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Ausgabe 131-3/2012

PUNCH

WANDEUKYI

Produktion: UBU Film Seoul /, Another Pictures Production; Republik Korea 2011 – Regie: Han Lee – Buch: Dong-wu Kim, nach Lyeo-ryung Kims gleichnamigem Roman – Kamera: Yong-kyu Cho – Schnitt: Na-young Nam – Musik: Jae-jin Lee – Martial Art: Jae-myung Shin – Darsteller: Aine Yu (Wan-deuk), Yun-seok Kim (Dong-ju), Soo-young Park (Wan-deuks Vater), Yeong-jae Kim (Onkel Min-ku), Sang-ho Kim (Nachbar), Hyo-joo Park (Ho-jeong), Jasmine Lee (Wan-deuks Mutter), Byeol Kang (Yoon-Ha), Kil-Kang Ahn (Coach) – Länge: 110 Min. – Farbe – Weltvertrieb: CJ E&M Corporations, Seoul, Republik Korea,  heejeon@cj.net – Altersempfehlung: ab 14 J.

Es beginnt in einem Cabaret: Hier sind sein kleinwüchsiger und buckliger Vater und der nicht sehr helle Onkel Min-ku als Tanz-Duo engagiert. Eine Glitzerwelt, in der Wan-deuk aufgewachsen ist, das Varieté war sein Zuhause, die Mädchen des Balletts haben sich um ihn gekümmert. Mit dem Cabaret ist es längst vorüber, es hat Pleite gemacht. Von dieser Rückblende einer Kindheit zwischen Schein und Sein geht es in die Gegenwart: In einem Armenviertel von Seoul lebt der inzwischen 17-jährige Wan-deuk, der gerade sein Abschlussjahr an der Schule hat, Vater und Onkel sind nur selten zu Hause, sie ziehen von Wochenmarkt zu Wochenmarkt. Mit ihren Auftritten betteln sie sich den Lebensunterhalt zusammen. Nicht immer haben sie dabei leichten Stand und werden von missliebigen Konkurrenten zusammengeschlagen. Klar, dass Wan-deuk seinen behinderten Vater in einer solchen Situation mit den Fäusten verteidigt, denn zuschlagen kann er – nicht nur, wenn es gerechtfertigt ist.

Wan-deuk hat viele Gründe für seine Wut, in der Schule ist er der schlechteste Schüler der Klasse, sein verhasster Lehrer Dong-ju bestraft ihn vor den Mitschülern mit Schlägen. Und nur einen Steinwurf entfernt wohnt der Lehrer im Nachbarhaus, so findet Wan-deuk selbst zu Hause keine Ruhe. Wan-deuk hat eigentlich nur einen Wunsch, er möchte Dong-ju, der ihm Botengänge abverlangt, um jeden Preis loswerden: In der Kirche betet er verzweifelt dafür, dass Dong-ju sterben möge. Der rebellische Wan-deuk und der exzentrische Lehrer Dong-ju stehen sich zuerst wie Feinde gegenüber, doch langsam muss der Junge begreifen, dass der Lehrer ihm nicht schaden will. Ganz im Gegenteil – mit jeder neuen Provokation will er ihn für die Härte des Lebens trainieren. Auch für die Kraft seiner Schläge findet er eine positive Betätigung, indem er bei ihm die Begeisterung fürs Kickboxen weckt. So erlöst er Wan-deuk Stück für Stück aus seiner Isolation.

Dong-ju sitzt nicht nur nachts mit Wan-deuks Vater und Onkel zusammen und spricht kräftig dem Alkohol zu, er streitet sich auch mit einem Nachbarn, der sich immer von ihm in seiner Ruhe gestört fühlt. Bei der Eskalation der Auseinandersetzungen lernt Dong-ju die Schwester des Nachbarn kennen und lieben. Mehr und mehr mischt sich Dong-ju in Wan-deuks Leben ein, er hat Wan-deuks Mutter gefunden und möchte, dass die beiden sich treffen. Erst wehrt er sich gegen die Begegnung mit seiner Mutter, doch Dong-ju führt die Familie zusammen: Wan-deuk trifft zum ersten Mal seine philippinische Mutter. Wan-deuk ist scheinbar gleichgültig, doch Dong-ju weckt Gefühle in ihm, er kann sich öffnen, sich seiner Mutter stellen und so Dong-ju nicht länger als Feind sehen.

