Produktion: Robyn Kershaw Productions; Australien 2009 – Regie: Rachel Perkins – Buch: Regg Cribb, Rachel Perkins, Jimmy Chi, nach dem gleichnamigen Musical von Jimmy Chi & Kuckles – Kamera: Andrew Lesnie – Schnitt: Roshelle Oshlack – Musik: Cezary Skubizewski – Darsteller: Rocky McKenzie (Willie), Jessica Mauboy (Rosie), Ernie Dingo (Tadpole), Missy Higgins (Annie), Geoffrey Rush (Pater Benedictus), Deborah Mailman (Roxanne), Tom Budge (Slippery) u. a. – Länge: 88 Min. – Weltvertrieb: Bankside Film, London, e-mail: films@bankside-films.com – Altersempfehlung: ab 14 J.
Der Aborigine-Junge Willie wächst Ende der 1960er-Jahre in Broome an der Westküste Australiens auf. Seine gottesfürchtige Mutter kennt nur ein Ziel: den optimalen sozialen Aufstieg ihres Sohnes. Die aufkeimende Liebe Willies zur Sängerin Rosi ist dabei aus ihrer Sicht natürlich nur ein lästiger Störfaktor und sie ist deshalb froh, als sie ihren Sohn wieder im 2.400 km entfernten Perth auf einem kirchlichen Elite-College weiß. Dort herrscht aber der gestrenge und bigotte Pater Benedictus, mit dem der mit einem natürlichen Freiheitsdrang ausgestattete Willie schnell in Konflikt gerät. Dem Tyrannen sucht der Junge bald zu entweichen und er flieht quer durch den Kontinent, zurück zu seiner Liebessehnsucht Rosie. In Begleitung des Trebers Tadpole sowie dem auf der Suche nach dem wahren Sinn des Lebens befindlichen europäischen Hippiepaar Anni und Slippery und, immer verfolgt vom Pater, reift Willie dabei zu einem selbstbewussten jungen Mann heran.
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Musical von Jimmy Chi, das 1990 erstmals aufgeführt wurde. Chi ist in Australien ein bekannter Musiker und Komponist, der mit seinen Arbeiten sehr viel für das Selbstverständnis und die Identitätsfindung der Aborigines getan hat. Selbst aboriginal, chinesischer und japanischer Abstammung, griff er bei dem Musical "Bran Nue Dae" unmittelbar auf eigene Lebenserfahrungen zurück. Der Film, der im August 2009 auf dem Internationalen Filmfestival in Melbourne seine Premiere hatte, nimmt die rasante Musicalstruktur der Vorlage auf und setzt sich ausgesprochen witzig und ganz auf heutige Widersprüche orientiert, sehr pointiert mit Klischees und Vorurteilen auseinander, die die widerspruchsvolle Integration der Kultur der Ureinwohner Australiens in die weiße Mehrheitsgesellschaft kennzeichnen. Gleichzeitig wird eine Coming-of-Age-Geschichte erzählt, die spielerisch mit jenen inneren und äußeren Konflikten umgeht, die jungen Leuten den Weg ins Leben schwer machen können. Regisseurin Rachel Perkins provoziert dabei mit ihrer Inszenierung beim Publikum – nicht nur in Australien, wie in der Reihe "14plus" der Berlinale 2010 in Deutschland zu erleben war – auf schönste Weise ein befreiendes Lachen.
Der Film greift die durch das Musical vorgegebene Figurenkonstellation unmittelbar auf. Willie schaut etwas naiv, dabei aber hellwach, auf das betont selbstgefällige Handeln der Protagonisten in seiner Umgebung. Zunächst ist er leicht bereit, vorgegebene Leitbilder aufzunehmen. Doch sehr sensibel spürt er schnell, was ihm gut tut und was nicht. Die jeweils gewonnene Erkenntnis setzt er in alternatives Handeln um, was ihm innere Sicherheit bringt, die schließlich in subjektiver Souveränität ihren Ausdruck findet. Die Charaktere sind deutlich ironisch überzeichnet. Mit dieser Herausforderung geht die Regisseurin bei ihrer Inszenierung stilsicher um. Sie zeigt dezent hinter der Maske der Selbstgefälligkeit die darunter verborgenen Unsicherheiten. Besonders deutlich wird das bei Willies Fluchtbegleitern, dem Treber Tadpole und dem Hippiepaar Anni und Slippery. Sie öffnen dem Flüchtling die Augen für die Widersprüche des Lebens und finden dabei gleichzeitig selbst zum Wesentlichen ihres Seins.
Die diversen Handlungsstränge des Reisefilms werden schließlich in einem gekonnt komisch konstruierten Finale zusammengeführt. Der selbstbewusst gewordene Willie kann natürlich den Nebenbuhler Lester ausstechen und er findet zu seiner Rosie. Doch nicht genug damit. Tadpole erfährt, dass er mit Willie seinen Sohn begleitet und gefunden hat. Die Mutter wiederum war längst nicht immer so fromm, wie sie nun erscheinen möchte. Sie hatte einst ausgerechnet auch mit Pater Benedictus ein Verhältnis, woraus der Hippie Slippery hervorgegangen war. Für den ausgesprochen blassen Slippery erscheint diese Mitteilung wie die Inkarnation seiner Sinnsuche jenseits der für ihn überdrüssig gewordenen westlichen Kultur. Beglückt ruft er aus: "Ich bin ein Aborigine".
"Bran Nue Dae" verniedlicht weder die Probleme des Erwachsenwerdens noch die des schwierigen Miteinanders unterschiedlicher Kulturen. Er geht die ernsten Probleme aber auf eine betont heitere Weise an und stellt damit eine interessante Facette im filmischen Angebot für Jugendliche dar. In diesem Sinne ist auf verleiherischen Mut zu hoffen, damit der Film hierzulande über die Festivalpräsentation hinaus auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird.
Klaus-Dieter Felsmann
Inhalt der Print-Ausgabe 122-2/2010
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