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Ausgabe 118-2/2009

"Unser Anspruch war immer, nicht nur das zu zeigen, was sowieso schon in den Kinos zu sehen ist"

Gespräch mit Sabine Sonnenschein und Joachim Steinigeweg vom Kölner Kinderfilmfestival "Cinepänz"

Interview

Im November 2008 fand das 19. Kölner Kinderfilmfestival "Cinepänz" (Pänz ist das Kölsche Wort für Kinder) statt. KJK-Mitarbeiter Lutz Gräfe sprach mit den Organisatoren.

KJK: Wieso kam man 1989 auf die Idee, ausgerechnet in Köln ein Kinderfilmfestival zu veranstalten?
Sabine Sonnenschein: "Das war natürlich vor unserer Zeit. Es gab nicht soviel Kinderfilm im Kino wie heutzutage. Damals hieß das JFC-Medienzentrum ja noch 'Jugendfilmclub' und hat Filme in die Stadtteile und Einrichtungen gebracht. Man hatte erkannt, dass man Kinderfilm auch in die Kinos bringen muss."
Joachim Steinigeweg: "Mir ist immer wichtig, dass Kinder das Kino kennenlernen. Die haben zwar  sehr viel Zugang zu Medien, aber meistens eben doch in Form von TV oder DVD. Ich glaube, ein Kind muss einfach mal erleben, was Kino kann. Ich bin immer ganz stolz, wenn ich eine Gruppe Kinder im Kino sitzen sehe und mitkriege: Die haben Spaß, die gehen mit und empfinden das auch als etwas Besonderes. Und haben dann vielleicht auch Lust, weitere Filme im Kino zu sehen."

Das erste Programm umfasste ja nur acht Filme, davon nur wenige neue wie "Sommer des Falken". Die andere Hälfte bestand aus Klassikern wie "Emil und die Detektive" von 1931.
Sabine Sonnenschein: "Natürlich hat sich das Festival verändert. Damals hatte es einen stärkeren medienpädagogischen Bezug. Den hat es zwar heute auch noch, aber früher ging es sehr stark darum, Spielaktionen rund um die Filme anzubieten, Film als Erlebnis zu präsentieren, das den Kindern vielfältige Anregungen bieten kann. 1989 hatten wir nur eine Spielstätte. In den folgenden Jahren ist das Festival kontinuierlich gewachsen. Inzwischen sind es vier Kinos und zehn Bürger- und Jugendzentren, über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Und aus acht Filmen sind inzwischen 32 geworden plus Kurzfilme. Unser Anspruch war immer, nicht nur das zu zeigen, was sowieso schon in den Kinos zu sehen ist. Wir bemühen uns dabei, Filme aus anderen Ländern nach Köln zu holen oder kleinere Produktionen, die im Kino keine Chance hatten; auch weil sie einfach nicht den Werbe-Etat haben, um nach vorne zu kommen."
Joachim Steinigeweg: "Wobei die Entwicklung des Kinderfilms im Kino ja durchaus positiv ist: In Deutschland werden deutlich mehr Kinderfilme produziert. Und manche schaffen es sogar zu einem Millionen-Publikum. Aber das betrifft leider nur die mit viel Geld produzierten Bestseller-Verfilmungen, die beim Zielpublikum bestimmte Bedürfnisse ansprechen. Wer je bei einer Vorpremiere von 'Die wilden Hühner' war, wo hunderte von Mädchen zwischen 11 und 14 die Darstellerinnen anhimmeln wie Popstars, kann das nicht bestreiten. Doch sobald die Vorlage nicht mehr so bekannt ist, wird es schwierig; ein gutes Beispiel dafür ist ‘Hände weg von Mississippi‘ von Detlef Buck nach Cornelia Funke. Ganz schwer haben es Originalstoffe, die mit wenig Geld aber viel Herz produziert werden, und das liegt nicht an mangelnder Qualität.
Zudem erobert sich der Kinderfilm sich jetzt auch Genres: Es gibt Science-Fiction-Filme, Krimis und sogar Horrorfilme für Kinder. Das war vor einigen Jahren noch die große Ausnahme; abgesehen von den Krimis, die gab es schon immer. Es gibt inzwischen sogar lupenreines Action-Kino für Kinder wie zum Beispiel 'Kletter-Ida'. Auffällig auch, dass es im Kinderfilm – im Gegensatz zu früher – kaum noch die 'heile Familie' mit Vater, Mutter und Kind(ern) gibt. Heute ist entweder ein Elternteil tot oder die Eltern sind geschieden. Ich habe dabei oft das Gefühl, dass die Kinder herhalten müssen, die Probleme der Erwachsenen zu lösen oder sie gar zu retten. Die Kinder wirken auf mich dann oft überfrachtet und überfordert. Ein krasses Beispiel war ein schwedischer Jugendfilm, in dem die Eltern eines Mädchens einen Banküberfall begehen. Die Tochter hat einen Freund, ein Immigrantenkind mit marokkanischem Hintergrund. Und die Tochter opfert den Freund, schiebt ihm den Banküberfall in die Schuhe, um so die Eltern zu retten. Der wird dann ausgewiesen, weil angesichts seiner Herkunft niemand daran zweifelt, dass er die Bank überfallen hat. Das ist dann schon heftig, wenn Kinder auf ihr erstes Glück verzichten müssen, um ihre Eltern zu schützen."
Sabine Sonnenschein: "Eine deutliche Veränderung gibt es auch in der Rollenverteilung. Früher waren die Hauptfiguren aktive Jungen, das hat sich komplett gewandelt. Wir haben mittlerweile Probleme, Kinderfilme mit Jungs in der Hauptrolle zu finden, weil es so unendlich viele Kinderfilme mit starken Mädchenfiguren gibt. Das ist auch ein deutlicher Unterschied zum Kinder-TV, wo offenbar die alten Rollenklischees noch funktionieren. Wirklich bedeutsam ist auch die Stärkung des Dokumentarfilms für Kinder. Ein Genre, von dem man 1990 nach dem Ende des DEFA-Kinderdokumentarfilmstudios glaubte, es würde sich nie mehr erholen. Und jetzt gibt es kaum ein Festival ohne Kinderdokumentarfilm. Auch wenn es schwer ist, Schulklassen für so etwas zu begeistern; das liegt auch an den Lehrern, aber vor allem an den Kindern, die sich eben lieber leicht konsumierbare Sachen wie 'Die drei ???' ansehen."

