(Interview zum Film HORIZON BEAUTIFUL)
Stefan Jäger, geboren 1970 in Uster in der Schweiz, studierte nach Abschluss seines Lehrer-Examens an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg Drehbuch und Regie. Dort ist er seit zehn Jahren als Dozent für Regie tätig, seit Ende 2009 auch als Dozent für Dramaturgie und Drehbuch an der Zürcher Hochschule der Künste. 2011 hat er, der für seine Film- und Fernseh-Filme mehrfach ausgezeichnet wurde, auf Einladung der Schweizer Botschaft und des Goethe Instituts an der "Blue Nile Film and Television Academy" in Addis Abeba (Äthiopien) unterrichtet und diese Zusammenarbeit mit der Realisierung seines achten abendfüllenden Spielfilms "Horizon Beautiful" fortgesetzt. Der Film feierte seine Premiere im Juli 2013 auf dem renommierten Kinder- und Jugend-Filmfestival in Giffoni / Italien, wurde einen Monat später auf dem Festival Cinéma d’Afriques in Lausanne gezeigt und kommt Anfang 2014 in die Schweizer Kinos. Deutschland-Premiere hatte "Horizon Beautiful" im September auf dem Internationalen Kinderfilmfestival "Lucas" in Frankfurt am Main. Mit Stefan Jäger sprach Uta Beth.
KJK: Wie ist es zu "Horizon Beautiful" gekommen?
Stefan Jäger: Angesichts des leidenschaftlichen Engagements meiner Studenten dachte ich, es wäre schön, wenn wir unsere Zusammenarbeit durch die Realisierung eines unterhaltsamen und lustigen Spielfilms noch vertiefen könnten. Auch Abraham Haile, der Leiter der Filmschule, war von der Idee begeistert, mit seinen Studenten eine Crew zu bilden und nur ganz wenige Positionen mit professionellen europäischen Filmschaffenden zu besetzen. Er selbst war als Kameramann für den Film verantwortlich, ich als Regisseur, und alle mussten wir unser Wissen an die Studenten vermitteln – in der Praxis am Set und in der Theorie bei der anschließenden Auswertung. Hinzu geholt hatte ich den deutschen Komponisten und begnadeten Drehbuchautor Oliver Keidel, der die äthiopische Autorengruppe bei der Entwicklung des Scripts anleitete. Er selber war Co-Autor, ist aber bei allen wichtigen Entscheidungen hinter den Studenten zurückgetreten. Einzig der Fußball-Funktionär Franz wurde von Oliver charakterisiert und auch dessen Dialoge stammen von ihm.
Haben Sie oder Ihre Studenten die Fußball-Story eingebracht?
Die lag sozusagen auf der Straße, denn fast jeder Junge in Äthiopien möchte Fußballer werden und fast jeder hat Messi als Vorbild, egal, ob er auf dem Land lebt oder in der Stadt. Die Idee dazu kam mir, als ich das erste Mal von Addis Abeba nach Frankfurt zurückgeflogen bin und gesehen habe, wie viele Adoptionskinder im Flugzeug waren. Das hat mich betroffen gemacht und ich hab’ mich gefragt, ob sie in Europa wohl ein besseres Leben haben werden.
"Horizon Beautiful" steht in der Tradition der afrikanischen oder in Afrika spielenden Fußballfilme, die mit Cheik Doukorés 1993 in Guinea gedrehtem "Le Ballon d’Or" ihren Anfang nahm. Als "Bando und der goldene Fußball" ist er vor nunmehr fast 20 Jahren auch bei uns in die Kinos gekommen.
"Le Ballon d’Or" haben wir uns angesehen, nachdem die erste Drehbuchfassung von "Horizon Beautiful" fertig war. Dabei entdeckten wir, dass ein mit Fischen beladener Lastwagen in beiden Geschichten vorkam. Wir haben dann unsere Fische 'entsorgt' und auf den Lastwagen in Palmenblätter eingepackte Butter geladen. Wichtig war ja, dass der "böse" Franz in etwas reinfällt, das richtig eklig stinkt – und da ist man mit ranziger Butter fast noch besser bedient als mit Fischen. Ansonsten aber sind die Filme sehr verschieden, vor allem vom Ende betrachtet, wo immer auch die Haltung der Filmemacher zum Tragen kommt. Während der Junge in "Le Ballon d’Or" seinen Traum tatsächlich in Europa verwirklicht, hatten die Autoren bei uns von Anfang an eine andere, sehr klare Vision, die mich berührt hat.
Erzählen Sie uns bitte etwas über die Musik.
Es ist sehr ungewöhnlich, dass wir drei Komponisten haben, die den Soundtrack verantworten, aber im Endeffekt war es die allerbeste Lösung. Kenny Allen, ein amerikanischer Musiker, der seit mehreren Jahren in Äthiopien lebt und mit vielen äthiopischen Musikern arbeitet, war das Rückgrat. Er hat Oliver Keidel und meinen Hauskomponisten Angelo Berardi aus Italien mit musikalischen Elementen versorgt, die er mit bekannten Musikern in Äthiopien hat einspielen lassen. Kenny war für den Tonfall zuständig, Angelo für die Emotion und Oliver für die Action. Von Kenny kam auch der Vorschlag, unseren jungen Hauptdarsteller am Ende ein Lied singen zu lassen. Den Text zu "Ashinafinen" (We Are Winners) hat Sami Kassa geschrieben, ein bekannter äthiopischer Liedtexter. Und Kenny, der das Stück produziert hat, schwärmte, wie professionell und unglaublich präzise Henok dann im Studio als Sänger aufgetreten sei.
