Produktion: Pia Film Festival-Pia Corporation; Japan 2003 – Regie und Buch: Naoko Ogigami – Kamera: Shogo Ueno – Schnitt: Shinichi Fushima – Musik: Hiroko Ide – Darsteller: Masako Motai (Yoshiko Yoshino), Ryo Yoneda (Keita Yoshino), Kazuyuki Asano (Takeo Yoshino) u. a. – Länge: 96 Min. – Farbe, 35mm – Weltvertrieb: Pia Film Festival-Pia Corporation, Tokyo, e-mail: international@pff.jp – Altersempfehlung: ab 8 J.
Angesichts der großen Bedeutung, die in der japanischen Gesellschaft das Dazugehören und das Nicht-aus-der-Reihe-Tanzen besitzt, verwundert es wenig, dass in japanischen Filmen immer wieder Abweichler und Außenseiter, die am Widerstand gegen den Zwang zur Anpassung entweder wachsen oder zugrunde gehen, zum Thema gemacht werden. Die in "Yoshinos Frisörsalon" präsentierte Variante ist freilich eher vergnüglich denn tragisch und lässt an eine allmähliche Aufweichung allzu verknöcherter Verhältnisse glauben.
Die Geschichte spielt in einem Dorf in der japanischen Provinz, in dem sich eine seltsame Tradition erhalten hat: Alle Jungen tragen die gleiche Frisur, einen im übrigen Japan längst aus der Mode gekommenen Topfschnitt, der ob seiner Gleichförmigkeit den bösen, Kinder fressenden Walddämon in Verwirrung stürzen soll. Oberste Hüterin und Monopolistin dieses Brauchtums ist Frau Yoshino, hoch angesehene (und gefürchtete) Besitzerin eines seit Generationen in Familienbesitz befindlichen Frisörsalons, die mit Strenge und Lineal darüber wacht, dass ja kein Härchen auf dem Kopf eines der Buben zu lang oder zu kurz gerät. Opfer ihrer energischen Traditionspflege ist sogar ihr gutmütiger Mann, der als einziger Erwachsener im Dorf mit dem Kinderhaarschnitt herumlaufen muss.
Die dörfliche Harmonie wird indessen empfindlich gestört, als aus Tokio ein 'Neuer' in die Schule kommt, der eine nicht nur modisch wirre, sondern auch noch gefärbte Frisur sein eigen nennt und sich beharrlich allen Bemühungen widersetzt, seine aufrührerische Haartracht in Fasson bringen zu lassen. Yoshino, in der sich ehernes Traditionsbewusstsein und gesunder Geschäftssinn paaren, lässt nichts unversucht und spannt sogar die Obrigkeit ein, um den Rebellen zur Kapitulation zu zwingen, erreicht damit aber zunächst nur, dass auch andere Jungen, darunter ihr eigener Sohn, plötzlich gegen den altehrwürdigen Schnitt aufbegehren. Als es ihr schließlich doch gelingt, ihren Willen durchzusetzen, provoziert sie damit einen Aufstand, der mit der Abschaffung der ungeliebten Frisur endet.
Auf für alle Altersstufen amüsante Weise schildert "Yoshinos Frisörsalon" die Schwierigkeiten, denen sich eine immer noch stark traditionsverhaftete Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts ausgesetzt sieht. Allerdings lässt die Regisseurin auch durchblicken, dass die beharrliche Pflege des Althergebrachten nicht immer nur hehren Beweggründen zuzuschreiben ist, sondern dass ihr durchaus auch handfeste ökonomische Interessen zugrunde liegen können. Dabei wird Frau Yoshino, die Vertreterin dieser Interessen, nicht einseitig als bösartige Furie dargestellt – solange ihre Autorität in Sachen Haartracht nicht in Frage steht, ist sie die kinderliebe "Tante Yoshino", bei der die Freunde ihres Sohnes gern ein- und ausgehen, eine Rolle, die auch gleich wieder zugestanden wird, nachdem sie festgestellt hat, dass mit der Abkehr von der Tradition die Welt – und ihr Frisörladen – nicht untergeht.
Aber auch der Rebell hat lernen müssen, dass er ohne seine Freunde, die zu ihm halten, keine Chance hat. Hier findet der Individualismus dann doch seine Grenze und der japanische Gedanke, demzufolge der Einzelne ohne die Gemeinschaft nichts ist, seine Rehabilitierung.
Ungewohnt für europäische Ohren ist die, dem Rezensenten freilich nur über die englischen Untertitel zugängliche, drastische Sprache der Jungen – die bei den Vorführungen im Rahmen der Berlinale in der eingesprochenen Übersetzung deutlich entschärft wurde –, an der das gegenüber den Körperfunktionen von jeher weit unverkrampftere Verhältnis der Japaner deutlich wird.
Gerold Hens
Filmbesprechungen
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