Es gab schon 1990 das erste Jugendprogramm unter dem Namen See Youth, das dann zwei Jahre im Rahmen des Kölner Filmfestivals stattfand. Und dann hat es bis 2004 gedauert, bis es wieder ein Jugendprogramm gab. Warum eigentlich?
Sabine Sonnenschein: "Zunächst einmal lag das natürlich daran, ob und wie viel Geld wir als Förderung erhalten haben. Wir müssen zusehen, dass wir das Festival überhaupt finanziert bekommen. Vor vier Jahren haben wir es dann einfach geschafft, Zusatzmittel zu ergattern, um so See Youth wiederzubeleben."
Joachim Steinigeweg: "Wir haben auch gesehen, dass es sehr schwierig ist, Jugendliche ins Kino zu bekommen, wenn oben drüber Kinderfilmfestival steht. Denn wir haben ja vorher auch Film für Jugendliche ab 14 gezeigt, aber die kamen nicht, weil das eben im Rahmen des Kinderfilmfestivals lief. Daher kam dann der Gedanke an eine eigene Reihe mit eigenem Namen und eigenem Flyer."
Sabine Sonnenschein: "Inzwischen stellen wir fest, dass gerade im Schulprogramm die Jugendfilme unheimlich gut angenommen werden. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass es für Kinder ein reichhaltiges TV-Angebot gibt, während Jugendliche so ab 14 ziemlich vernachlässigt werden. Erfreulicherweise bekommen wir so langsam einen kleinen Stamm an jungen Zuschauern außerhalb der Schulvorführungen. Das ist nicht eben alltäglich; denn in den Kinos funktionieren Jugendreihen leider überhaupt nicht. Weil die Jugendlichen sich für Geld keine Filme ansehen, auf denen Jugendfilm steht; die versuchen dann lieber, sich in den neuen Blockbuster aus Hollywood zu schleichen."

Für ein Festival gibt es erstaunlich wenig Filmemacher als Gäste.
Sabine Sonnenschein: "Das hat natürlich mit dem Geldmangel zu tun. Wir können es uns in vielen Fällen einfach nicht leisten, die Leute hier einzufliegen. Aber es ist auch unser Konzept, viele verschiedene Zugänge zum Film zu schaffen. Es sind schon immer Filmschaffende anwesend, aber eben nicht nur Regisseure, sondern Schnittmeister, Synchronsprecher oder wie im Jahr 2008 Filmmusiker. Und wir laden Experten zu bestimmten Themen ein; so hatten wir zu 'Fightgirl Ayse' einen Kampfsportler hier oder zum Film 'Der Sohn des Löwen' jemanden, der sich mit der Region um Pakistan/Afghanistan auskennt. Wir schauen halt immer, wie wir die Kinder am besten für die Filme begeistern können."

Wie kam es eigentlich zu den Kinderfilmkritikern von "Spinxx"; etwas, das ja von Euch ausging und das ich bei anderen Festivals so noch nicht gesehen habe.
Sabine Sonnenschein: "Das machen wir schon seit fast zehn Jahren; damals hieß das noch 'KriKi' (Kritische Kinder) und mittlerweile ist daraus ein NRW-weites Projekt geworden mit Redaktionen in vielen Städten. Die treffen sich seit 2007 im Rahmen von 'Cinepänz' am letzten Wochenende unter einem speziellen Motto. 2008 gab es zum Thema 'Filmmusik – Sound und Musik im Film' Debatten mit Filmkomponisten und Workshops, in denen Filme mal anders synchronisiert oder mit eigener Musik versehen werden konnten."

Interview: Lutz Gräfe

 

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