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Ausgabe 136-4/2013

Eine Kurzfilm-Auswahl vom 36. Int. Kinderfilmfestival LUCAS

Kinder-Film-Kritik

... vorgestellt von Nora Spieles, 14 Jahre

Anmerkung der Redaktion: Für Nora und Helene Spieles ist das Kinderfilmfestival Frankfurt ein wichtiger Termin. Sie gehen nicht nur gern ins Kino – ebenso gern schreiben sie darüber; siehe auch die bemerkenswerten Filmbesprechungen in dieser Ausgabe.
Mit ihren 12 und 14 Jahren sind die Schwestern Helene und Nora Spieles unsere jüngsten Kinder- und Jugendfilm-Korrespondenten.

FÃœR HUND UND KATZ IST AUCH NOCH PLATZ (ROOM ON THE BROOM)
Kurzanimation – Großbritannien 2012 – Regie: Max Lang, Jan Lachauer – Buch: Julia Donaldson 26 Min.- Weltvertrieb: www.magiclightpictures.
com – ab 6 J.

Die freundliche Hexe lebt mit ihrer Katze am Wald. Die Hexe probiert nur noch einen neuen Trank aus, die Katze bindet ihr die Schleife ins Haar, und schon geht es los: Ein Tippen mit dem Zauberstab auf den Hexenbesen und auf in die Lüfte! Fliegen macht Spaß, und schon bald fliegt der Hexe der Hut vom Kopf. Auch nach langem Suchen ist der Hut nicht zu finden. Doch plötzlich kriecht aus dem Gebüsch ein Hund hervor – mit dem Hut im Maul. Sehr höflich gibt er der Hexe ihren Hut zurück und bemerkt den Hexenbesen. Ob er mit dürfe? Die Katze ist strikt, nein! Doch die Hexe, gerührt vom Hundeblick, sagt ganz entzückt: "Natürlich!". Auch zu dritt macht das Fliegen Spaß – zumindest Hexe und Hund! Nacheinander verliert die Hexe auch noch ihre Schleife und sogar ihren Zauberstab! Und jeweils kommt noch ein Tier dazu: Ein Vogel, der ganz grün und anders ist als seine Geschwister, und ein Frosch, der sehr auf seine Sauberkeit achtet und deshalb angewidert ist von seinen Kumpanen im Tümpel. Die Tiere, die schon bei der Hexe auf dem Besen sitzen, sind ganz und gar gegen einen weiteren Begleiter, die Hexe aber ist einfach zu lieb ... Zu fünft also sind sie unterwegs, bis der Besen zerbricht. Die Tiere stürzen in die Tiefe, die Hexe möchte gerade auf ihrem Stück Besen hinterher fliegen – da kommt der Drache auf sie zugeflogen. Voller Angst versucht sie zu entkommen, an einer Felswand aber kann sie nicht mehr weiter und fällt in Ohnmacht. Während der Drache gerade in die Hexe beißen möchte, kommt aus dem Tümpel ein ganz schreckliches braunes Monster hervor, welches die Hexe in vielen verschiedenen Tonlagen einfordert. Der Drache flieht und die Tiere schütteln sich erleichtert den Schlamm vom Körper. Die Hexe kann einen neuen Besen zaubern – und zwar einen ganz besonderen Luxusbesen!

"Für Hund und Katz ist auch noch Platz" ist ein total süßer Film. Die Figuren sind so animiert, dass sie so aussehen wie Knete – ziemlich perfekte Knete! Jeder Charakter hat einen Charakter! Mit seinen Stärken und Schwächen: Die Katze ist zwar ein toller Gefährte für die Hexe, möchte sie jedoch nicht teilen müssen; der Hund ist zwar sehr freundlich, ist aber ein kleiner Schnorrer; der Vogel ist eigentlich sehr bescheiden, möchte aber gerne bemitleidet werden; der Frosch ist nur arrogant und egozentrisch – dafür hat jedoch die Hexe keine schlechten Seiten. Außerdem ist der Film sehr lustig, gerade weil jeder Charakter eigene Eigenschaften hat: Zum Beispiel muss der Frosch in eine Orchideenblüte hinein inhalieren, als er eine Kröte rülpsen hört, und streift erst einmal mit dem Zeigefinger über den Besen, bevor er sich niederlässt. Allgemein ist "Für Hund und Katz ist auch noch Platz" mit netten und lustigen Details bespickt: zum Beispiel ein Eichhörnchen, das vom Baum fällt und beleidigt guckt. Oder die Katze, die erschöpft und wütend ihren Kopf in den Schoß der Hexe plumpsen lässt. Man muss aber sagen, dass diese lustigen Kleinigkeiten kleinen Kindern nicht auffallen. Die gefallen vor allem den Älteren. Trotzdem ist der Film super für Kleinere, da die Handlung verständlich und die Tiere so schön bunt sind … überdies wird die Handlung wie in einem Märchenbuch erzählt, mit einer schönen ruhigen Vorlesestimme.

