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Ausgabe 98-2/2004

"Es liegt in unseren Händen"

Gespräch mit Ntshavheni Wa Luruli, Regisseur des Films "Die hölzerne Kamera" (The Wooden Camera)

(Interview zum Film DIE HÖLZERNE KAMERA)

KJK: Wie haben Sie die schwarzen Kinder für Ihren Film gefunden?
Ntshavheni Wa Luruli: "Es ist schon schwierig, Kinder dieses Alters zu finden, die einen Film von anderthalb Stunden tragen können, noch dazu ohne jede Schauspiel-Erfahrung. Und dann bestanden die Produzenten darauf, dass Englisch gesprochen wurde. Damit waren wir in einer echten Zwickmühle. Zwar findet man in den Privatschulen der Vororte heute auch die schwarzen Kinder der Mittelklasse; die können Englisch, haben jedoch die afrikanische Township-Ausstrahlung verloren. In den Townships aber sprechen die Leute ihre eigenen Sprachen und kein anständiges Englisch. Ich wollte schon aufgeben und außerhalb von Südafrika suchen – da fanden wir schließlich Kinder, die in verschiedenen Teilen der Township Kayelitsha leben, aber in den Vororten von Kapstadt zur Schule gehen. Allerdings hatte ich große Angst, dass sie beim Dreh nicht fähig sein würden, sie selbst zu sein und natürlich zu bleiben – aber sie waren phantastisch und vor allem Junior Singo, Madiba, war richtig professionell. Ich habe noch keinen Schauspieler geführt, der so gut war. Er ist ein echtes Natur-Talent und sehr intelligent; er wird bestimmt ein Star in Südafrika. Auch Innocent Msimango, der den Sipho spielt, ist eine Persönlichkeit – der Rap, den er im Film singt, stammt übrigens von ihm. Ich freue mich schon, den Kindern den Preis zu bringen." ("Gläserner Bär" für den besten Jugendfilm 2004 im Berlinale-Wettbewerb "14plus")

Warum sind die Protagonisten Ihres Films Kinder?
"Weil ich einen Film machen wollte, über die jungen Leute in Südafrika heute, keinen Kinderfilm. Wer in den Townships lebt, hat ja kaum eine Kindheit. Ich komme selbst daher und weiß, dass man dort sehr früh lernen muss, wie man überlebt und worauf es ankommt. Ich bin 1955 geboren, habe also auch erlebt, was Apartheid bedeutet. Die Kinder in den Townships heute wissen darüber so gut wie nichts. Sie haben keinerlei historische Kenntnisse, aber sie spüren, dass ihre Eltern noch schwer an den Lasten der Vergangenheit tragen und an eine bessere Zukunft nicht glauben können. Wie kommen die Kinder in diesem Spannungsfeld klar, welches Bewusstsein haben sie von sich selbst, welche Beziehungen untereinander? Wie sehen sie ihre Zukunft? Das hat mich interessiert."

Junge Leute wie Sipho scheinen auch nach dem Ende der Apartheid keine Zukunft zu haben.
"Der springende Punkt ist, dass Südafrika in diesem Jahr das zehnjährige Bestehen seiner neuen Demokratie feiert und die Regierung immer noch versucht, mit den Schäden der Vergangenheit, der Zerstörung und Unterdrückung zurecht zu kommen. Es gibt eine hohe Kriminalität, viele Menschen sind arbeitslos, ohne Ausbildung. Dennoch ist es eine Tatsache, dass vor allem die jungen Menschen heute eine Wahl haben. Also ob sie wie Sipho zur Knarre greifen, um sofort an Geld und Einfluss zu kommen, oder ob sie den Weg von Madiba gehen, der versucht, seine Kultur anzunehmen und in Südafrika eine neue Identität zu finden."

Aber man muss schon sehr selbstsicher und mutig, sehr kreativ und intelligent sein, um den Weg von Madiba zu gehen.
"In einem symbolischen, metaphorischen Sinn verkörpert Sipho die dunkle Seite von Madiba. Jedes Individuum hat ja eine helle und eine dunkle Seite oder wie es in einem alten afrikanischen Sprichwort heißt: Ein Mensch lebt mit zwei Wölfen in seinem Leib, einem guten und einem bösen – es liegt an dir, welchen du groß ziehst. Wenn du den bösen Wolf fütterst, wirst du eine böse, frustrierte und destruktive Person; fütterst du den guten, siehst du die Dinge positiv, optimistisch und verhältst dich entsprechend. Auch durch Armut sind wir nicht auf ewig verdammt. Denken wir an Nelson Mandela, der aus sehr armen Verhältnissen stammt und einer der größten Staatsmänner des vergangenen Jahrhunderts wurde. Armut ist ein Mangel an Ehrgeiz, sagt ein anderes Sprichwort bei uns."

