist. Wie diese zeichnet sich "Die Piraten!" zudem durch die detailreich gestalteten Kulissen aus, die ein wahres Feuerwerk an Anspielungen und Zitaten beinhalten und zum genauen Hinsehen einladen. Rasanter wird es schließlich in der zweiten Hälfte des Films, wenn in bester Slapstick-Manier aberwitzige Actionszenen die Handlung bestimmen und umso eindrucksvoller wirken, weil sie fast ausschließlich in Handarbeit entstanden sind. Während jüngeren Piratenlegenden wie Jack Sparrow aus der "Fluch der Karibik"-Reihe mittlerweile die Luft ausgeht, strotzen die Plastilin-Piraten aus Großbritannien nur so vor Einfallsreichtum. Mit ihnen möchte man gerne noch einmal in See stechen.
Stefan Stiletto
Inhalt der Print-Ausgabe 130-2/2012
Filmbesprechungen
GROUPIES BLEIBEN NICHT ZUM FRÜHSTÜCK GUTE CHANCEN HANNI & NANNI 2 DAS HAUS DER KROKODILE HUGO CABRET JANOSCH – KOMM, WIR FINDEN EINEN SCHATZ KADDISCH FÜR EINEN FREUND KAUWBOY DIE KINDER VOM NAPF KING OF DEVIL’S ISLAND LAL GECE LIEDER DER WELT DIE PIRATEN! EIN HAUFEN MERKWÜRDIGER TYPEN RUSSENDISKO DER SIEBENTE RABE DIE THOMANER UN MUNDO SECRETO VIERZEHN WOLFSBRÜDER YOKO
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