Mir gefällt an dem Film am allermeisten das Ende: Alle gemeinsam fliegen glücklich auf dem neuen Besen in die Mondscheinnacht hinaus: Hexe, Hund und Katze im bequemen Sessel, mit einem Buch und einem Glas Milch, der Vogel in einem Nest und der Frosch in einer Dusche …

HASE UND HIRSCH (NYUSZI ÈS ÖZ)
Kurzanimation – Ungarn 2013 – Regie und Buch: Péter Vácz – 16 Min. – Weltvertrieb: www.mome.hu – ab 8 J.

Hase und Hirsch leben zweidimensional auf einem Malpapier. Sie spielen den ganzen Tag und sind glückliche beste Freunde. Irgendwann einmal sieht der Hirsch im Fernsehen einen Zauberwürfel – dreidimensional! Er ist von dieser Dimension begeistert und versucht, einen Trick zum Umwandeln in 3D herauszufinden. Hase wird langsam wütend, denn Hirsch ist zu beschäftigt zum Spielen! Durch Zufall wird Hirsch verwandelt und steht plötzlich vor dem Blatt Papier, aus dem er Hase verwundert blicken sieht. Hirsch ist fasziniert von der dreidimensionalen Welt – möchte diese jedoch mit Hase teilen, den er aber nicht zu holen vermag. Raffiniert lässt er sich etwas einfallen: Er nimmt den ausgeschnittenen Hasen mit zum Spielen.  Das ist schwieriger als gedacht, vor allem als es anfängt zu regnen. Am Ende des Tages ist der Hase wieder unversehrt in der zweidimensionalen Welt – der Hirsch kann aber nicht mehr hinein. Trotzdem schaffen es die beiden, weiterhin froh gemeinsam zu leben … (Und: Papier kann fliegen …)

Die Idee von "Hase und Hirsch" gefällt mir sehr, es ist sehr originell, eine Geschichte zu erzählen, in der die Charaktere "ihre" Technik selbst erleben und verstehen. Diese Geschichte wurde sehr hübsch umgesetzt, vor allem die Zeichnungen sind nett, da sie an Kinderzeichnungen erinnern. Die Handlung ist sinnvoll aufgebaut. Ein einziger Störfaktor ist die Logik, ein Dimensionswechsel ist lustig – unlogisch wird es erst, wenn Dinge einfach auftauchen. Jedoch im Ganzen ein toller Film, der den LUCAS-Preis in der Kategorie "Bester Animierter Kurzfilm" zu Recht gewonnen hat!

DAS KLEINE ROTE PAPIERSCHIFFCHEN (THE LITTLE RED PAPER SHIP)
Kurzanimation – Deutschland / Polen 2013 – Regie und Buch: Aleksandra Zareba – 13 Min. – Weltvertrieb: www.dragonflyfilms.de – ab 6 J.

