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Ausgabe 52-4/1992

"Die Kehrseite der Medaille"

Gespräch mit Johannes Hempel zu seinem Kurzfilm "Als es noch Wassermänner gab" und zur Geschichte des aufgelösten Dresdner DEFA-Trickfilmstudios

Interview

Beim 15. Kinderkino der 38. Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen im Mai 1992 stellte der ostdeutsche Regisseur Johannes Hempel seinen jüngsten Trickfilm "Als es noch Wassermänner gab" (1991) vor. Der Kurzfilm erhielt von der Kinderjury eine Lobende Erwähnung. Seinen neuen Puppentrickfilm drehte Hempel wieder – wie schon seinen ersten Trickfilm "Der Wolf und die Füchsin" (1950) – nach einem sorbischen Märchen. Nach seinen Angaben ist der "Wassermänner"-Film der letzte des traditionsreichen DEFA-Trickfilmstudios in Dresden vor seiner Auflösung durch die Treuhand.

Dass gerade ein Künstler einen Film dort fertig stellen konnte, wo sein Name für 25 Jahre geächtet war, ist schon eine seltsame Ironie des Schicksals. Denn Hempel, der das Studio 1951 mit aufgebaut hatte, wurde 1962 von der Studioleitung aus politischen Gründen entlassen. Danach durfte der 1917 geborene Bautzener in der DDR keine Puppentrickfilme mehr herstellen. Immerhin erhielt der Gemaßregelte später eine Lizenz für Industriefilme. Erst in den letzten Jahren des zweiten deutschen Staates durfte der mittlerweile pensionierte Filmemacher dann mehrere "Abendgrüße "für das Ost-Berliner Fernsehen drehen.

In Oberhausen sprach KJK-Mitarbeiter Reinhard Kleber mit diesem Zeitzeugen über seinen jüngsten Film und die Geschichte des DEFA-Trickfilmstudios.

KJK: Wie ist das "Wassermann"-Projekt entstanden?
Johannes Hempel: "Am Jahresende 1988 sind sie vom Trickstudio zu mir gekommen. Die waren in großem Planverzug und sie brauchten noch ein Szenarium. Sie hatten einige Stoffe und fragten an, ob ich denn bereit wäre, für sie einen Film zu machen. Einige Stoffe habe ich abgelehnt und ihnen vorgeschlagen, meinen eigenen, den 'Wassermann', zu machen. Es gab also schon einige Schwierigkeiten, aber der zweite Kummer war, dass ich wieder einen eigenen Dramaturgen haben wollte, der ihnen nicht passte. Aber sie stimmten dann doch zu. Das Szenarium wurde also pünktlich abgeliefert, sie konnten ihren Plan erfüllen. Dann fanden sie erst mal ein halbes Jahr lang hundert Ausreden, der Film würde zu teuer und hätte zu viele Figuren. Das konnte ich entkräften. 1989, kurz vor der Wende, ist er schließlich in die Produktion gegangen und 1990 produziert worden."

Gab es auch bei den Dreharbeiten Probleme?
"Das DEFA-Trickstudio hat 1963 Strukturen eingeführt, die eine flüssige Produktion unmöglich machten, weil es abhängig geworden ist vom Fernsehen. Dadurch sind die Stäbe aufgelöst worden. Das hat mit sich gebracht, dass für mich, zum Beispiel kein einziger Animator frei war. Ich habe diesen Film übrigens nicht bei der DEFA gedreht, sondern in meinem eigenen Studio. Die DEFA hat für diesen Film mein Studio gemietet, denn ich hatte – das begann 1964 mit der eigenen Lizenz – mir langsam auch ein eigenes Studio aufgebaut, mit allem Drum und Dran, Tricktisch, vier Kameras, Beleuchtung."

Hing das damit zusammen, dass Ihr Film der letzte in Dresden war?
"Das hing einmal mit dem Auftrag zusammen, und auch damit, dass das Studio in jener Zeit 'ausgelaufen' ist. Die letzte Hälfte des Honorars habe ich ja schon in D-Mark ausgezahlt bekommen, da stand schon die Frage, ob sie es überhaupt noch bezahlen können. Die Finanzen sind aber gesichert worden bis zum Ablauf. Insofern war dies der letzte Film. Es war damals noch ein abendfüllender Film im Atelier, der ist dann abgebrochen worden. Vor drei Monaten ist der endgültig weggepackt worden, weil ja das Studio nun aufgelöst ist."

