Produktion: Westside Filmprod. / Rat Pack / Constantin Film; Deutschland 2008 – Regie und Buch: Christian Ditter, nach dem Roman "Die Vorstadtkrokodile" von Max von der Grün – Kamera: Christian Rein – Schnitt: Ueli Christen – Musik: Heiko Maile – Darsteller: Nick Romeo Reimann (Hannes), Fabian Halbig (Kai), Leonie Tepe (Maria), Manuel Steitz (Olli), Nora Tschirner (Hannes' Mutter), Maria Schrader (Kais Mutter), Smudo (Kais Vater) u. a. – Länge: 90 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Constantin – Altersempfehlung: ab 10 J.
Der Roman "Die Vorstadtkrokodile" von Max von der Grün zählt zu den Klassikern der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Das Buch verkaufte sich bis heute nicht nur mehr als 800.000 Mal, sondern avancierte auch zur Schullektüre. Schon 1977 adaptierte der Regisseur und Produzent Wolfgang Becker (1910-2005) den Stoff für den WDR. Rund drei Jahrzehnte später regte der Produzent Christian Becker eine Neuverfilmung an und beauftragte den jungen Regisseur Christian Ditter, der schon mit der Schülerkomödie "Französisch für Anfänger" sein Gespür für die Bedürfnisse junger Zuschauer bewiesen hat. Ditter modernisierte die Story konsequent und schlüssig, indem er einen flotten Abenteuerfilm für Heranwachsende ab zehn Jahre in Szene setzte.
In einer Stadtrandsiedlung im Ruhrgebiet wächst der zehnjährige Hannes bei seiner jungen, alleinerziehenden Mutter auf, die einen Kiosk betreibt und sich mit einem Fernstudium abmüht. Hannes möchte gerne von der coolen Jugendbande "Vorstadtkrokodile" aufgenommen werden. Das geht aber nur, wenn er eine Mutprobe besteht. Als Hannes dabei vom Dach einer stillgelegten Ziegelei abrutscht, hat er großes Glück: Kai, der zuhause im Rollstuhl sitzt, hat den Beinaheabsturz zufällig mit seinem Fernrohr beobachtet und per Handy die Feuerwehr alarmiert, die Hannes rettet. Als Hannes ihn besucht, um sich für den rettenden Anruf zu bedanken, bittet Kai, ihn zu der Bande mitzunehmen; auch er möchte gerne zu den "Krokodilen" gehören. Als Gegenangebot will er sein Wissen über Einbrecher preisgeben, auf deren Ergreifung eine Belohnung ausgesetzt ist. Kai hat den Einbruch nämlich mit seinem Fernrohr beobachtet. Doch zunächst regt sich in der Bande Widerstand gegen die Aufnahme des "Spasti", der nicht mal wegrennen kann, wenn's brenzlig wird. Allerdings wollen die "Krokodile" den Fall unbedingt lösen, weil sie mit der Belohnung Hannes' Mutter helfen könnten, die das Geld nach einer Beschädigung ihres Ladens gut gebrauchen könnte.
Für die filmische Neufassung stellte Ditter ein junges Darstellerensemble aus Jungstars und Kameraneulingen zusammen, das eine homogene Leistung bringt und erfreulich lebensnahe Dialogsätze spricht. Nick Romeo Reimann spielte in den Folgen 3 bis 5 der "Wilden Kerle", Leonie Tepe war in der Serie "Taco und Kaninchen" zu sehen und Manuel Steitz wirkte in den Kinofilmen "Räuber Hotzenplotz" und "Herr Bello" mit. Dagegen spielt der 1992 geborene Fabian Halbig, Schlagzeuger der Punkrockband "Killerpilze", seine erste Kinorolle, für die er eigens ein Rollstuhl-Training absolvierte, und das mit erstaunlicher Souveränität. In Gestalt von Martin Semmelrogge erweisen die Filmemacher der Erstverfilmung gleichsam ihre Reverenz: Er spielte im WDR-Film den Sohn eines fiesen Minigolfplatzbesitzers, der damals von seinem Vater Willy Semmelrogge verkörpert wurde. Genau diesen Part hat nun der 52-jährige Martin Semmelrogge übernommen. Die einzige Fehlbesetzung ist der erfahrene Komiker Axel Stein, der als doofer Kleinkrimineller durch den Film kaspert und wie ein Fremdkörper wirkt.
Wie im Roman steht der Themenkomplex der Integration im Mittelpunkt der Handlung. So spielt die Auseinandersetzung der Bande mit der Behinderung Kais wie im Roman, den Max von der Grün (1926-2006) seinerzeit seinem behinderten Sohn Frank gewidmet hat, eine wichtige Rolle. Während sich im Buch die Vorurteile der einfachen Ruhrpott-Bewohner noch gegen Italiener richteten, so geben nun im Film Albaner die Zielscheibe für Ressentiments. Und statt der Arbeitslosigkeit im Roman sind es im Film eher schlecht bezahlte prekäre Jobs wie im Fall von Hannes' Mutter. Außerdem erbringt die Bande selbst erhebliche Integrationsleistungen: Sie besteht fast durchweg aus Außenseitern wie Peter, der stottert, oder Elvis, der autistische Symptome zeigt, oder Maria, die sich als einziges Mädchen ständig gegen die männliche Übermacht behaupten muss.
Angesichts der Stärken des Remakes, dem eine zeitgemäße Neubearbeitung des bewährten Stoffes mit Detektivabenteuern im realistischen Milieu gelingt, sieht man über einige leicht überzogene Action-Verfolgungsjagden (Stichwort: Rollstuhlrennen durch die Fußgängerzone) und Zugeständnisse an den vermeintlichen Geschmack der Kids-Generation gern hinweg.
Passend zum Kinostart wurde bekannt, dass der Pendragon Verlag erstmals eine komplette Werkausgabe des Schriftstellers Max von der Grün herausbringen will. Bis zum Herbst 2011 sollen zehn Bände erscheinen. Vier Jahre nach dem Tod des Arbeiterdichters aus dem Ruhrgebiet sind bereits zwei erste Bände der Ausgabe erschienen; insgesamt hat der vielfach ausgezeichnete Autor, der 2005 mit 78 Jahren in Dortmund starb, mehr als 30 Bücher geschrieben.
Reinhard Kleber
VORSTADTKROKODILE im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.
Inhalt der Print-Ausgabe 118-2/2009
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