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Ausgabe 84-4/2000

FANTASIA 2000

Produktion: Disney Enterprises Inc.; USA 1999 – Regie: Hendel Butoy, Pixote Hunt, Eric Goldberg, James Algar, Francis Glebas, Gaëtan und Paul Brizzi, Don Hahn – Moderatoren: Steve Martin, Itzhak Perlman, Quincy Jones, Bette Midler, James Earl Jones, Penn & Teller, Angela Lansbury – Länge: 75 Minuten – Verleih: Buena Vista International (35mm) – FSK: o. A., ffr. – FBW: wertvoll – Altersempfehlung: ab 6 J.

"Wir haben die Absicht, jedes Jahr eine neue Fassung von 'Fantasia' herauszubringen. Die flexible Struktur des Films ermöglicht das und es wird eine große Freude sein, daran zu arbeiten. 'Fantasia' ist kein Konzertereignis, weder Varieté noch Revue, sondern eine großartige Verbindung von Komödie, Fantastik, Ballett, Drama, Impressionismus, Farbe, Klang und epischer Wucht." Das sagte Walt Disney 1941, ein Jahr nach Fertigstellung des ursprünglichen Fantasia-Films, für den er ein eigenes Raumton- und ein Breitwandverfahren entwickelt hatte.

Der Film von 1940 wurde jedoch an der Kinokasse ein Flop und manche Kritiker mäkelten an der Kombination von (bearbeiteter) klassischer Musik und Zeichentrick herum. Bosley Crowther, der Kritiker der New York Times, fand hingegen schon damals nur Lob für den Film und nahm ihn später als einzigen Trickfilm in seine Liste der 50 besten Filme aller Zeiten auf. Bei der ersten großen Wiederaufführung 1956 schrieb "Fantasia" erstmals schwarze Zahlen. Endgültig als Kultfilm galt er beim erneuten Kinoeinsatz im Jahr 1969. Nun wurde der Film einmütig von der Kritik ob seiner Farbigkeit, seiner Modernität und seiner kühnen Kombination von Kunst und Kommerz hoch gelobt.

Als der restaurierte Fantasia-Film 1991 eine der meistverkauften Videoveröffentlichungen des Jahres wurde, konnte Disneys Neffe Roy E. Disney, mittlerweile Leiter der Animationsabteilung, sich endlich an eine Fortsetzung des Originals wagen. "Rhapsody in Blue", "Karneval der Tiere" und "Der Feuervogel" hatte man bereits in den 40er-Jahren für eine mögliche Fortsetzung in Erwägung gezogen. Man einigte sich schließlich auf folgendes Programm:

Ludwig van Beethoven: 5. Sinfonie / Ottorino Respighi: Pini di Roma / George Gershwin: Rhapsody in Blue / Dimitri Schostakowitsch: Klavierkonzert Nr. 2, Allegro, op. 102 / Camille Saint Saëns: Der Karneval der Tiere, Finale / Paul Dukas: Der Zauberlehrling (Übernahme aus dem Fantasia-Original) / Sir Edward Elgar: Pomp and Circumstance, Märsche 1, 2 , 3 und 4 / Igor Strawinsky: Der Feuervogel – Version von 1919. (Während des Titelnachspanns mündet Beethovens 5. Sinfonie in Elgars Pomp and Circumstance.)

Zur Verbindung der einzelnen Sequenzen treten "Ansager" auf, angefangen mit dem Komiker Steve Martin über Bette Midler und Quincy Jones bis hin zu Angela Lansbury ... und Micky Maus. Steve Martins witziger Einstieg mit einem endlosen Wortschwall wird dabei sogleich ad absurdum geführt, indem ihn die Kamera links liegen lässt und ganz am Ende des Films, nach dem Abspann, ist er noch einmal zu vernehmen, wenn er immer noch fragt, ob irgendwer da ist, der ihm zuhört. Den besten Verbindungsteil hat Micky Maus, der zunächst nach dem Zauberlehrling wie im Original mit Dirigent Leopold Stokowski redet, dann zu James Levine, dem Dirigenten einiger der neuen Sequenzen läuft und ihm eröffnet, dass Donald Duck für seinen Auftritt noch nicht bereit sei. Danach hört man Micky in allen Ecken und Enden des Kinos Türen aufreißen, bis er endlich Donald beim Baden findet und zu seinem Auftritt in Elgars "Pomp and Circumstance" abholt.

Beethovens Fünfte beginnt den Film mit einer Mischung aus Abstraktion und Konkretion. Lichtsäulen, die aus Wolken hervorbrechen, zaubern eine Wolke abstrakt-bunter "Schmetterlinge" hervor, die in Wirklichkeit nur bewegte Dreiecke in leuchtenden Farben sind. Die bunte Vielfalt wird allmählich von einer Wolke erdrückend düsterer schwarz-roter Dreiecke bedroht, ehe der Farbenrausch des Lebens, von neuerlichen Lichtblitzen unterstützt, obsiegt.