Wer hat Henok Tadele entdeckt und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?
Als wir auf dem Merkato in Addis Abeba, einem unglaublich weitläufigen, inspirierenden Ort, nach Drehorten gesucht haben, ist mir plötzlich dieser Junge aufgefallen und ich bat meinen Assistenten spontan, Henok für uns vorsingen zu lassen. Dieser Moment war magisch – man kann ihn sich auf unserer Seite www.facebook.com/horizonbeautiful ansehen. Danach wusste ich, dass Henok unser Admassu ist, obwohl wir später noch weitere 60 Kinder gecastet haben. Die Zusammenarbeit war sehr intensiv. Ich habe ein Betreuerteam aufgebaut, um ihm eine stabile Grundlage zu geben, nicht nur für sein Spiel, sondern auch menschlich. Er hatte ja bis dahin auf der Straße gelebt und arbeitete in einem Umfeld, das ihn sehr zermürbte. Durch die dreimonatige Vorbereitung, in der er wie in der Schule Unterricht hatte, ist es ihm gelungen, das Talent in sich zu perfektionieren und, da auch andere Kinder in diesen Prozess involviert waren, neue Freunde zu gewinnen. Die Dreharbeiten waren nach dieser intensiven Vorbereitung sehr angenehm und Henok hat seine Rolle mit Bravour ausgefüllt.
Was bedeutet der Film für seine Zukunft?
Schon während der Dreharbeiten hat uns der damalige Schweizer Konsul auf "Selam Village" aufmerksam gemacht, eine Organisation, die in Addis Abeba Waisenkinder aufnimmt und ihnen nicht nur die schulische, sondern auch eine berufliche Ausbildung ermöglicht. Wir haben die Stiftung besucht und waren begeistert. Doch Henok wollte anfänglich nichts davon wissen. Erst nach und nach hat er gespürt, dass dieser Schritt seinem Leben eine neue Richtung geben könnte und mittlerweile ist er seit fast einem Jahr in "Selam Village".
Hat Henok seinen Text selbst gesprochen?
Ja. Da ist kein einziger Satz nachsynchronisiert. Von Anfang an war es mein Ziel, ihn seine Dialoge selber sprechen zu lassen, weil seine Emotionen so unmittelbarer zur Geltung kommen. Dafür hat Henok in den drei Monaten Vorbereitung auch Englisch gelernt.
Stand von vornherein fest, dass Stefan Gubser den Film mitproduziert und zudem den Mister Franz spielt?
Nein, doch da Stefan und ich mehrere Jahre gemeinsam die Firma "tellfilm" geführt haben, lag es nahe. Stefan ist ja ein wunderbarer Schauspieler und es war toll, wie er sich mit dem Jungen angefreundet hat, ohne dass sie eine gemeinsame Sprache hatten. Lustigerweise hat er in der Vorbereitung auf seine Rolle den FIFA-Präsidenten Sepp Blatter kennen gelernt.
War er das erklärte Vorbild für diese Rolle?
Nun, wir wollten keine direkte Parallele ziehen. Im Film wird die FIFA ja auch nicht erwähnt. Trotzdem war uns wichtig, dass Franz als ein sehr mächtiger und in der Hierarchie weit oben stehender Funktionär gezeichnet wird. Ob man dabei auf die FIFA rückschließt, überlassen wir gerne der Fantasie des Zuschauers. Aber wir haben uns an den CEOs, also den Geschäftsführern von sehr mächtigen Organisationen, orientiert und auch Archivmaterial angeschaut, um ihren körperlichen und sprachlichen Duktus zu analysieren.
Erzählen Sie bitte noch etwas über die charismatische Rahel Teshome.
Wir haben diese großartige Schauspielerin eher zufällig bei einem Casting am Nationaltheater in Addis Abeba gefunden. Sie wollte eigentlich für eine andere Rolle vorsprechen, doch als ich sie gesehen habe, habe ich sie gebeten, uns eine Szene als Nebiat zu improvisieren. Sie hat mich sofort überzeugt, auch wenn sie sehr untypisch für eine dortige Schauspielerin ist. Im äthiopischen Theater neigen die Darsteller nämlich zur Übertreibung. Das gehört auch dazu, um einen großen Saal begeistern zu können. Aber Rahels Art ist sehr fein und kann Nuancen zum Ausdruck bringen, die auf der Leinwand besser zur Geltung kommen.
Welchen Stellenwert nimmt "Horizon Beautiful" in Ihrem Filmschaffen ein?
Einen ganz besonderen. Eigentlich wäre mein erstes Kinoprojekt ein Film über ein kleines schwarzes Mädchen gewesen, das einen griesgrämigen Großvater in den Tod begleitet. Leider ist er nie zustande gekommen und insofern ist mein achter Langfilm nun so etwas wie eine späte Premiere, bei der ich zum ersten Mal mit einem Kind in der Hauptrolle arbeiten konnte – ein großer Traum von mir, da mich die Arbeit mit Schauspielern am meisten berührt und die Arbeit mit einem Kinderschauspieler eine große Herausforderung ist.
Haben Sie schon ein neues Projekt?
Mein nächster Film ist in Vorbereitung. Er heißt "Sumotori" und erzählt von einem alten Schwingerkönig – Schwingen ist eine schweizerische Nationalsportart –, der einen kleinen Jungen nach Japan begleitet, wo er Sumo-Ringer werden möchte. Eine ähnliche Konstellation also wie bei "Horizon Beautiful", aber ein ganz anderes Thema und aus der Sicht des alten Mannes erzählt.
Interview: Uta Beth
Inhalt der Print-Ausgabe 136-4/2013
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