Ein Mädchen sitzt am Strand und faltet ein rotes Blatt Papier in ein Papierschiffchen und setzt es in die sanft schaukelnden Wellen. Damit beginnt ein kleines, aber spannendes Abenteuer: Das Papierschiffchen fährt an großen Booten vorbei und kommt bald an, im Abendlicht glitzern wunderschöne Wasserhäuser. In der Ferne sind große Schiffe zu sehen und Möwen fliegen vorbei. Doch dann gerät das kleine Papierschiffchen in einen Sturm. Hin und her wird das kleine Papierschiffchen geworfen! Aus den Wellen scheinen bedrohliche Pferde zu steigen … Die Wellen werden immer wilder und plötzlich wird das kleine Papierschiffchen in die Tiefe gerissen. Dort löst es sich wieder auf, ist nur noch ein flaches Blatt Papier. Es wird sacht durch die Meereslandschaft geschaukelt, an Algen und Korallen vorbei, von einem Rochen mitgezogen … bis es an einen Strand gespült wird. Ein kleiner Junge sieht es und faltet einen Papierflieger – und ein neues Abenteuer ist in Aussicht, durch die weiten Lüfte …

"Das kleine rote Papierschiffchen" erzählt poetisch eine sehr schöne Geschichte: Das Abenteuer eines Papierbötchens zu beschreiben, ist sowieso eine tolle Idee! Aber richtig hervorragend wird der Film vor allem dadurch, dass das kleine Papierschiffchen Gefühle und einen Willen hat: Als es die großen Schiffe sieht, versucht es, sich groß zu machen, im Sturm wird es dann ganz klein vor Angst. Im Wasser schließlich probiert es die Art aus, sich fortzubewegen wie der Rochen und kommt mit Bewegungen wie die einer Qualle wieder an die Wasseroberfläche …  Besonders gut gefällt mir, dass sehr viele Techniken verwendet werden, von Aquarell bis zu Effektpapieren und Buntstiftschattierungen – das Meer sieht dadurch wunderschön und sehr natürlich bewegt aus. Für die Natur ist das super, bei den Menschen jedoch sieht die Haut nach einer merkwürdigen Patchworkarbeit aus. Stören tut das jedoch auch nicht sehr, da der Film als Ganzes wirklich wunderbar gelungen ist! Sehr schön ist es auch, dass das ehemalige Bötchen am Ende als Papierflieger in die Lüfte steigt – als eine kleine Wiedergeburt!

MIMOUN
Kurzfilm – Niederlande 2012 – Regie: Tallulah Schwab – Buch: Cecilie Levy – 26 Min. – Weltvertrieb:  www.stetzfilm.nl – ab 10 J.

Mimouns Vorbild ist sein großer Bruder "Ab". Der stiehlt mit seiner coolen Gang nachts Elektrogeräte. Mimoun hilft manchmal, er warnt zum Beispiel davor, wenn Wächter kommen. Wenn Mimoun und Ab aber nach Hause kommen, durch das Fenster in ihr Zimmer, ist Ab nicht mehr kleinkriminell, sondern ein liebevoller Bruder. In der Schule würde Mimoun gerne genauso cool wirken wie bei Abs Freunden. Vor allem vor Soraya. Aber die lässt sich von Mimoun gar nicht beeindrucken. Sie bekommt mit, dass Mimoun seinem Bruder wie ein Hündchen gehorcht und findet das, gerade in Verbindung mit dessen überall bekannter Kleinkriminalität, schwachsinnig. Einmal soll Mimoun dann in das Juweliergeschäft gehen, in dessen Schaufenster eine Kette liegt, die er sich sehr wünscht, um sie Soraya zu schenken und nach etwas fragen, um nachgucken zu können, wo sich die Überwachungskameras befinden. Am nächsten Tag wird der Juwelier erschossen vorgefunden, sein Laden ist ausgeraubt. Ab und seine Freunde stehen unter Verdacht. In der Pause steht Abs Bruder plötzlich am Zaun und gibt Mimoun ziemlich aufgelöst die Tatwaffe. Und eine goldene Halskette. Kurz darauf tauchen Polizisten auf und verfolgen ihn. Soraya beobachtet das, und als Polizisten in die Schule kommen, nimmt sie die Pistole in ihre Schultasche. Wenig später wird Mimoun befragt. Doch als er mitbekommt, dass Sorayas Tasche durchsucht werden soll, stellt er sich. Ab ist im Gefängnis und auch Mimoun wird bestraft, er muss wegfahren. Aber er kann noch Zeit mit Soraya verbringen und ihr etwas Angemessenes schenken …