Regisseur Han Lee aus Korea gelingt ein herzerwärmender Film, bei dem alle Protagonisten eine Entwicklung durchmachen, keiner ist wirklich so wie er am Anfang erscheint, die Charaktere haben ein Vorleben, das erst nach und nach enthüllt wird. Der Lehrer prügelt seine Schüler, obwohl das in Korea längst offiziell verboten ist, denn auch er ist verstrickt in seine Vergangenheit, hier wird Wan-deuk umgekehrt zu seinem Mentor, so wie es Dong-ju für ihn war: Er findet heraus, dass Dong-ju gar nicht im Armenviertel leben müsste, denn sein Vater ist ein reicher Fabrikbesitzer, doch Dong-ju hat sich von ihm losgesagt, weil er die Ausländer-Ausbeutung in der Fabrik seines Vaters nicht ertragen konnte. Nur wer sich seiner Vergangenheit stellt und seine Probleme anpackt, kann auf eine bessere (und glückliche) Zukunft hoffen.

Geschickt löst Han Lee die dramatischen Höhepunkte seines Films in mitreißender Popmusik auf und schafft so einen Erzähl-Rhythmus, der die Zuschauer in den Bann zieht. Wenn Dong-ju am Ende, auch als Wiedergutmachung für die Sünden seines Vaters, ein Zentrum für Emigranten eröffnet, in dem Wan-deuks Vater und sein Onkel Tanzkurse geben und seine Mutter ihre Kochkünste unter Beweis stellt, scheinen sich alle zu einem Happy-End zu vereinen. Doch das nach einem koreanischen Bestseller von Lyeo-ryung Kim gedrehte Werk bleibt auch hier realistisch, das Happy-End ist nicht allumfassend, denn es gibt auch Konflikte, die sich nicht bewältigen lassen: Dong-ju und sein Vater haben keinen Weg zueinander gefunden, gegenseitige Vergebung ist ihnen im Gegensatz zu Wan-deuks Familie und selbst dem gotteslästernden Nachbarn nicht möglich. Dabei hat der Film eine ebenso einfache wie gewinnende Aussage: Alle Menschen sind gleich, ob es sich um Fremde, keifende Nachbarn, geistig oder körperlich Behinderte handelt. Dies durchzieht alle Handlungsstränge und wird doch nie aufdringlich in den Vordergrund gerückt – gerade das macht den Film mit seiner Mischung aus Multi-Kulti, Romantik und Coming-of-Age so überzeugend.

Manfred Hobsch

 

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Ausgabe 131-3/2012

 

Inhalt der Print-Ausgabe 131-3/2012|

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17 MÄDCHEN| ALS HÄTTE ICH DICH GEHÖRT| AM ENDE EINES VIEL ZU KURZEN TAGES| ATTENBERG| DAS GEMÄLDE| HAVANNA STATION| INKLUSION – GEMEINSAM ANDERS| EIN JAHR NACH MORGEN| KNERTEN| DAS MEER AM MORGEN| MES – LAUF!| MOONRISE KINGDOM| NONO| POMMES ESSEN| PUNCH| SIMON| SONS OF NORWAY| EIN TICK ANDERS| TOM UND HACKE| WEST IS WEST|

Interviews

Imaizumi, Kaori - Mut brauchen wir – für uns selbst und für unser Land| Lechner, Norbert - Der Dialekt im Film ist ein Alleinstellungsmerkmal, das ist etwas wert| Steyer, Christian - Es gibt nichts Berührenderes als Einfachheit| Tolentino, Rommel - Du musst zu dem stehen, was du bist, und was draus machen – so wie Nono| von Traben, Tina - Schade, dass nicht mehr Originaldrehbücher im Kinder- und Jugendbereich verfilmt werden|

Hintergrundartikel

Unsere Erinnerung an Helmut Dziuba .,.| Freiräume zum Nachdenken und zum Widerspruch|

Kinder-Film-Kritiken

MORGEN WIRD ALLES BESSER| TOM UND HACKE|


KJK-Ausgabe 131/2012

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