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Ausgabe 112-4/2007

„Gilles“

„Buitenspel“

(Hintergrund zum Film GILLES)

Regie: Jan Verheyen und Peter van Lees, Belgien 2005, 90 Min, Altersempfehlung: ab 8 J.

Dokumentation der Filmvorführung (28. Juni 2007) beim 25. Kinderfilmfest München

Inhalt

Gilles ist ein viel versprechendes Fußballtalent und träumt von einer Karriere in der Jugendmannschaft bei den "Roten Teufeln", der belgischen Nationalmannschaft. Darin unterstützt ihn sein Vater Bert als persönlicher Coach mit Leidenschaft und Rat. Bei einem Spiel bricht Bert tot am Spielfeldrand zusammen. Gilles trauert und scheint mit dem Verlust auch sein Talent eingebüßt zu haben. Mit Hilfe der Geister beschwörenden Großmutter von Gilles' bestem Freund Desiré erscheint Bert als Geist und trainiert ihn weiter für das entscheidende Qualifikationsspiel. Als Gilles bei einem Match verletzt wird, verordnet der Arzt sofortiges Fußballverbot bis zur Operation, da sonst bleibende Schäden entstehen könnten. Gilles will so kurz vor dem entscheidenden Qualifikationsspiel nicht aufgeben. Er verschweigt und ignoriert die ärztliche Anweisung. Die Apothekertochter Lies tauscht Schmerz hemmende Kortisonsalbe gegen Küsse. Zuhause kommen sich zu Gilles' Missfallen seine Mutter Anna und Joris näher, der den schlecht laufenden Gemüseladen auf Vordermann bringt. Gilles' Nöte können weder der Psychologe noch seine Mutter lindern, und auch die Ratschläge seines Geist-Vaters und das von diesem arrangierte Match mit ehemaligen (verstorbenen) Fußballlegenden helfen Gilles nicht weiter. Er selbst muss entscheiden, wie es für ihn weitergeht. Am Ende ist Gilles erwachsen geworden und akzeptiert, was unabänderlich ist.

Reaktionen während der Vorstellung

Die knapp ausverkaufte Schulvorstellung im Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig besuchten Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 13 Jahren (5. und 7. Klassen). Die Fußballszenen und das Ballspielkönnen des jungen Hauptdarstellers begeistern die Schüler. Einige der Jungen kommentieren fachkundig das Spielgeschehen und tauschen sich über Sportmarken und eigene Vorlieben aus, ohne das Interesse für das Leinwandgeschehen zu verlieren. Der plötzliche Tod des Vaters und der Szenenwechsel zur Beerdigung kommen unerwartet, erste betont coole Bemerkungen fallen ("Schicksal!"). Das Auftauchen von Berts Geist sorgt zunächst für Verwirrung ("Der ist doch tot?", "Der stellt sich das nur vor, oder?" "Bescheuert, das soll ein Geist sein!" usw.), wird dann aber im weiteren Verlauf akzeptiert.

Die Bereitschaft, sich auf die Filmhandlung einzulassen, lässt spürbar nach, je weniger Fußball und die damit verbundene Action im Vordergrund stehen. Die verzweifelte Gemütslage des Protagonisten (Trauer/Verlust, Verletzung und Spielverbot, die neue Familiensituation) wird wiederholt mit spöttischen Kommentaren bedacht. Auf die erpressten Küsse reagieren Mädchen und Jungen mit betonter Ablehnung ("voll die Erpresserin", "iih, bäh" usw.). Einige der älteren Jungen äußern sich zudem abfällig über das Aussehen des Mädchens Lies.

Am deutlichsten lassen Konzentration und Anteilnahme bei denjenigen Szenen nach, die die erwachsene Liebesgeschichte dialoglastig erzählen (das Weihnachtsessen, Handlungsstrang Amateur-Operettenaufführung). Die stärksten Reaktionen und teils derbe Bemerkungen ruft die kurze Sexszene von Gilles' Mutter mit Joris unter der Dusche hervor (lautes Gejohle, Buhrufe, aber auch "geiler Film!"). Gilles' "Klartext" gegenüber Joris wird ebenfalls lautstark begrüßt. Der ausgedehnte emotionale Abschied von Vater und Sohn im letzten Drittel wiederum überstrapaziert Aufmerksamkeit und Empathie. Es werden ab jetzt häufig Uhrzeit und verbleibende Filmdauer überprüft.