Ihnen hat es offensichtlich nicht an Ehrgeiz gefehlt. Wie war Ihr Weg?
"Ich bin in Johannisburg geboren. Einige Freunde meiner Kindheit haben bald die Schule verlassen und sich in die politischen, auch kriminellen Aktivitäten jener Zeit reingehängt. Aber ich wusste schon mit zehn, zwölf Jahren, das ist nicht mein Weg. Während sie in schicken Klamotten mit gestohlenen Autos herumfuhren, habe ich auf der Straße Äpfel, Erdnüsse und Süßigkeiten verkauft, um mir ein T-Shirt oder ein Buch kaufen zu können – ich habe ja nie sämtliche Schulbücher gehabt, sondern war immer angewiesen auf die Leihbüchereien. Aber ich wollte zur Schule, was auch an meinen Eltern lag. Ich meine, die ersten Vorbilder sind ja die Eltern – und die wollten, dass ich und mein Bruder zur Schule gingen. Sie waren sehr stark und wir wussten, da gab es keinen Weg raus, wir mussten zur Schule. Und dann haben wir uns inspirieren lassen von Leuten aus der schwarzen Gesellschaft, die unabhängig von ihrer Herkunft Anwälte, Doktoren, Ingenieure, Intellektuelle geworden sind. Wir haben uns gefragt, wie sie das geschafft haben und wollten werden wie sie."

Und wie sind Sie zum Filmemachen gekommen?
"Nach der Schule studierte ich auf der Witwatersrand Universität dramatische Künste. Als Schwarzer konnte man damals höchstens Lehrer oder Priester werden, wenn man sehr gut war, vielleicht Arzt – also, da gab es keine Chance, Ingenieur zu werden oder Film zu studieren. Die einzige Möglichkeit war, ins Ausland zu gehen, und tatsächlich bekam ich ein Stipendium für ein Drehbuch- und Regie-Studium an der Columbia University in New York. Dort öffnete sich die Welt für mich."

Aber musste man für die Bewerbung nicht etwas vorzeigen können?
"Hab ich ja. Als ich das Abitur geschafft hatte, war mein Vater so froh, dass er mir eine Pocket-Kamera geschenkt hat, eine Canon, die ich noch habe. Damit verdiente ich mir auf Partys, Hochzeiten und Beerdigungen mein Taschengeld. An Wochenenden habe ich meine Kenntnisse in einem Photo-Museum vertieft und auch einige Bilder in den Townships gemacht, die waren ein bisschen wie Madibas Aufnahmen, nur ohne Menschen. Diese Arbeiten hat ein alter Jude gesehen, Nathan Levi aus Israel, und der schenkte mir eine alte deutsche Kamera aus den 40er-Jahren. Mit der konnte man phantastische Aufnahmen machen. Ein paar wurden als Schwarz-Weiß-Drucke in einer Galerie ausgestellt und mit diesen Photos bewarb ich mich um das Stipendium für die USA, weil ich unbedingt Filme machen wollte. Ich hatte das Glück, zu Milos Forman zu kommen. Er wurde mein Mentor und wenn er seine Filme drehte, blieb ich in seiner Nähe und versuchte mich unentbehrlich zu machen. Ich war ja so neugierig, wollte alles lernen, alles wissen und tun, war hungrig auf den Erfolg. Weil ich raus wollte aus dem Ghetto, war die Frage des Erfolgs für mich eine auf Leben und Tod.
1989 gewann ich den Drehbuch-Preis der Paramount Pictures, danach war ich bei 'Malcolm X' und 'Jungle Fever' Regieassistent von Spike Lee. Es folgten Drehbücher fürs Fernsehen und 1999 dann 'Chicken Biznis', mein erster Spielfilm, den ich in Südafrika drehte. Langsam machen sich die vielen Erfahrungen und Herausforderungen, denen ich mich ausgesetzt habe, bezahlt. Filmemachen ist ja eine sehr, sehr schwierige Übung, besonders wenn man nach Südafrika zurückgeht, wo wir Schwarzen gerade damit angefangen haben, unsere eigenen Filme zu machen. Die Regierung kann uns dabei nicht helfen, die muss erst mal Kliniken, Schulen und Arbeitsplätze schaffen. So hängen wir ab von der Freundlichkeit und Unterstützung der Welt außerhalb unseres Landes – aber Südafrika hat so viele Geschichten zu erzählen, die die Welt nur bereichern können. Deshalb ist der "Gläserne Bär" nicht nur wichtig für unser Team, sondern für die ganze schwarze Filmindustrie bei uns."

Gibt es schon ein neues Projekt?
"Ich schreibe gerade an einem Script für meinen dritten Spielfilm. Da geht es um ein sehr politisches und sehr kontroverses Thema, nämlich um die Frage, ob sich eigentlich in den zehn Jahren Demokratie in Südafrika etwas geändert hat oder nicht. Und ob uns eigentlich bewusst ist, wie viele Fehler wir im Kampf gegen die Unterdrückung gemacht haben. Da gab es ja Mord und Totschlag, da ist viel Unrecht geschehen. Auch gegen Kinder und von Kindern. Also, das wird sicher kein Propagandafilm. Aber man kann auch nicht leugnen, dass unsere Gesellschaft offener geworden ist. Man ist nicht mehr gezwungen, im Ghetto zu leben, hat ganz andere Chancen und auch die Welt begegnet Südafrika mit ein bisschen mehr Sympathie. Es liegt in unseren Händen, diese Demokratie glücklich zu machen. Und auch mit dem neuen Film möchte ich dazu ermutigen."

Interview: Uta Beth

 

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