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Ausgabe 118-2/2009

MARY AND MAX

MARY AND MAX

Produktion: Melodrama Pictures / Film Victoria / SBS Television Australia / Adirondack Pictures; Australien 2008 – Regie, Buch und Design: Adam Elliot – Kamera: Gerald Thompson – Schnitt: Bill Murphy – Stimmen: Tony Colette (Mary), Philip Seymour Hoffman (Max), Barry Humphries (Erzähler), Eric Bana (Damien) u. a. – Länge: 92 Min. – Farbe  –  Weltvertrieb: Icon Entertainment International,  London,  Fax +44 20 8492 6301,  e-mail (Anthony Bruckner): anthony@icon-entertainment.co.uk – Altersempfehlung: ab 14 J.

Der Animationsfilm "Mary und Max" erzählt die Geschichte einer über zwanzig Jahre währenden Brieffreundschaft zwischen zwei Außenseitern. Mary lebt in Australien und ist (anfangs) einsame Achtjährige mit einer Sherry süchtigen Mutter und einem Vater, der beruflich die Schnüre an den Teebeuteln befestigt und in seiner Freizeit tot am Wegesrand gefundene Tiere ausstopft. Marys einziger Freund und Spielgefährte ist ein Hahn namens Ethel, der einst auf dem Weg zum Schlachthof vom Laster fiel. Eines Tages fällt ihr auf dem Postamt das Adressbuch von New York in die Hände, aus dem sie, wie der Zufall es will, die Adresse von Max herausreißt, den sie zum Brieffreund erwählt. Max ist ein übergewichtiger Mittvierziger, der am Asperger-Syndrom leidet und ebenso einsam ist wie Mary. Die Stelle von Marys Hahn nehmen bei ihm ein Aquariumsfisch, Henry, dessen Identität jedoch infolge fortwährender tödlicher Unfälle ständig wechselt, ein Papagei und ein einäugiger Kater ein sowie ein unsichtbarer Freund, Mr. Alfonso Ravioli, der stumm auf einem Hocker in der Ecke sitzt und Selbsthilfebücher liest.

Zwischen Mary und Max entwickelt sich nach und nach eine tiefe Freundschaft. Sie erzählen einander ihr Leben, vertrauen dem anderen ihre Probleme an, tauschen Rezepte ihrer Lieblingsspeisen aus (Mary: gezuckerte Kondensmilch, Max: Schokolade-Hotdogs) und geben einander in ihrer Einsamkeit Halt und Lebenshilfe. Mary wächst heran, studiert und heiratet den (unverkennbar schwulen) Nachbarjungen Damian Cyril Popodopolous, den sie seit ihrer Kindheit anhimmelt und der sie wegen eines neuseeländischen Schafzüchters sitzen lässt, nachdem er ihr ein Kind gemacht hat. Sie widmet sich dem Studium psychischer Störungen und beschwört die erste schwere Krise in ihrer Beziehung zu Max herauf, als sie sein Asperger-Syndrom zum Thema ihrer hochgelobten Abschlussarbeit macht. Als sie stolz das erste Exemplar ihres Buches an Max schickt, der inzwischen gelernt hat, sich und sein Leben zu akzeptieren, fühlt der sich missbraucht und gedemütigt und schreibt ihr einen wütenden Brief, worauf er den Kontakt abbricht. Reumütig lässt Mary ihr Buch einstampfen und ergibt sich dem Alkohol...

"Mary and Max" ist die vierte 'clayography' des australischen Animationsfilmers Adam Elliot, der 2003 mit "Harvey Crumpet" den Oscar für den besten animierten Kurzfilm gewann. Der Film wurde in fünfjähriger Arbeit im Stop-motion-Verfahren mit 212 Puppen, 133 verschiedenen Sets und sechs Kameras hergestellt. An der Produktion waren 50 Personen beteiligt, die am Tag durchschnittlich 24 Sekunden Film fertigstellten.

Als Zuschauer bezweifelt man anfangs, dass die Geschichte eines Briefwechsels über die Länge eines ganzen Films tragen kann, wird dann aber von einer überbordenden Fülle liebevoll und detailliert gestalteter skurriler Bilder und Figuren und höchst komischer, zum Teil tragikomischer Handlungen und Nebenhandlungen, die hier nur angedeutet werden kann, überrascht und be-, manchmal auch entgeistert. Von der Machart her somit den Wallace-und-Gromit-Filmen vergleichbar, ist "Mary und Max" indessen alles andere als ein drolliger und harmloser Kinderfilm. Die vorherrschenden Farben sind Braun (für Marys Australien) und schwarz-grau (für Max' New York), die Figuren von geradezu anrührender Hässlichkeit, und trotz einer durchgängigen schwarzhumorigen Lakonie geht es um ernste, ja existenzielle Themen: Außenseitertum, Freundschaft, Einsamkeit, Krankheit, Tod. Wo kommen die kleinen Babys her? (In Australien werden sie in Biergläsern gefunden, in Amerika werden sie von katholischen Nonnen gelegt, es sei denn, man ist Atheist, dann sind es "dirty lonely prostitutes"). Wann ist ein Leben gescheitert, und ist es gescheitert, wenn es nicht den gängigen Erfolgskriterien genügt?

Die Assoziation zu Wallace und Gromit dürfte auch dafür verantwortlich sein, dass der Film bei der Berlinale 2009 quasi reflexartig der Jugendsektion 14plus zugeschlagen wurde. Beim diesjährigen Sundance Festival lief er als Eröffnungsfilm.

Gerold Hens

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 119-2/2009 - Interview - "Alles in allem stecken in diesem Film fünf Jahre meines Lebens"

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.MARY AND MAX im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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Ausgabe 118-2/2009

 

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Filmbesprechungen

AFTERSCHOOL| DAS ANDERE UFER| CAPTAIN ABU RAED| ICH SCHWÖR'S, ICH WAR'S NICHT!| DER JUNGE IM GESTREIFTEN PYJAMA| DAS MÄDCHEN| MAI MAI MIRACLE| MARY AND MAX| MAX PEINLICH| MY SUICIDE| NILOOFAR| PLANET CARLOS| PONYO ON THE CLIFF BY THE SEA| PRINZESSIN LILLIFEE| SIEBEN TAGE SONNTAG| SNOW| VORSTADTKROKODILE|

Interviews

Begic, Aida - "Man konnte uns töten, uns aus unserem Leben werfen, aber nicht unseren Geist, unsere Kraft, unsere Würde nehmen." | Campos, Antonio - "Jeder Film ist ein eigenständiges Kunstwerk und erfordert ein eigenes Gefühl"| Duffy, Martin - "Für mich gibt es schon einen Unterschied zwischen einem Kinderfilm und einem Familienfilm"| Falardeau, Philippe - "Ich habe wirklich viel gelernt bei der Sektion Generation und dafür bin ich sehr dankbar!" | Hailer, Thomas - "Das Land Eden für den Kinderfilm gibt es nicht"| Helfricht, Christian - Gespräch mit Christian Helfricht, dem Begründer der Initiative "Schule & Film"| MIller, David Lee - "Diese wunderbare 'Suicide'-Familie"| Ovashvili, George - "Ich habe diesen Film meiner unglücklichen Heimat gewidmet." | Overweg, Calle - "Den sozialen Betroffenheitsfilm kann man Kindern nicht anbieten"| Sonnenschein, Sabine und Joachim Steinigeweg - "Unser Anspruch war immer, nicht nur das zu zeigen, was sowieso schon in den Kinos zu sehen ist"|


KJK-Ausgabe 118/2009

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