Produktion: Varahonar Film Co.; Iran 1999 – Regie und Buch: Majid Majidi – Kamera: Mohammad Davoodi – Schnitt: Hassan Hassandoost – Musik: Alireza Kohandairi – Darsteller: Hossein Mahjoob (Hashem, der Vater), Salameh Feyzi (Großmutter), Mohsen Ramezani (Mohammad), Elham Sharifi, Farahnaz Safari (Schwestern), Morteza Fatemi (Tischler) u. a. – Länge: 88 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Varahonar Film Co., P.O. Box 14185-978, IR-Tehran, Tel. 0098-21-800 0345, Fax 0098-21-802 8853 – Altersempfehlung: ab 10 J.
Eine ergreifende Szene eröffnet den Film. Vor dem Tor der Blindenschule in Teheran, am Beginn der Sommerferien, wartet Mohammad auf seinen Vater, der ihn zurück ins heimatliche Dorf bringen soll. Das fröhliche Stimmengewirr der Schulkameraden und ihrer Eltern ebbt ab. Stille. Der Junge sitzt allein auf der Bank. Einsamkeit. Die Zeit wird quälend lang. Da hört er jämmerliches Piepsen, tastet sich am Boden durch das Laub, findet einen aus dem Nest gefallenen Vogel, steckt ihn in die Hemdtasche, lauscht erneut, macht den Baum mit dem Nest aus, erklimmt ihn mit unendlicher Mühe, hält inne, orientiert sich abermals, tastet sich an den Ästen entlang und setzt schließlich den Winzling wieder zu den anderen.
Während des ganzen Vorganges, den wir mit größter Gespanntheit verfolgen, kein menschlicher Laut, nur Töne ringsum, die wir, da wir sehen können, einordnen. Wird Mohammad sie richtig deuten? Die Kamera umkreist den blinden Jungen bei seinem Tun äußerst behutsam, einer zärtlichen Umarmung gleich umschließt sie ihn liebevoll, wie das, was er tut, aus tiefstem liebendem (kindlichem) Herzen kommt.
Zur selben Zeit – wir sehen es, der Junge nicht – macht der eingetroffene Vater einen Bogen um seinen wartenden Sohn, begibt sich zur Schulleitung, um dort für sein Verbleiben zu bitten. Abgelehnt.
Nun sind unsere Sinne geschärft, unser Verstand hellwach, unser Herz ist offen für die folgenden Abläufe. Sie werden tragisch enden – für den Sohn, den Vater und die geliebte Großmutter. Die Katastrophe ist unausweichlich, wir fühlen es. Denn das Pendel der Fabel schwankt bei aller ruhigen Erzählart unstet hin und her zwischen dem, der Liebe geben will, und dem, der Liebe verweigert. Es kommt nicht zur Ruhe in der Mitte – wo sich beide finden könnten in der Sehnsucht nach gegenseitiger Zuneigung.
Majid Majidi verurteilt nicht (den Vater) und versagt sich jeder Glorifizierung (des Jungen). Ihre so unterschiedliche Liebe wird nicht gegeneinander ausgespielt, der Regisseur zeigt vielmehr, was passieren kann, wenn Liebe ins Leere läuft oder verweigert wird. Nur die Großmutter mit ihrer lebenserfahrenen ebenso wie die Schwester mit ihrer kindlichen Unbedingtheit bieten Alternativen. Die eine scheitert und stirbt, die andere geht aus der Geschichte, d. h. der Junge wird von ihr entfernt. In der Regie Majidis widerspiegeln sich gleichfalls die beiden Pole: hart und konsequent in der Fabelführung, zart und weich in der Zuneigung zu seinen Figuren. Bild- und Tonebene streben zueinander wie selten in einem Film, finden zur harmonischen Einheit und wahren doch ihre Autonomie, ihr Schnittpunkt ist die Emotion beim Zuschauer. Die Farben und das Licht, die Geräusche und der Ton sind Teile des Alphabetes, mit dem wir unsere Welt, unser Leben in ihr buchstabieren. Ihre Klammern heißen Zuneigung und Verantwortung füreinander. "Die Farbe des Paradieses" ist dann vielleicht ein heller Klang ... Dieser Film ist nicht einer, der unter die Haut geht. Er berührt unsere Seele.
Joachim Giera
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 83-2/2000 - Interview - "Für mich haben Bilder eine größere Magie als Worte"
KJK 83-2/2000 - Kinder-Film-Kritik - Die Farbe des Paradieses
KJK 83-2/2000 - Hintergrund - Porträt Majid Majidi
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