Die Pinien von Rom inspirierten die Trickzeichner zu etwas völlig Anderem. Respighis Musik wird illustriert von einem Paar majestätisch durchs Polarmeer schwimmender Blauwale und ihres Kindes. Je mehr sich die Musik steigert, desto mehr heben die Wale ab und beginnen schließlich anmutig zu fliegen. Dann wird das fliegende Walkind von einem Möwenschwarm angegriffen, entkommt in einem Eisberg und steigt in einer Lichtsäule auf zu seinen fliegenden Eltern, die alsbald eine ganze Walherde im Flug durch die Wolken ins Weltall führen. Eine überraschende und doch anrührende Neuinterpretation der "Pinien von Rom", die allenfalls noch in Form riesiger Eisnadeln im Innern des Eisbergs in Erscheinung treten.

Die "Rhapsody in Blue" verwendet den grafisch eleganten Zeichenstil des Karikaturisten Al Hirschfeld und webt daraus einen Tag in New York, an dem die sich überschneidenden Geschichten von vier Hauptfiguren in einer Schlussapotheose glücklich enden. Dieser Teil von "Fantasia 2000" ist mit so viel Detailliebe, Menschenkenntnis und Witz inszeniert, dass, nicht zuletzt dank Gershwins Musik, eine rasante Miniatur entsteht, die das Lebensgefühl der 30er-Jahre sinnfällig macht.

Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 2 wird zum treibenden Moment in der Geschichte vom standhaften Zinnsoldaten. Diese Märchenbearbeitung steht, auch in der Verwendung der klassischen Musik, in der Tradition von Disneys "Silly Symphonies". Sie stellt eine Geschichte von Liebe, Bedrohung und Erlösung auf naive und doch wirkungsvolle Weise in Bild und Ton dar.

Das Finale von Saint-Saëns "Karneval der Tiere" wird wie "Der Tanz der Stunden" im Fantasia-Original zu einer absolut rasanten, komischen Ballettnummer und ist ein gutes Gegengewicht zum zuvor gezeigten, fast zu niedlichen Märchen.

Paul Dukas "Zauberlehrling" nach dem Gedicht von Goethe bringt Micky Maus auf die Leinwand. Der Klassiker der Ur-Version von "Fantasia" wurde für diese Fassung noch einmal restauriert. Dabei ist schade, dass man ihn wie in einem Fernseher ins Filmbild einkopiert hat, so dass auf der Breitleinwand nicht nur rechts und links schwarze Streifen zu sehen sind, sondern auch oben und unten. Dennoch hat dieser Film über die Jahrzehnte nichts von seiner Dramatik und seinem Witz verloren.

Elgars Märsche des "Pomp and Circumstance"-Zyklus werden zum Hintergrund der Geschichte der Arche Noah gemacht. Kein Geringerer als Donald Duck ist der Verwalter, der dafür sorgt, dass je zwei Tiere einer jeden Art einchecken. Für Komik sorgt, indem er meint, Daisy hätte es nicht an Bord geschafft, während sie Donald nirgendwo auf dem Schiff findet. Sie verpassen sich immer um (gagreiche) Zehntelsekunden. Erst nachdem die Sintflut beendet ist und Donald das Schiff auskehrt, finden Donald und Daisy wieder zusammen. Dies ist ein Filmspaß der besonderen Art. Donald hat damit auf seine Weise im Rahmen von "Fantasia" mit Micky gleichgezogen. In rund 7 Minuten hat dieser Film mehr Witz und Handlung als so mancher Trickfilm, der die Geschichte der Arche Noah breit ausgespielt hat. Zum Abschluss gibt es mit Strawinskys "Feuervogel" die sinnfälligste Umsetzung des Motivs vom Werden, Vergehen und von Neugeburt, das in Variationen in allen sieben Geschichten vorhanden ist.

Die einzelnen Sequenzen haben alle ihren eigenen Stil und könnten daher gut für sich alleine stehen. Sie werden thematisch aber besser zusammengehalten als jene alten Kompilationsfilme, in denen man einfach Disney-Cartoons aneinanderreihte. "Fantasia 2000" ist nicht schwächer als "Fantasia", dafür aber kopflastig und gnadenlos kommerziell. Technisch ist die neue Version dem Original natürlich weit überlegen. Aber inhaltlich ist eben alles freundlich und ohne allzu scharfe Kanten und Ecken. Manches wirkt nett, ja sogar liebenswert, aber alles ist auch laut, gigantisch und bombastisch. Dass man einen Episodenfilm auch leise und mit viel einfacheren Mitteln gestalten kann, belegt "Prinz und Prinzessin" von Michel Ocelot, eine Reminiszenz an Lotte Reinigers Scherenschnittfilme. Ocelots Film ist in seiner Schlichtheit wirkungsvoller und unterhaltsamer als jedes aufgedonnerte Großobjekt. Und vor allem: Er begeistert Kinder auf Anhieb, da er auf sie zugeht, ihre Märchen und ihr Kinoerleben aufgreift und auf köstliche Weise variiert.

Das Dilemma von "Fantasia 2000" hingegen: Der Film ist zwar unterhaltsam sowie optisch und akustisch opulent, hat aber eigentlich kein klar definierbares Zielpublikum. Vielleicht war das auch schon das Problem des Originals. Die Vermarktung wird jedoch dazu beitragen, dass der Film trotz anfänglicher Kritikerschelte seinen Weg machen und voraussichtlich ab Herbst 2000 auf Video zum Renner wird.

Wolfgang J. Fuchs

 

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