Verwendbarkeit des Films für die Kinderkulturarbeit

Eingebettet in einen spannenden Fußball-Plot erzählt "Gilles" vom Verlust eines Elternteils, vom Umgang mit der Trauer und veränderten Lebenssituation. Im Grunde handelt es sich um eine Coming-of-Age-Geschichte, in der Fußball die Brücke zu den emotionalen Grundthemen schlagen soll.

Darin liegt allerdings ein Manko des Films, das die vorab geschilderten Beobachtungen und die Befragung einiger Schüler nach der Vorstellung nahe legen: "Gilles" enttäuscht die Erwartung eines Fußballfilms, in dem allein der Sport im Mittelpunkt steht. Hier geht es mindestens ebenso sehr um eine enge Vater-Sohn-Beziehung über den Tod hinaus, es geht um Familie (ein neuer Partner der Mutter), Freundschaft und erste Liebe (Lies/Gilles) und ums Erwachsenwerden. Der Protagonist durchlebt intensive emotionale Phasen, die vom jungen Publikum nicht vorbehaltlos angenommen werden. "Mehr Action, weniger Gefühlsduselei" ist der Grundtenor der Schüler. "Zuviel Weinerei" kritisieren auch die Mädchen, die sich während der Vorstellung mit Kommentaren zu den gefühlvollen Szenen zurückgehalten haben.

Die starke Gewichtung der emotionalen Handlungsmomente scheint für die Altersgruppe der präpubertären Kinder und pubertierenden Jugendlichen also problematisch. Die Abstimmung ist durchwachsen, 105 abgegebene Stimmen verteilen sich auf 29 Prozent "sehr gut", 43 Prozent "gut", 15 Prozent "mittel" und 13 Prozent "gar nicht gefallen". In der Nachmittagsvorstellung am Vortag mit ca. 80 Prozent Erwachsenenanteil fiel die Bewertung deutlich positiver aus (89 Prozent "sehr gut"). Dennoch sollte nicht von der einzelnen Schulvorstellung auf eine generelle Untauglichkeit des Films für diese Altersgruppe zurück geschlossen werden. In Klassenverbänden entwickelt sich oft eine Dynamik, in der die gesamte Gruppe von einigen wenigen "Meinungsmachern" beeinflusst wird.

Was "Gilles" für die Kinderkulturarbeit wertvoll macht, ist sein Verständnis für die Erlebnis- und Gefühlswelt eines zwölfjährigen Jungen und den drastischen Einschnitt durch den Tod des Vaters. Glaubwürdig und sensibel vermittelt der Film Gilles' Reifeprozess. Die kindliche Flucht in ein Leugnen der Tatsache des Todes setzt der Film in reales Geschehen um: Der Geist des toten Vaters ist für Gilles so echt wie der lebendige Bert. Nach und nach wandelt sich das Verhältnis, Gilles beginnt, die Argumente seines Vaters zu hinterfragen. Gilles kann loslassen, nachdem er gelernt und begriffen hat, dass er seinen Vater nicht mehr braucht, um zurechtzukommen. Dieses Wissen wird ihm – und dem Publikum – nicht als vernünftige und "einzig richtige" Verhaltensweise aufgedrängt. Die erwachsenen Bezugspersonen – seine Mutter, der Psychologe – sind selber mit der Situation überfordert. Mit der Emanzipation von seinem (toten) Vater ist es Gilles möglich, die neue Familiensituation zu akzeptieren – es ist "anders, aber okay". Gilles' Erwachsenwerdung wird symbolisch mit dem eigenen Hausschlüssel besiegelt.

Gilles' gesundheitlich erzwungener Verzicht auf eine Profifußballkarriere fällt ihm nicht leicht. Als sein bester Freund es zu den Roten Teufeln schafft, freut sich Gilles für ihn. Aber er ist auch traurig, dass dies nicht sein Lebensweg sein wird. Trotzdem – und damit umschifft der Film die Untiefe, Gilles zu einem Märtyrer zu machen – steht er nicht als Verlierer da, er hat ein besseres Verhältnis zu seiner Mutter, eine neue Familie und mit Lies eine Freundin. Für die Kinderkulturarbeit ist der Film "Gilles" daher geeignet. Empfohlen für Kinder ab 8 Jahren.

Ulrike Seyffarth

 

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KJK-Ausgabe 112/2007

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