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Ausgabe 84-4/2000

THE WAR ZONE

Produktion: Film Four / Portobello Pictures; Großbritannien 1998 – Regie: Tim Roth – Buch: Alexander Stewart, nach seinem gleichnamigen Roman – Kamera: Seamus McGarvey – Schnitt: Trevor Waite – Musik: Simon Boswell – Darsteller: Ray Winstone (Vater), Tilda Swinton (Mutter), Lara Belmont (Jessie), Freddie Cunliffe (Tom) u. a. – Länge: 99 Min. – Farbe – FSK: ab 16, ffr. – Verleih: Arsenal (35 mm) – Altersempfehlung: ab 16 J.

In seinem Regiedebüt zeigt der britische Schauspieler Tim Roth, dass er hinter der Kamera ebenso viel Talent besitzt wie vor der Kamera. Sein packendes Familiendrama, das in seiner Konsequenz an antike griechische Tragödien erinnert, besticht mit einer hervorragenden Besetzung und einer ruhigen, fast bedächtigen Kameraführung. Zusammen mit den düsteren Aufnahmen von der meist verregneten Küstenlandschaft Devons entsteht ein atmosphärisch dichtes, anrührendes Kinostück, das die Zuschauer so schnell nicht loslässt.

Der 15-jährige Tom und seine 18-jährige Schwester Jessie sind mit ihren Eltern von London ins provinzielle Devon gezogen. Während der Vater seine geschäftlichen Angelegenheiten ordnet und die hochschwangere Mutter sich auf ihr drittes Kind freut, versinkt der von seinen Freunden getrennte Tom in Einsamkeit und Trübsinn. An einem regnerischen Winterabend setzen bei der Mutter starke Wehen ein. Auf dem Weg ins Krankenhaus verliert der Vater die Kontrolle über das Auto, das sich überschlägt. Bis auf kleine Schürfwunden übersteht die Familie den Unfall unverletzt. Das Baby wird noch am Unfallort geboren. Die anfängliche Freude über den Familienzuwachs ändert jedoch nichts Grundlegendes an der inneren Unzufriedenheit der Geschwister.

Als der Junge eines Abends zufällig beobachtet, dass Jessie und ihr Vater offensichtlich eine inzestuöse Beziehung unterhalten, stellt er Jessie zur Rede. Zunächst streitet sie alles ab, ja wirft ihm sogar pubertäre Eifersucht vor. Doch dann wird Tom Zeuge einer drastischen sexuellen Begegnung zwischen Vater und Tochter in einem abgelegenen Bunker, die er auf Video bannt. Kurz danach wirft er die Kamera jedoch weg. Nach diesem Schock bricht die ohnehin schon brüchige Familie endgültig auseinander.

Erstaunlich an der furiosen Inszenierung ist, wie sicher neben erfahrenen Schauspielern wie Tilda Swinton als schwangere Mutter und Ray Winstone als skrupelloser Vater die beiden Nachwuchsdarsteller Freddie Cunliffe (Tom) und vor allem Lara Belmont (Jessie) auf der Leinwand wirken. Als Regisseur profitiert Roth allerdings von dem spannenden Drehbuch, das Alexander Stuart nach seinem skandalumwitterten Roman geschrieben hat. Die Geschichte wird konsequent aus der Perspektive des frustrierten Tom erzählt, der jedoch selbst nicht ganz frei ist von voyeuristischen Neigungen. Roth lässt sich beim Beobachten der Blickkontakte seiner Figuren und dem oft beredten Schweigen viel Zeit, so dass der Erzählrhythmus gelegentlich etwas träge wird. Solche kleineren Schwächen werden jedoch von den souveränen Schilderungen des sexuellen Erwachens und pubertärer Verirrungen mehr als ausgeglichen. Lobenswert sind vor allem der Verzicht auf ein Happy End, das Hollywood einer solchen gewagten Problembearbeitung gewiss angeklebt hätte, und die differenzierte Charakterzeichnung: So zeigt sich der sexhungrige Vater im Alltag als verständnisvoller Familienvater und zärtlicher Ehemann. Und auch die wiederholten Rangeleien zwischen Bruder und Schwester sind durchaus auch erotisch gefärbt.

Mit einer prägnanten, aber keineswegs plakativen Metaphorik wird insbesondere die Titel gebende "Kriegszone" beschrieben. Der Bunker, in dem der entscheidende inzestuöse Akt stattfindet, verweist als militärisches Relikt nicht nur auf den Zweiten Weltkrieg. In dieser familiären Kriegszone bündeln sich zudem gleichsam die zentrifugalen Tendenzen innerhalb der Familie, die schließlich zur Katastrophe führen.

Das Regiedebüt des 1961 in London geborenen Schauspielers, der zuletzt in Giuseppe Tornatores Filmepos "Legende vom Ozeanpianisten" die Hauptrolle spielte und für seine Leistung in dem Historiendrama "Rob Roy" für den Oscar sowie den Golden Globe als bester Nebendarsteller nominiert wurde, wurde mehrfach ausgezeichnet: mit dem European Discovery 1999-Faßbinder Award bei der Verleihung der Europäischen Filmpreise 1999, mit dem Preis des internationalen Verbandes der Filmkunsttheater auf der Berlinale 1999 und dem Michael Power Jury Award auf dem Edinburgh Film Festival des gleichen Jahres. Außerdem erhielt Lara Belmont den Preis als bester Newcomer bei den British Independent Film Awards 1999.

Reinhard Kleber

 

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