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Ausgabe 122-2/2010

DOOMAN RIVER

Produktion: Lu Films, Seoul / Arizona Films, Paris; Republik Korea / Frankreich 2009 – Regie und Buch: Zhang Lu – Kamera: Xu Wei – Schnitt: François Quiqueré – Darsteller: Cui Jian (Chang-ho), Yin Lan (Soon-hee), Li Jinglin (Jeong-jin), Lin Jinlong (Großvater) u. a. – Länge: 89 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Arizona Films, Paris, e-mail: guillaume@arizonafilms.net – Altersempfehlung: ab 14 J.

Wenn der kalte Fluss Tumen an der Grenze zwischen Nordkorea und China im Winter zufriert, überqueren viele hungrige Nordkoreaner das brüchige Eis. Nach chinesischen Angaben haben bisher rund 400.000 Koreaner die schwer bewachte Grenze überwunden, um in China ihr Glück zu versuchen. Gut organisierte Schlepper helfen beim nötigen Weitertransport. Andere Nordkoreaner kommen nur, um Hilfe zu erbitten oder Lebensmittel zu beschaffen. So wie ein Junge, der seine kranke Schwester versorgen will und mit dem sich der zwölfjährige Chang-ho in einem chinesischen Grenzdorf anfreundet. Auch andere chinesische Jungs empfangen die nordkoreanischen Grenzgänger freundlich und spielen mit ihnen Fußball. Erleichtert wird der illegale kleine Grenzverkehr dadurch, dass auf der chinesischen Grenzseite eine koreanisch sprechende Minderheit wohnt. Die chinesischen Behörden rufen dagegen mit Lautsprecherdurchsagen im Dorf dazu auf, verdächtige Personen zu melden, und drohen widrigenfalls mit Strafen. Auch etlichen Dorfbewohnern sind die ungebetenen Gäste, die zuweilen notgedrungen Nahrungsmittel stehlen, ein Dorn im Auge. Manche Hilfsbereitschaft wird sogar übel vergolten: So gibt Chang-hos stumme Schwester dem hungrigen 'Freund' seines Bruders zu essen, der Lohn ist eine Vergewaltigung. An die alten Zeiten, als die Bevölkerung über eine Brücke den Grenzfluss in beiden Richtungen überqueren konnte, kann sich fast nur noch die alte demente Mutter des Bürgermeisters erinnern: Sie träumt davon, noch einmal auf das andere Ufer zu wechseln, und marschiert eines Tages einfach los.

Wie prekär die Versorgungslage im politisch abgeschotteten, wirtschaftlich desolaten Nordkorea ist, kann der chinesische Regisseur Zhang Lu in der südkoreanisch-französischen Koproduktion nur indirekt zeigen. Doch aus den Gesichtern der verfrorenen, bitterarmen Flüchtlinge lässt sich in seinem Winterdrama vieles ablesen. In ruhig komponierten Bildsequenzen zeigt der 47-jährige Autor und Regisseur, wie die Not der Migranten die Bewohner der chinesischen Seite in ein moralisches Dilemma manövriert: Sollen sie barmherzig sein, auch wenn sie eine Bestrafung fürchten müssen? Ansatzweise zeigt er auch, wie schnell die anfängliche Hilfsbereitschaft in Ablehnung und Feindschaft umschlagen kann, wenn sie missbraucht wird. Während einige Erwachsene aus der Situation Profit schlagen oder aber einfach nur vorsichtig sind, folgen die Kinder zumeist einem natürlichen Hilfsimpuls und teilen mit den Fremden ihr Butterbrot. Doch auch sie müssen zum Teil schmerzhaft lernen, dass nicht jede großzügige Geste belohnt wird. Eher beiläufig wirft der Film auch erhellende Seitenblicke auf die sozialen Zustände in der chinesischen Provinz, etwa wenn zwei Arbeitslose sich die Zeit mit Schnapssaufen vertreiben.

Da es westlichen Zuschauern zuweilen an Hintergrundwissen fehlt, erschließen sich ihnen nicht alle gezeigten Vorgänge und Anspielungen, selbst wenn das Erzähltempo recht gemächlich ausfällt. Die Grundstruktur des zentralen Konflikts wird jedoch auch hierzulande klar, wie sich auf der Berlinale 2010 gezeigt hat. Dort lief "Dooman River" im 14plus-Wettbewerb und erhielt von der Jugendjury eine lobende Erwähnung: "Wir waren perplex von der Wucht der Bilder, von der eindringlichen Botschaft und der Stille, die dieser Film beschreibt", schreibt sie in ihrer Begründung. Ohne starke Charaktere und Musik schaffe der Film es, "in der Stille eine Sprache zu entwickeln, die mehr aussagt als jeder verzweifelte Schrei".

Reinhard Kleber

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 122-2/2010 - Interview - Man kann den ganzen Film auch als Traum von Chang-ho sehen

 

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Ausgabe 122-2/2010

 

Inhalt der Print-Ausgabe 122-2/2010|

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Interviews

Bezar, Miraz - Kindheit in Diyarbakir heißt auch, mit Gewalt konfrontiert zu sein| Linsel, Anne und Rainer Hoffmann - Die Jugendlichen wussten, dass sie sich auf uns verlassen konnten| Lu, Zhang - Man kann den ganzen Film auch als Traum von Chang-ho sehen| Ziegenbalg, Oliver - Ich möchte, dass die Menschen so miteinander umgehen wie in meinen Filmen|

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