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Ausgabe 50-2/1992

ES WAREN EINMAL SIEBEN SIMEONS

TSCHILI-BYLI SEM SIMEONI

Produktion: Ostsibirisches Filmstudio Irkutsk, UdSSR 1989 – Regie: Herz Frank, Wladimir Eisner – Buch: Herz Frank – Kamera: Jewgeni Korsun – Musik: Wladimir Eisner – Laufzeit: 90 Min. – s/w und Farbe – OmU – Verleih: ex picturis, Fidicinstr. 40, 1000 Berlin 61 (35mm)

Der sowjetische Dokumentarfilm schildert das tragische Schicksal einer ostsibirischen Familie, die im März 1988 ein Flugzeug zu entführen versuchte, um so ihre Ausreise in den Westen zu erzwingen. Als die Miliz die Maschine auf einem Flughafen bei Leningrad stürmte, brachten sich vier Brüder um. Die Mutter ließ sich vom ältesten Sohn erschießen. Eine Stewardess wurde von einem der Brüder getötet. Die Sicherheitskräfte erschossen außerdem drei Passagiere und verletzten 36 weitere. Durch eine Bombenexplosion wurde das Flugzeug völlig zerstört. Einer der beiden jüngsten Brüder wurde verletzt, der andere überlebte wie durch ein Wunder. Eine schwangere Schwester und ein halbwüchsiger Bruder wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Der lettische Regisseur Herz Frank und sein junger Kollege Wladimir Eisner versuchen auf vielfältigen Wegen herauszufinden, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte. Der Filmtitel spielt auf die Jazzcombo "Die sieben Simeons" an, zu der sich sieben Brüder der Familie zusammengeschlossen hatten. In den 80er-Jahren hatten die Jungs im Alter zwischen 5 und 21 Jahren in der Sowjetunion so großen Erfolg, dass sie sogar einmal zu einem Auftritt nach Japan ausreisen durften. Für weitere Auftritte im Westen erhielten sie jedoch keine Genehmigung. Über die "Simeons" erfährt man einiges aus Aufnahmen vom Gerichtsverfahren, einem Miliz-Video, Interviews mit Zeugen und Familienangehörigen sowie Bildern vom Alltagsleben und von Konzertauftritten. Die Motive für die Verzweiflungstat bleiben jedoch letztlich im Dunklen. Die Autoren üben allerdings deutliche Kritik am Ausreiseverbot und dem Verhalten der Miliz. So erfahren wir, dass die Brüder, die keine Berufsausbildung hatten, keine Erlaubnis erhielten, mit Konzerten Geld zu verdienen. Außerdem verließ der trunksüchtige Vater die Familie schon früh, so dass die "Heldenmutter" die elf Kinder allein großziehen musste.

Über weite Strecken kommentiert eine Off-Stimme die Bilder, die davon teilweise zu stark überlagert werden. Dieser Effekt wird durch die Tendenz zu einem vordergründigen Moralisieren noch verstärkt. Kritiker haben den Filmemachern wiederholt vorgeworfen, sie stellten manche Fragen zu provokativ, indem sie anklägerische Schuldvorwürfe an die Delinquenten richteten. Damit machen sich die Autoren selbst zu Richtern. Einmal wird beispielsweise der verurteilte halbwüchsige Bruder vorwurfsvoll gefragt, warum er denn die Familie nicht vor der "Wahnsinnstat" bewahrt habe.

Bedenklich ist die gelegentlich durchscheinende fatalistische Weltsicht der Autoren, die sich vielleicht durch die deprimierende Entwicklung in der ehemaligen Sowjetunion erklären lässt. So konstruiert der Kommentator am Schluss eine tragische Vererbungskette von der Großmutter über die Mutter der "Simeons" bis zur überlebenden Schwester, die ihr Kind im Gefängnis zur Welt bringen muss. Diese gewagte moraltheologische Konstruktion gipfelt in der höchst fragwürdigen Formel: "Böses gebiert Böses."

Trotz dieser Einwände bietet der thematisch schwierige Film vielfältige Einsichten in das Leben sowjetischer Jugendlicher, deren Sehnsüchte nach Erfolg, Wohlstand und Glück auf viel größere Widerstände stoßen als die ihrer Altersgenossen im Westen. Darüber hinaus finden sich zahlreiche Ansatzpunkte zur Erörterung von Ursachen und Folgen sozialer Desorientierung gerade in politischen Zwangssituationen.

Der weitgehend in Schwarzweiß gedrehte Film erhielt bei der Leipziger Dokumentarfilmwoche 1991 die 'Goldene Taube' und den Preis der Ökumenischen Jury; von der Jury der Evangelischen Filmarbeit wurde er als 'Film des Monats' empfohlen.

Reinhard Kleber

 

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