(Interview zum Film EXIT MARRAKECH)
Caroline Link, geboren 1964 in Bad Nauheim, studierte nach einem filmtechnischen Praktikum bei Bavaria Film von 1986 bis 1990 in der Abteilung Dokumentarfilm an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film. Für ihren Abschlussfilm, "Sommertage", wurde sie bei den Hofer Filmtagen mit dem Kodak-Förderpreis ausgezeichnet. Ihr Spielfilmdebüt, "Jenseits der Stille" (1996), wurde für den Oscar nominiert. 1999 kam "Pünktchen und Anton" ins Kino, die Wiederverfilmung des Kinderromans von Erich Kästner. Für "Nirgendwo in Afrika" (2001) erhielt Caroline Link den Oscar. Dann folgte "Im Winter ein Jahr" (2008). Ihr neuer Film "Exit Marrakech" eröffnete das diesjährige Filmfest München. Caroline Link ist mit dem Filmemacher Dominik Graf verheiratet und hat eine Tochter. Mit Caroline Link trafen sich Gudrun Lukasz-Aden und Christel Strobel.
KJK: Bei unserem letzten Gespräch arbeiteten Sie gerade an dem Drehbuch zum Kinderfilm "Pünktchen und Anton". Damals antworteten Sie auf unsere entsprechende Frage: "Ich würde auch gern Kinder haben, hoffentlich vergesse ich das nicht ... Aber das Filmedrehen macht eben auch sehr viel Spaß."
Caroline Link: Ja, als ich mir dann mit 38 Jahren ein Baby gewünscht habe, kam es erstmal nicht. Ich dachte schon, das ist die Strafe für meinen beruflichen Ehrgeiz. Bei der Premiere von "Nirgendwo in Afrika" (2001) war ich dann aber schwanger. Ich hatte diesen Film, der gut ankam, dann das Baby und dann kam noch der "Oscar".
Zu dessen Verleihung Sie aber nicht nach Los Angeles reisten, weil Ihr Kind krank war. Bis zu Ihrem nächsten Film, "Im Winter ein Jahr", vergingen sieben Jahre. Eine Zwangspause?
Im Pause-Machen bin ich gut! Wenn man selber ein Drehbuch schreibt und sich mit der Geschichte beschäftigen muss, dann dauert es ja eine ganze Weile. bis so ein Drehbuch fertig ist. Mir fällt es schwer, mehrere Projekte gleichzeitig zu entwickeln, was andere ganz gut können. Ich muss mich auf eine Sache konzentrieren. Zum Schreiben brauche ich normalerweise ein Jahr, für die Finanzierung ein weiteres und dann noch ein Jahr fürs Drehen und den Schnitt.
Apropos Finanzierung: Ist das Fernsehen beteiligt bei Ihren Filmen?
Ja, immer, wie bei allen Kinofilmen. Man muss zum Beispiel bei der bayerischen Filmförderung eine Senderbeteiligung vorweisen.
Öffnet der Name Caroline Link Türen sprich Finanzierungsquellen?
Es wäre gelogen, wenn ich sagte, ich tue mich so schwer wie jemand, der noch am Anfang steht. Natürlich gibt es da von Seiten der Förderer eine Offenheit. Doch bei meinen Drehbüchern sind sie immer unschlüssig, was das werden soll, es gibt wenig Vergleichsfilme. Literaturverfilmungen oder Komödien haben es da einfacher. Aber bei "Jenseits der Stille", "Im Winter ein Jahr" und jetzt "Exit Marrakech" musste ich viel diskutieren, wie ich mir diese Filme vorstelle und wer sie sehen soll.
Das Thema des originären Films ist gerade – wie Sie sicher wissen – durch die Initiative im Kinderfilmbereich aktuell. Ihnen ist ja in dieser Hinsicht ein guter Wechsel zwischen Literaturverfilmungen ("Pünktchen und Anton", "Nirgendwo in Afrika") und eigenen Stoffen ("Jenseits der Stille", "Im Winter ein Jahr", "Exit Marrakech") gelungen.
Ich muss mal schauen, wie "Exit Marrakech" im Kino funktioniert, ob er gut läuft, nicht nur 250.000 Zuschauer hat wie "Im Winter ein Jahr", wo die Inhaltsangabe – ein junger Mann begeht Selbstmord – die Zuschauer eher abgeschreckt hat.
Das dürfte mit Ihrem neuen Film anders sein – der Schauspieler Ulrich Tukur ist bekannt, der junge Darsteller Samuel Schneider eine überzeugende Besetzung und die Landschaft faszinierend.
Ja, Marokko ist der dritte Protagonist, nicht nur Hintergrund, sondern das Land spielt wesentlich mit. Die ganze Atmosphäre, die Gefahr, die Verführung, das Abenteuer – eine solche Geschichte könnte nicht in Deutschland spielen.
Warum Marokko?
Vor mehr als zwanzig Jahren war ich mit Dominik dort, frisch verliebt, zum Beginn des zweiten Golfkriegs. Da wurde den westlichen Touristen nahegelegt, das Land zu verlassen. Wir sind geblieben, waren allein in den Hotels und auf den Straßen. Diese Reise hat mich sehr beeindruckt. Ich wollte überprüfen, ob mich das Land noch begeistert oder ob es nur eine spezielle Situation war. Im Jahre 2011 bin ich dann mit Peter Herrmann, meinem Produzenten, noch mal an die gleichen Orte gefahren.
