(Interview zum Film DER SIEBENTE RABE)
Jörg Herrmann, Jahrgang 1941, begann nach der Ausbildung zum Tischler in seiner Heimatstadt Dresden 1958 im Trickfilmstudio der DEFA als Animator und produzierte von 1962 bis 1965 neben seiner Weiterbildung an der Abendoberschule bereits erste Puppentrickfilme als Autor und Regisseur. Es folgte das Studium der Regie und Szenaristik an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam (1966-1970), danach war er neun Jahre wieder im Trickfilmstudio Dresden als Regisseur tätig, u. a. mit ersten Silhouettenfilmen. Nach Aspirantur an der HFF Potsdam und Promotion über den Animationsfilm 1982 an der Humboldt-Universität Berlin (Filmwissenschaft) richtete er in den folgenden zwei Jahren den Studiengang "Trickfilmzeichner" an der HFF ein. Zugleich arbeitete er als freiberuflicher Trickfilmmacher in einem eigenen Atelier (35mm Film) und produzierte bis 1989 für den Abendgruß des "Sandmännchens" 24 Silhouettenfilme. Seit 1991 hat er in Kreischa bei Dresden ein Trickstudio. Jörg Herrmann erlernte den klassischen Silhouettentrick bei Bruno J. Böttge, dem Mitbegründer des Dresdner DEFA-Studios für Trickfilme, der sich in seiner Arbeit ausdrücklich auf die Erfinderin des Silhouettenfilms Lottte Reiniger berief. "Der siebente Rabe" hatte im Oktober 2011 seine Premiere auf dem Filmfestival für Kinder und junges Publikum "Schlingel" in Chemnitz.
KJK: Warum diese neue Verfilmung der "Krabat"-Sage?
Jörg Herrmann: Die Sorben in Gestalt der "Domowina" (Bund Lausitzer Sorben) sind an mich herangetreten, nachdem die Kreuzpaintner-Produktion gelaufen war und sie gerade meinen Film "Der Lichterbogen" ins Sorbische übersetzt hatten. Sie fragten mich, ob man den "Krabat" auch in Silhouetten-Tricktechnik bewerkstelligen könne, aber mit einem direkten Bezug zur Lausitz.
Die Domowina hat den Film also in Auftrag gegeben?!
Ja und Nein! Sie wollten das Risiko der Produktion nicht verantworten und haben einen großen Teil der Produktionskosten getragen. Ich habe die Produktion übernommen, aber unter der Bedingung, dass man die Geschichte völlig neu erzählen müsse, weil weder das Buch von Brezan ("Die schwarze Mühle") noch der Roman von Preußler für einen Silhouettenfilm geeignet sind. Es sind auch keine Kindergeschichten, worauf ich mich anbot, eine neue zu schreiben.
Warum aber dezidiert ein Kinderfilm?
Weil die sorbischen Kinder keine erzählenden Großmütter mehr haben, die ihnen diese Sage in ihrer Muttersprache darbringen könnten. Vor allem deshalb sollte es ein Kinderfilm werden, damit die Sorben ihn dann in ihren Kindereinrichtungen auch in ihrer Sprache einsetzen können. Und sie wollten ja ursprünglich nur eine halbe Stunde. Nachdem ich aber das Buch geschrieben hatte, stellte ich fest, dass, wenn die Kinder wirklich etwas erfahren sollen über die Zeit und über die Umstände, es in einer halben Stunde nicht zu machen ist. Denn dann bliebe es wieder bloß die Zauberei.
Es ist also auf das alte Sagengut zurückgegriffen worden?!
Ich habe eine Veröffentlichung gewählt, die Leipziger Deutschlehrer 1918 herausgebracht hatten. Und in diesem Buch haben die Autoren die Geschichte sehr kurz und bündig erzählt, aber die wesentlichen Fakten sind drin: Dass er Waisenjunge war, dass er bei sorbischen Eltern aufgenommen wurde, dass er Lesen und Schreiben gelernt hatte und deshalb, anders als die übrigen Gesellen, den Müller besiegen konnte. Die körperliche Arbeit erhält im Epilog des Filmes verbal ein besonderes Lob! Dass im Gegensatz zur Zauberei die Arbeit das einzig Bleibende ist, haben die Deutschlehrer bereits 1918 geschrieben. Davon ließ sich Hedda Gehm inspirieren, die den Kommentartext geschrieben hat.
Eine starke Betonung der sozialen Komponente, eine sehr sinnliche Beschreibung von Armut, Arbeitslosigkeit, Not etc. ...
... war auch schon in der Sage angelegt. Die Menschen waren so arm, dass sie froh waren, wenn Krabat als Backofenzins ein paar Kartoffeln mit nach Hause brachte. In einer anderen Sage hieß es zum Beispiel: "Die Lausitz war damals reich an armen Leuten." Das ist ein wunderschöner Satz!
Der Kommentar des Filmes ist von einem Kind gesprochen worden ...
Ich habe eine Privatschule aufgesucht, von der ich wusste, dass dort unsere (aus dem Westen stammenden) "Leihbeamten" ihre Kinder unterbringen. Ich hatte die Hoffnung, dort jemanden zu entdecken, der noch nicht Sächsisch spricht. Dort habe ich schließlich den Adrian Georgi gefunden.
Wie ich hörte, war es nicht einfach, den Begriff "Krabat" in den Titel zu nehmen.
Zwei Vereine in der Lausitz haben sich den Namen schützen lassen und hätten sich, wenn "Krabat" im Filmtitel erschienen wäre, natürlich die Namensrechte honorieren lassen. Und darum bin ich letztlich auch auf diese Sage zurückgekommen.
Die Tricktechnik ist keine Computeranimation, sondern klassischer "handanimierter" Silhouettentrick, was man bei der Eleganz der Figurenbewegungen kaum glaubt!
Ich habe die Figuren wesentlich größer gebaut, als es seinerzeit im DEFA-Trickfilmstudio üblich war, und bin auf 21 Zentimeter gegangen. Und durch die Größe der Figuren konnte ich kleinere Phasenabstände machen und damit die Dynamik erhöhen, zu größeren und wieder zu kleineren Phasenabständen. Das macht die Eleganz der Bewegungen aus! Den Computer haben wir für das Compositing, die Einbindung der Hintergründe genommen. Dies war durchgängig die Arbeit von Judith Andó. Wir wollten den Rechner noch für Zaubereffekte benutzen, aber die habe ich schließlich alle von Hand animiert. Die Ergebnisse, die aus dem Computer kamen, sahen stilistisch maschinenmäßig aus und haben überhaupt nicht gepasst. Jede Verwandlungsphase ist als Silhouettenfigur handgeschnitten! Ich hatte bei der größten Einstellung links 144 Figuren liegen und musste sie Phase für Phase austauschen. Bemerkenswert ist die Trickbank, die mein Sohn Friedrich konstruiert hat. Diese wie auch das Programm oder der Rechner haben in 29 Monaten Produktionszeit nicht ein einziges Mal versagt oder sind abgestürzt. Das ist wirklich eine technische Leistung! Ich bin am 31. Dezember 2010 um 19 Uhr fertiggeworden, da hab ich die letzte Phase gedreht. Ich wollte es nicht in 2011 schleppen ...
Das Gespräch mit Jörg Herrmann führte Volker Petzold
Inhalt der Print-Ausgabe 130-2/2012
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