Wie ist der Zusammenhang des Szenariums mit dem zugrunde liegenden sorbischen Märchen?
"Ich bin sorbischer Abstammung von meiner Mutter her und mit der sorbischen Sprache und Sagenwelt von Kindesbeinen an vertraut. Bei uns zuhause war die Zweisprachigkeit eine Selbstverständlichkeit. Meine Mutter hat zum Beispiel mit meiner Großmutter niemals deutsch, sondern nur wendisch – so hieß das damals – gesprochen, während sie mit uns Kindern – wir wohnten ja in Bautzen und ich musste in die deutsche Schule gehen – nur deutsch gesprochen hat. Dadurch haben wir zwar eine Menge vom Hören her mitgekriegt, aber selber gesprochen nie."

Sie haben in Ihrer beruflichen Laufbahn ja einiges erlebt. Wie sind Sie eigentlich zum Film gekommen?
"Den ersten Film, einen 16mm-Schwarzweiß-Film, drehte ich im Auftrag der Landesregierung Sachsen, in Bautzen in den 60er-Jahren. Den habe ich aus Neugierde gemacht, weil ich sehen wollte, wie man Bildende Kunst und Film verbinden kann. Und ein Märchen auf diese Art mit Puppen als Kinderfilm darzustellen, das war mein eigentliches Interesse dabei. Danach, 1951, bin ich zur DEFA in Babelsberg als Architekt gekommen, denn ich habe Malerei und Architektur studiert. Mein ursprünglicher Beruf war Bühnenbildner. Als der Direktor erfuhr, dass ich mal einen Trickfilm gemacht habe, wurde ich beauftragt, bei der DEFA die Trickfilmproduktion aufzubauen. Ich habe das erste Jahr die gesamte Technik entwickelt."

Was war denn Ihr erster Film in Babelsberg?
"Der erste Film bei der DEFA war 'Frau Holle'. Den musste ich bis auf den Kameraassistenten, der bei mir gelernt hat, praktisch als Ein-Mann-Produktion machen. Ich habe also die Puppen entworfen, die Dekoration, habe das meiste selbst gepinselt. Meine Frau hat für die Puppen die Kostüme genäht. 1953 war der Film fertig."

Wann ist die Trickfilmproduktion nach Dresden umgezogen?
"1955 sind wir umgezogen nach Dresden. Ich musste dort praktisch den gesamten Nachwuchs ausbilden und mir Mitarbeiter suchen. Das waren Leute wie Gerhard Behrend, der ab 1956 das 'Sandmännchen' beim Fernsehen gemacht hat, und Werner Schulz, der das westdeutsche Sandmännchen gemacht hat. Vor allem habe ich eine ganze Reihe von Animatoren ausgebildet."