Und haben Sie das Land so wieder gefunden?
Es hat sich viel verändert. Marokko ist längst nicht mehr so archaisch wie damals. Heute ist es viel touristischer, aber es ist auch leichter zu reisen.
Wie schon Ihre früheren Filme ist "Exit Marrakech" auch eine Coming of Age-Geschichte, die die Gefühlswelt eines Heranwachsenden spiegelt, also auch ein Film für ein junges Publikum.
In den Test-Screenings zeigte sich, dass er mehr die Erwachsenen interessiert. Sicher, auch junge Leute finden den Jungen cool, die Begegnung mit dem marokkanischen Mädchen kommt gut an, die Diskussionen zwischen Vater und Sohn ist eher was für Eltern.
"Exit Marrakech" eröffnete Ende Juni das Filmfest München 2013. Gibt es weitere Festivaleinladungen?
Ja, New York, Zürich, Warschau, Moskau, hoffentlich im Dezember Marrakech. Gerade war ich in Toronto beim Filmfestival. Die Leute haben ihn dort – wie es übrigens oft passiert – mit "Nirgendwo in Afrika" verglichen, "Marrakech" ist dagegen eher unspektakulär, aber wir haben ganz schöne Kritiken bekommen.
Sie und Ihr Mann Dominik Graf, beide Filmemacher, sind oft monatelang unterwegs. Wie organisieren Sie das berufliche und private Leben, auch mit ihrer elfjährigen Tochter Pauline?
Ich musste lernen, dass es auch ganz gut ohne mich als Mutter läuft. Was mich stresst, ist das Bild der Super-Frauen, die vier Kinder und Karriere scheinbar mühelos unter einen Hut bringen und dabei noch fantastisch aussehen. Ich sehe es als großes Geschenk, arbeiten zu dürfen, für mich ist es ein Privileg, dass ich meine Geschichten erzählen kann. Ich möchte meiner Tochter vermitteln, dass meine Arbeit etwas sehr Schönes ist. Sie sieht aber auch, mit welchen Schwierigkeiten das verbunden sein kann.
Ist Ihre Tochter manchmal am Set dabei?
Viele sagen, nimm‘ sie doch einfach mit, aber ich mag das nicht. Kinder von Regisseuren werden dann vom ganzen Team gepampert, das finde ich nicht gut. In "Exit Marrakech" läuft sie einmal durchs Bild und hat einen Satz. Aber als Dauergast am Set würde sie mich zu sehr stressen.
Der Direktor Breuer (Josef Bierbichler) entlässt am Anfang des Films seine Schüler in die Sommerferien und gibt Simon den Rat, die Bücher zur Seite zu legen und sich auf das Leben einzulassen …
... ein gefährlicher Auftrag für einen Siebzehnjährigen!
Wie haben Sie denn Ihren jungen Hauptdarsteller gefunden?
Es gab in Berlin ein großes Casting. Samuel Schneider hatte ja schon eine Rolle in "Boxhagener Platz" von Matti Geschonneck. Damals war er noch ein Kind. Als er jetzt zum Casting kam, sah er sehr gut aus. Ich hatte diese Figur eher als einen pubertierenden pickligen Fünfzehnjährigen geschrieben, aber Samuel war einfach der Begabteste.
Also haben Sie Ihr Drehbuch umgeschrieben und ihn deshalb zum Diabetiker gemacht?
Ich wollte ihn physisch bremsen. Ich fand es wichtig, dass er auf seiner Suche nach Freiheit nicht nur von seinem Vater zurückgehalten wird, sondern auch von seinem körperlichen Problem. Das habe ich mir schon beim Castingprozess überlegt. Hinzu kam die englische Dramaturgin Sarah Golding, engagiert und bezahlt vom Produzenten Peter Herrmann, die ich um dramaturgische Beratung gebeten hatte.
Haben Sie auch Ihren Mann gefragt?
Doch, den auch. Er ist mein wichtigster Gesprächspartner. So stammt zum Beispiel der Satz "Manchmal ist die Fantasie spannender als die Realität", den Heinrich zu Ben sagt, von ihm.
Gibt es schon ein neues Filmprojekt?
Ich bin noch in der Phase der Suche, aber habe es nicht eilig, bin nicht unter Druck. Zwischendurch kann ich mein Leben auch mit Werbefilmen finanzieren. Das ist so gut bezahlt, dass man sich Freiräume leisten kann. Es gibt verschiedene Stoffe, die mich interessieren. Ich bin auch am Überlegen, ob ich auf meinem Weg des sehr persönlichen, unspektakulären Kinos bleibe, bei Figuren, die mir extrem am Herzen liegen, bei denen es mehr um Gefühle als um Struktur geht. Familienkonflikte kann man einbetten in eine dramatische Struktur oder in eine unspektakuläre, das muss ich herausfinden. Ich habe schon beim Schreiben von "Exit Marrakech" überlegt, ob die Geschichte reicht. Es ist schwer zu planen. Ob es gelingt oder nicht, weiß man erst im Schneideraum. Ich liebe Filme wie "Lost in Translation" von Sofia Coppola, wo eigentlich nichts Großes passiert und der doch so viel über das Leben erzählt. Aber ich möchte schon gerne Filme machen, die gesehen werden und die im Kino auch ihre Zuschauer finden.
Interview: Gudrun Lukasz-Aden, Christel Strobel
Inhalt der Print-Ausgabe 136-4/2013
Filmbesprechungen
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