Der Film „Mimoun“ zeigt viel, und zwar ohne viele Dialoge. Er beschreibt das Erwachsenwerden und den Kontrast zwischen der Kindheit und der Jugend. Das wird besonders deutlich, als Mimoun mit Ab von einer nächtlichen Tour zurück in ihr mit Hochbett und Fußballplakaten ausgestattetes Kinderzimmer kommen. Oder als Mimoun plötzlich mit einer Pistole in der Hand auf seinem Schulhof steht. Außerdem wird der immer noch präsente Machismo behandelt, Ab droht seiner Mutter, sie zu schlagen und greift einem Mädchen ohne Grund an den Po. Mimoun würde seine Mutter gerne schützen, hat aber selber großen Respekt vor Ab. Und er glaubt nicht, dass Abs Geste bei Soraya gut ankommen würde. Hin und wieder wird eine Traumvorstellung von Mimoun gezeigt: wie er im hellen Sonnenschein Soraya die Kette umlegt und diese strahlt … Das ist zwar etwas kitschig, jedoch ein gut gewählter Gegensatz zu den eher in Grau gehaltenen Bildern. Ferner ist daran gut, dass diese Szene am Ende nicht wahr wird. Das wäre kitschig geworden!

Insgesamt ist "Mimoun" ein wirklich gelungener Film, der den LUCAS in der Kategorie Bester Kurzfilm verdient gewonnen hat!

DER TAUSENDFÜßLER UND DIE KRÖTE (MILLE-PATTES ET CRAPAUD)

Kurzanimation – Frankreich 2013 – Regie: Anna Khmelevskaya – Buch: Anna Khmelevskaya, Fabrice Luang-Vija – 10 Min. – Weltvertrieb: www.fargo.fr – ab 8 J.

Der Tausendfüßler ist elegant, grazil und kann wunderschön tanzen – alle Bewohner des indischen Waldes verehren ihn. Sie warten gespannt darauf, dass er an seinem Ehrentag morgens aus dem mächtigen Feigenbaum schreitet und beginnt, sein Spektakel durchzuführen. Alle sind hingerissen – alle, bis auf die Kröte. Die ist fett, grün, griesgrämig, und sitzt den ganzen Tag lang im Teich. Eifersüchtig meint sie, dass sie, als das schlaueste und weiseste Tier, doch viel höher angesehen werden müsste als der langweilige Tausendfüßler! Sie überlegt sich einen fiesen Plan – nur mit Worten verwirrt sie den Tausendfüßler so sehr, dass sich dieser nicht mehr bewegen kann …

Wunderschön animiert erzählt "Der Tausendfüßler und die Kröte" eine süße Fabel – ohne erkennbare Moral! Außerdem ist die Handlung etwas abgespeckt und vorhersehbar. Das ist jedoch nicht allzu schlimm, da man von den toll gemischten Techniken und ausdrucksstarken Farben mitgerissen wird und die Schönheit des Urwaldes in Bildern erfährt. Dieser Film ist vor allem super für kleinere Kinder!

 

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Ausgabe 136-4/2013

 

Inhalt der Print-Ausgabe 136-4/2013|

Filmbesprechungen

AME & YUKI – DIE WOLFSKINDER| DER BLAUE TIGER| EXIT MARRAKECH| GRÜSSE VON MIKE| HORIZON BEAUTIFUL| DAS KLEINE GESPENST| DER KÖNIG UND DER VOGEL| DIE LEGENDE VOM WEIHNACHTSSTERN| DER MOHNBLUMENBERG| REUBER| SCHERBENPARK| SPUTNIK| TURBO – KLEINE SCHNECKE, GROSSER TRAUM| ZAYTOUN|

Interviews

Jäger, Stefan - "Fast jeder Junge in Äthiopien hat Messi als Vorbild"| Link, Caroline - "Ich möchte gerne Filme machen, die gesehen werden und im Kino Erfolg haben"| Ranisch, Axel - "Ich wollte mal etwas für Kinder machen, weil ich von Kindern umgeben bin"|

Hintergrundartikel

"Bekas"| Ideen für die pädagogische Arbeit: "Sputnik"|

Kinder-Film-Kritiken

Horizon Beautiful| Kopfüber| Eine Kurzfilm-Auswahl vom 36. Int. Kinderfilmfestival LUCAS| Das Pferd auf dem Balkon|


KJK-Ausgabe 136/2013

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