Wie kam es dann zum Bruch mit der Studioleitung?
"Von 1957 bis 1958 war ich künstlerischer Leiter des Studios. Das war ein hartes Brot, denn ich war parteilos. 1958/59 machte ich den ersten abendfüllenden Film, "Die seltsame Historia von den Schiltbürgern'. Es war ein Cinemascope-Film mit Vierkanalton, der im Jahr 1961, kurz nach dem Mauerbau, fertig geworden ist. Ich bekam dann ernsthafte Probleme dadurch, dass ich gewohnt war, mir meine eigenen Autoren und Dramaturgen zu suchen. Ich habe mich auch bei den 'Schiltbürgern' gewehrt, einen vorgeschriebenen Autor zu nehmen, sondern mir meinen eigenen gesucht, der schon etwas anrüchig war. In diesem Film hatten wir natürlich ketzerische Sätze drin, das ließ sich bei einem solchen Stoff auch nicht vermeiden. Ich hatte auch gar nicht die Absicht, da irgendwie zu kleistern. So wurden also Kritiker bestellt, die den Film gezielt madig machen mussten, und er ist dann auch nach kurzer Zeit aus dem Verkehr gezogen worden. Meine Produktion lief im Allgemeinen so, dass ich immer einen Film in Vorbereitung hatte, einen im Atelier und einen in der Endfertigung, so dass man fließend produzieren konnte. Während den 'Schiltbürgern' bereitete ich schon den Film 'Zwei Lieder' vor. Es ging darin um den Dichter im Elfenbeinturm, und zwar störten mich in den größeren Tageszeitungen und in wichtigen literarischen Zeitschriften die Schriftsteller, die diese Parteilieder sangen. Die Fabel haben wir an den Hof des Kaisers von China verlegt, denn wir konnten sie nicht gegenwärtig gestalten. Die Texte der Lieder schrieb Reiner Kunze. Der Vorsitzende der Abteilung Kultur im Staatsrat sah sich den Film an und fand ihn mit dem Text unmöglich. Ich sollte einen neuen Text machen. Wir haben das versucht, er wurde aber wieder nicht angenommen.
Ich musste meine Arbeit an dem Film beenden und erhielt die Kündigung. Man hat einzelne Mitarbeiter, die Regisseure werden wollten, von der Partei aus bestellt und ihnen allerhand versprochen. Da fand dann ein Hexenprozess vorm ganzen Betrieb statt. Die mussten aussagen, dass mit mir das Arbeiten unmöglich ist und man mich im Studio nicht mehr gebrauchen kann. Mir wurde empfohlen, dass ich ein Jahr ins Uranbergwerk gehe, damit ich mich bewähre. Danach hätte ich zurückgehen können. Ich verzichtete großzügig auf dieses Angebot."

Was haben Sie nach der Entlassung gemacht?
"Ich war erstmal arbeitslos. Ich habe mich dann zwei Jahre freiberuflich durch die Gegend geschlagen, habe Keramik und so was gemacht, dann Ausstattung fürs Fernsehen, denn es war praktisch ein Berufsverbot, das sich streng auf den Puppentrickfilm bezog. 1964 bekam ich durch die 'Teletips', die ich damals freiberuflich fürs Fernsehen machte, eine eigene Lizenz als Filmhersteller. Das war in der DDR möglich, da gab's einen entsprechenden Ministerratsbeschluss. Da sich die DEFA durch meinen Rausschmiss nicht dagegen wehren konnte, musste sie dem also zustimmen. Von da an produzierte ich Auftragsfilme für die Industrie, für die Landwirtschaft, Dokumentarfilme für die Technische Universität in Dresden, für die Internationale Buchausstellung in Leipzig, für den Börsenverein der Buchhändler und für das Ministerium für Kultur."

In den 60er-Jahren waren Sie aber nicht nur beim Film aktiv ...
"Außer der Filmarbeit war ich bühnenbildnerisch am Theater tätig, teils als Gast, teils fest, und als Ausstattungsleiter im Sorbischen Ensemble in Bautzen. Dort hatte ich bis zur Rente (1982) eine Anstellung mit der Garantie, dass ich außerdem meine freiberufliche Arbeit machen konnte. Das hatte den Nachteil, dass mein Gehalt sehr niedrig war, und das wirkt sich natürlich nun auf die Rente aus. Das ist die Kehrseite der Medaille."

Die meisten der verbotenen DEFA-Filme sind doch in der Wendezeit aus den Kellern geholt worden. Wie war das bei Ihren Filmen?
"Die 'Zwei Lieder' sah ich nach der Wende oder zur Wende bei der Kommission, die die verbotenen Filme vorführen musste, auch die 'Schiltbürger'. Mein Kameramann, der sich damals nicht an dem ganzen Knatsch beteiligt und sich auch geweigert hatte, Aussagen zu machen, der hat diesen ganzen Vorfall der Kommission vorgetragen. Ich bin rehabilitiert worden. Die Kündigung ist für ungültig erklärt worden. Ich habe den Film übrigens nicht wiedererkannt. Mein Name war rausgeschnitten. Aus dem 700-Meter-Film war ein 200-Meter-Film gemacht worden. Die zwei Lieder sind überhaupt nicht mehr drin. Es ist ein Text dazugekommen, der eine ganz andere Aussage als der Film hat. Er ist also regelrecht verstümmelt worden."

Interview: Reinhard Kleber

 

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